Christoph Laimer

Christoph Laimer ist Chefredakteur von dérive.


Parole ist ein dynamisches Wörterbuch der zeitgenössischen Stadt, das im Juni 2000 anlässlich der 7. Architektur-Biennale in Venedig erstmals vorgestellt wurde und an Umfang seither ständig zunimmt. Derzeit enthält parole rund 900 Stichwörter.
Wer also immer schon endlich einmal wissen wollte, was dérive nun eigentlich wirklich bedeutet, ist bei parole bestens bedient: Man erfährt, dass Guy Debord 1956 die »Theorie de la dérive« in Les Lèvres Nues #9 veröffentlicht hat, kann ein französisches Originalzitat und die englische Übersetzung davon lesen, wird auf weitere wichtige verwandte Begriffe hingewiesen und bekommt einen Link zu einer Website, auf der der Text nachzulesen ist. Wessen Informationsbedarf damit noch nicht gestillt ist bzw. erst wirklich geweckt wurde, der/die kann sich jetzt über Guy Debord zu z. B. Henri Lefebvre oder Hakim Bey weiterklicken oder nach AutorInnen, Stichwörtern, Jahreszahlen oder Orten die Website durchforsten. Sympathischerweise gibt es die Suchergebnisse in zwei Versionen: einmal als einfache Vorlage zum Ausdrucken und einmal in einer aufwendiger und sehr übersichtlich gestalteten Variante. In den knapp eineinhalb Jahren ihrer Existenz hat sich parole zu einer weit verzweigten, heterogenen Website entwickelt, für die die MacherInnen den Ausdruck »Wörterbuch« als etwas zu eng umschrieben sehen. Parole ist ein dynamisches und offenes Archiv von Begriffen und Konzepten aus Urbanismus und Architektur, organisiert in einer mehrdimensionalen Struktur, die in ihrer Komplexität ein Abbild der Vielschichtigkeit gegenwärtiger urbaner Lebensräume in das Internet transferiert. Bilder, Texte, Zitate, Kommentare, Textfragmente, Links, Videos, Sounds und Webcams sind einige der Teilchen des Mosaiks, die oft von den UserInnen selbst stammen. Die Wahl einer offenen nichthierarchischen Plattform ist konzeptionell, die nicht eindeutig vorhersehbare Entwicklung von parole eine zwangsläufige Folge davon. Ein Newsletter informiert über Veranstaltungen, neue Einträge etc. auf parole.
Die Arbeit an parole startete 1999. Beteiligt am Projekt sind Gruppo A12, Udo Noll und Peter Scupelli. Udo Noll beschäftigte sich mit experimenteller Forschung im Spannungsfeld zwischen Sprachen (natürlichen und artifiziellen), Interfaces und vernetzten Strukturen. Er entwickelte die Website als ein flexibles System, das in der Lage sein soll, die vielschichtigen Veränderungen im urbanen Raum in einem Websystem abzubilden. Der Weg dorthin ist noch nicht abgeschlossen, das Projekt geht weiter. Udo Noll betont, dass parole keine »Designanstrengung« ist. Das sichtbare Interface ist Teil des Projekts, »Display« und Arbeitsstruktur. Es reflektiert die Veränderungen im urbanen Raum sowohl sprachlich als auch audio-visuell.
Gruppo A12 ist ein Kollektiv von ArchitektInnen und KünstlerInnen. Das Spektrum der Arbeiten reicht von Installationen und Ausstellungsarchitektur bis zu Städtebauprojekten. Die individuellen und gemeinsamen Forschungen der Mitglieder ergänzen sich gegenseitig. (Eine Übersicht der Arbeiten ist bei http://digilander.iol.it/gruppoa12/ zu sehen.) Das vorrangige Interesse gilt der urbanen Transformation und der kritischen Funktion der Architektur in Bezug auf soziokulturelle Aspekte. Gruppo A12 hatte bereits vor parole eine Sammlung von Begriffen aus dem urbanen Kontext zusammengetragen, die sie in das neue Projekt einbrachte. Peter Scupelli ist Architekt und Gründungsmitglied von Gruppo A12. Derzeit arbeitet er an einem Forschungsprojekt an der Carnegie Mellon University in Pittsburgh.
2000 wurde parole mit dem \internationalen\medien\kunst\preis ausgezeichnet, der vom deutschen Südwestfunk und dem von Peter Weibel geleiteten Zentrum für Kunst und Medientechnologie in Karlsruhe verliehen wird.

http://parole.aporee.org/


Heft kaufen