Partizipation und Aneignungsstrategien
Besprechung von »Hier entsteht. Strategien partizipativer Architektur und räumlicher Aneignung« herausgegeben von Jesko Fezer und Mathias HeydenJesko Fezer / Mathias Heyden (Hg.)
Hier entsteht
Strategien partizipativer Architektur
und räumlicher Aneignung
Berlin: b-books, 2004
Im Rahmen von ErsatzStadt ist nun in der Reihe metroZones ein dritter Band erschienen, »Hier entsteht. Strategien partizipativer Architektur und räumlicher Aneignung«. Die Publikation ist als begleitendes Textkonvolut zu Aktionen und Diskussionen rund um einen temporären Anbau an die Berliner Volksbühne konzipiert. Dieser dient als Forum zu Diskurs und Praxis von Partizipation und Aneignungsstrategien in Architektur und Städtebau. Das Buch versammelt Theorien und Projekte zum Thema in Form von Beiträgen und Interviews, die gegenwärtige Prozesse umreißen, aber auch Rückblicke auf emanzipatorische Ansätze der Moderne und insbesondere auf Strategien partizipativer Architektur und Raumproduktion der sechziger und siebziger Jahre beinhalten. Einen weiteren Schwerpunkt nehmen wiederum informelle Stadtstrukturen der Metropolen des Südens ein (siehe metroZones 2: Learning from*, 2003). Eine CD-ROM mit audiovisuellem Material rund um die Aktionen im Pavillon am Rosa-Luxemburg-Platz liegt bei. Im Mittelpunkt steht die Gegenüberstellung einer (anachronistischen) Vorstellung von der Kontrolle und Planbarkeit der Stadt und der zunehmenden Unvorhersehbarkeit urbaner Prozesse beziehungsweise alternativen Formen kollektiver räumlicher Aneignung und Selbstorganisation.
Der Kontext hat sich verändert. Durch den schrittweisen Rückbau des Wohlfahrtsstaates sind neue Bedingungen entstanden: Runde Tische und Modelle der Mitbestimmung dienen heute oft als (Macht-)Instrument, um ein umstrittenes Projekt zu legitimieren. Alte Formen räumlicher Aneignung haben sich teilweise entpolitisiert. Zwischennutzungen (Hausbesetzungen) dienen oft schon als startups in eine (KünstlerInnen-)Karriere. Auf der einen Seite erlaubt die Öffnung von Planungsprozessen die Sichtbarmachung und Artikulation allgemeiner und partikularer Interessen, auf der anderen Seite definiert eine Ökonomie im Einfluss von Selbstorganisationstheorien das Subjekt als UnternehmerIn seiner oder ihrer selbst. Die Aufforderung zur Partizipation beinhaltet – worauf schon in der Einleitung hingewiesen wird – auch eine neue Regierungstechnik, die insgeheim eine gesamtgesellschaftliche Verantwortlichkeit aufgekündigt hat.
Erzählt wird auch von der traditionellen europäischen Sehnsucht nach vermeintlich ursprünglichen Stadt-und Wohnformen ferner Kulturen. Diese lässt sich auch durch das schwierige Verhältnis erklären, in dem sich eine emanzipatorische Moderne mit komplexen Alltagskulturen befand. Niederschlag fand die zunehmende Unzufriedenheit mit starren Dogmen der Planung in sehr unterschiedlichen Experimenten, in deren Mittelpunkt aber meist die Flexibilisierung von Raumelementen, Räumen und Nutzungen stand. (Angefangen bei flexiblen Fertigteilbauelementen, bis hin zu den techno-utopischen und reformistischen Ansätzen der sechziger Jahre). Die Grenzen der Planbarkeit von Stadt lassen auch heute Interesse an alternativen Strukturen entstehen, wie man sie in informellen Stadtstrukturen südlicher Metropolen findet. Interessant wird dieser immer auch exotistische Blick, wenn er die Kritik an eigener Planungspraxis fördert. Hingewiesen wird auf die Tatsache, dass selbstorganisierte Siedlungen schon längst in der Mitte in Europa entstanden sind, wie z. B. an der Peripherie von Rom, wo ZuwandererInnen »illegale« Baracken errichten. Die Aufgabe einer zeiträumlichen Fixierung städtischer Entwicklung bringt eine – manchmal diffuse – Hoffnung auf prozesshafte Entwicklungen mit sich, die im Idealfall neue demokratischere Entscheidungsstrukturen beinhalten sollten.
Die AutorInnen weisen wiederholt darauf hin, dass das Berufsbild der ArchitektInnen im Wandel begriffen ist. FertighausproduzentInnen, GeneralunternehmerInnen und ProjektentwicklerInnen (ExpertInnen für ökonomisch verwertbaren Raum) treten heute als ErfüllungsgehilfInnen individueller Wunschproduktion auf. Die Rolle der ArchitektInnen bewegt sich in Richtung Moderation auf der Suche nach neuen gesellschaftlichen Allianzen. Der Band bietet eine Vielzahl an interessanten Theorien und Fallbeispielen. Zur Sprache kommen unter anderem so diverse Aspekte des Themas wie die Praktiken der Raumaneignung in DDR-Plattenbauten (Wolfgang Kil), feministische Perspektiven auf Raumproduktion (Yvonne Doderer) oder informelles Bauen in Mexico City (Eckhart Ribbeck).
Jesko Fezer / Mathias Heyden (Hg.)
Hier entsteht
Strategien partizipativer Architektur
und räumlicher Aneignung
Berlin: b-books, 2004
Andre Krammer ist selbstständiger Architekt und Urbanist in Wien.