Ohne Kommunikation keine Kooperation
Besprechung von »Kooperative Stadt- und Regionalentwicklung« hg. von Yvonne Franz und Martin HeintelYvonne Franz / Martin Heintel (Hg.)
Kooperative Stadt- und Regionalentwicklung
Wien: facultas, 2022
46 Euro, 480 Seiten
Wie können Gemeinden und Regionen durch Kooperation gestärkt werden oder – besser noch – sich selbst stärken? Welchen Beitrag können Partizipation, Teilhabe, kooperative Planungsprozesse oder interkommunale Zusammenarbeit dazu leisten? Darauf bietet das 2022 erschienene Lehrbuch »Kooperative Stadt- und Regionalentwicklung« einige Antworten, mit Inhalten und Beispielen aus der Wissen-schafts-
- und der Praxisperspektive der Stadt- und Regionalentwicklung. Die Publikation begleitet das gleichnamige Weiterbildungsprogramm am Postgraduate Center der Uni Wien.
Die Beiträge, in wissenschaftlicher Art verfasst, widmen sich drei Aspekten: der Konzeption, den Methoden und der Implementierung, wobei die Grenzen zwischen diesen Kapiteln durch den hohen interdisziplinären Anspruch mitunter fließend sind, was nicht weiter stört. Neben einer hohen Geschlechterausgewogenheit ist die Autor:innenschaft hochgradig heterogen, was die beruflichen Hintergründe betrifft. Kultur- und Raumproduzent:innen, Lehrende und Forscher:innen aus Soziologie, Wirtschaft oder Raumordnung sind ebenso versammelt wie Personen aus der Verwaltung oder beratenden Büros. Sie teilen ihren Wissens- und Erfahrungsschatz aus ihrer jeweils sehr unterschiedlichen Perspektive. Als Zielgruppen können sich Akteur:innen aus all diesen Disziplinen angesprochen fühlen, ebenso wie Personen aus der Stadt- und Regionalpolitik bzw. die mit ihnen zusammenarbeitenden Menschen.
Eine der bemerkenswertesten Leistungen dieses Buches stellt die Identifikation von Sprache als Medium kooperativer Stadt- und Regionalentwicklung dar. Sie wird gleichberechtigt mit Planungsinstrumenten oder grundsätzlichen Beiträgen zur Raumentwicklung mit einem Fokus auf Governance-Modelle gestellt. Neben bekannten Methoden wie der transdisziplinären Sozialraumanalyse als wesentliche Methode für die Zusammenarbeit verschiedener Wissensdisziplinen werden so auch überraschendere Bezüge durch neuere Methoden hergestellt. Dazu zählt die strategische Kommunikation und mit ihr verbundene Möglichkeiten, Maßnahmen und Aktivitäten zielgerichtet zu koordinieren und zu kommunizieren. Dadurch zeichnen sich weite Bögen in der Praxis ab, vom Beobachten der Informationsverbreitung über das Gestalten von Inhalten bis hin zum Steuern von Akteursgruppen. Methoden wie die Einfluss-Interessen-Matrix zur Ableitung gezielter Kommunikationsformate geben interessante Einblicke in die Praxis strategischer Kommunikation und ihres Vokabulars. Daran fügt sich ein Beitrag zu Framing und Reframing, der sich Sprache, Stereotypen und Zuschreibungen im Kontext regionaler Entwicklungen widmet und wie diese identifiziert, reflektiert und neu gedeutet werden können. Hier verläuft natürlich ein schmaler Grat zwischen Schönfärberei und positiver Einstellung, dem jedenfalls die Erkenntnis zu Grunde liegt, dass eine Identifikation mit einer Region eine Ressource darstellt. Von hier führt ein Pfad zum Placemaking, womit sich wiederum eine Brücke zwischen dem Lesen eines Ortes und dessen Nutzung schlagen lässt. Den Fokus auf Nutzer:innen als Alltagsexpert:innen legt Design Thinking als weitere vorgestellte Methode, die beispielhaft zeigt, wie Wissen um die spätere Nutzung stärker in die Entwicklungsphasen von Prozessen eingebunden werden kann.
Dem Kapitel der Implementierung sind ebenso konkrete Beispiele gewidmet, wie die oberösterreichischen interkommunalen Betriebsansiedlungs-Modelle, die zeigen, wie mehrere kleinere Gemeinden unter anderem über Vertragsinstrumente bei der kooperativen Umsetzung von Infrastrukturmaßnahmen unterstützt werden können. Auf städtischer bzw. städtebaulicher Ebene wird ausgehend vom Wiener Kabelwerk das Modell des kooperativen Planungsverfahrens und seiner mittlerweile über 20-jährigen Erfahrungsgeschichte beschrieben. Dabei werden Varianten mit ihrem jeweiligem Anwendungskontext vorgestellt: das Studioplanungsverfahren, das Implementation Lab und die Klausurplanung. Ein Beitrag zur Multilevel Governance in der EU kontextualisiert, in welchem Rahmen Städte und Regionen ihre jeweiligen Wohnungsmärkte gestalten können und wo deren Grenzen liegen. Potenzial wird unter anderem im European Green Deal gesehen, durch den nunmehr Partizipation in der Gestaltung von Nachbarschaften und die Einbindung von Nutzer:innen als Kriterien für gute Projekte auf EU-Ebene erkannt wurden. Länderübergreifender Handlungsbedarf besteht für kooperative Gestaltungen im Bereich des Wohnens, angefangen von einer evidenzbasierten Wohnungspolitik bis zu einem allgemeinen Wohnrechtsrahmen. Im Hinblick auf die gegenwärtigen, komplexen Herausforderungen eröffnet das Lehrbuch Kooperative Stadt- und Regionalentwicklung neue Ansätze und erweitert die Perspektiven auf bestehende Planungsansätze.
Ernst Gruber ist Architekt, Grafik- und Kommunikationsdesigner.