Plädoyer für einen neuen städtischen Raum
Besprechung der »Schule des Wir« in GrazDie Schule des Wir
Der Text zum Gemeinwesen in städtischen Räumen von Mathias Heyden, dem der Ausstellungstitel entlehnt ist, versteht sich als Plädoyer für einen neuen städtischen Raum: ein Raum, der konstant einladend und im Entstehen begriffen ist, der nicht nur geteilt wird, sondern das Teilen selbst mitbestimmt. Dem Mainstream partizipativer Prozesse stellt dieser Raum das Verlangen nach tatsächlicher Teilhabe entgegen. Dabei geht es um Ermächtigung, um Selbstverwaltung und darum, dass dem Mitbestimmen auch das Mitentscheiden folgen muss. Wie aber wird die Welt als geteilter Raum zu einem Ort für alle, die in ihm wirken?
Die Schule des Wir, wie sie hier skizziert ist, braucht zunächst einmal eine gemeinsame Stimme, die das Ich in ein Wir verwandelt, und den Ort, von dem aus gedacht wird, pluralisiert. Diese Wir-Stimme bietet einen ersten Einstieg in eine relationale Grammatik – eine Art zu denken, die notwendigerweise in der Beziehung zu anderen begründet ist. Und genau das versucht das Ausstellungsprojekt bei
Auch wenn sie vielleicht gar nicht so sehr im Fokus der Besucher*innen stehen, sind die für das Grazer Annenviertel entstandenen fünf Inseln des Zusammenseins vermutlich das wichtigste Projekt im Sinne des Gefühls von Zugehörigkeit: temporäre Plateaus, die als Sitzgelegenheiten, Bühnen und Orte der Zusammenkunft genutzt werden können. Von verschiedenen Künstler*innen unter Mitwirkung zahlreicher Nachbar*innen und lokaler Initiativen entstanden, präsentieren sie sich als Alternativen zur Stadtmöblierung mit ihren impliziten Regulierungen und der um sich greifenden Verwandlung öffentlichen Raums in Konsumationszonen. Sie laden dazu ein, durch aktives Handeln in Besitz genommen zu werden, ohne dass es ein definiertes Format ihrer Verwendung gibt, präsentieren sich als Arbeitsarena, in der gelernt, diskutiert und darüber nachgedacht werden kann, was Arbeit eigentlich ist (gestaltet von der Belgrader Künstler*innengruppe minipogon) oder als Garten, der gemeinsam gepflegt werden will (Elina Otta, Garten der wachsenden Erkenntnis).
Im
Eine wachsende Bibliothek als Teil der Ausstellung teilt dieses Interesse am Neuausloten menschlicher und nicht-menschlicher Beziehungen. Sie gibt einen Eindruck, was das theoretische Fundament oder vielleicht besser: das Inspirationsmaterial der Schule des Wir ist. Ein Katalog von Helio Oiticia liegt neben einer Ausgabe des Magazins South as a State of Mind, Zeichnungen von Quallen neben Büchern über Korallen. Donna Haraways Unruhig bleiben, Édouard Glissants Poetics of Relation und sein Traktat über die Welt bieten sich der Lektüre an, ebenso Silvia Federicis Die Welt wieder verzaubern zu Feminismus, Marxismus und den Commons. Man spürt die Begeisterung für diese Denker*innen, merkt spätestens an dieser Stelle aber auch, dass der Transfer von Theorie in Praxis kein einfacher ist. Das seit einiger Zeit kursierende Interesse an der Sozialität der Meerestiere, dem in Flora und Fauna inkorporierten Wissen und das oft zitierte Verlernen der logozentristischen Weltsicht produzieren spannende Werke, aber nicht automatisch inklusivere Formen künstlerischer Praxis. Die Potenziale kollektiver und solidarischer, selbstermächtigender, selbstorganisierter und selbstverwalteter Produktion – sie liegen wahrscheinlich tatsächlich vor allem in jenem Raum, der früher einmal der öffentliche hieß. Was nicht heißt, dass auch der institutionelle kein konvivialer werden kann. Es wird vermutlich nur noch eine Weile dauern.
Vanessa Müller