Politische Rhetorik als Waffe
Susanne Karr über Coriolan, eine Produktion des theatercombinats
Ein eisiger Wind auf der Hütteldorfer Straße, ein geöffnetes Tor zur großen Straßenbahnremise, Betriebsbahnhof Breitensee. Ein Hinweis auf einem gemalten Schild, The Palace sei hier. Zwei Mädchen ums Eck, bei der U-Bahn-Station, hatten hilfsbereit mit überlegt, wo das theatercombinat seinen Coriolan wohl zeigen könnte hier in dieser Gegend, Theater? Palace? Remise, ach ja, das muss dort unten sein, nicht weit...Also durchs Tor, zum Empfang, einer Hütte im großen Hof vor den Hallen. Zur Eintrittskarte ein Textbuch, und dann gibt es Geleit mit Taschenlampe zum Eingang, zum Entree in eine Halle.
Tee wird angeboten, und eine Videoaufzeichnung des Projektes turn terror into sport (siehe Besprechung in dérive 29) übernimmt den Part des Prologes. Mit einem Großaufgebot an StepptänzerInnen vor dem Maria-Theresien-Denkmal eröffneten die TragödienproduzentInnen von Claudia Bosses theatercombinat im Sommer den Coriolan.
Jetzt folgt also die textliche und dramaturgische Durchführung dieses Trailers. Shakespeares Coriolan aus dem Jahr 1607 spielt zu Beginn der römischen Demokratie, als das Volk gegen inszenierte Hungersnöte revoltiert und Mitbestimmung verlangt. Der Feldherr Coriolan möchte Politiker werden, muss sich aber den neuen Regeln folgend vom Volk wählen lassen. Die ganze Prozedur widerstrebt ihm, er lässt sich zwar zu Propaganda zu eigenen Gunsten herab, macht aber später keinen Hehl aus seiner Verachtung dem Volk gegenüber – was zu seiner Verbannung und zur Tragödie führt.
Die Inszenierung findet in einer zweiten angrenzenden Werkhalle im Betriebsbahnhof statt. Das Publikum wird den Handelnden räumlich zugeordnet und in Gruppen in die Halle geführt, mit der Aufforderung, sich gemäß Vermerk auf der Eintrittskarte zu verteilen: PlebejerInnen (die aus dem Volke) werden in die Arbeitsgräben zwischen den Straßenbahnschienen gestellt, VolskerInnen (jener italische Stamm, den Coriolan so triumphal besiegt hatte) bleiben im Eingangsbereich und PatrizierInnen (die römische Elite) sitzen auf Filzkissen und haben auch Decken zum Umhängen und Wärmen - wie kann man es ohne überhaupt 3 1/4 Stunden lang aushalten?
Den Riesenraum, kalt auch jenseits der Temperatur, füllen die ProtagonistInnen nach und nach, erst durch einzelne Auftritte jener, die in verschiedenen Rollen zu sehen und zu hören sein werden, dann durch Auftreten in Gruppen, durch Dialoge, aufeinander abgestimmtes Laufen, Stampfen, Singen und Schreien. „In diesem politischen Diskussionsstück geht es um das Sprechen in Situationen“, so das theatercombinat, „Sprechen als Waffe, als Bezwingen und Konstituieren politischer Realität.“
Mal schreiten sie deklamierend, und mit tänzerischen Elementen den Ritualcharakter der Deklamationen unterstreichend, die gesamte Hallenlänge aus. Mal hetzen sie einander durch die Werkgräben, lauern einander auf, verbreiten Angst und Schrecken. Dann zitieren sie wieder, beiläufig fast, ganz episches Theater. Klare Mittel, hohe Effektivität.
Die Arbeitsgräben bieten sich ganz natürlich zur interpretatorischen Einbindung an, die Massenszenen erleben hier, in der halben Versetzung in den Untergrund, eine unterschwellige Verstärkung jenes Unbehagens, das eine so offensichtliche ungleiche Positionierung mit sich bringt. Außerdem halten sie immer die Möglichkeit eines Absturzes als Folge des Ausscherens aus streng geführten linearen Systemen bereit.
Teils wandern die ZuschauerInnen den DarstellerInnen hinterher, nicht nur der Optik, auch der Akustik willen. Teils halten sie sich in sicherem Abstand, lesen mit, was da verlautbart wird.
Das erwähnte Textbuch empfiehlt sich unbedingt, denn abgesehen von rein akustischen Verständnisproblemen kommt immer wieder die sprachliche Herausforderung der englischen Originalpassagen hinzu. Den Rhythmus und die verführerische Mischung aus Schroffheit und verspieltem Klang des Shakespearean English in eine andere Sprache zu übertragen, gleicht der Quadratur eines Kreises - daher ist es nachvollziehbar, dass viel Text im Original gebracht wird. Wer mit Shakespeare arbeitet, muss diese Sprache lieben. Also mitlesen und nachlesen, oft erschließt sich die phantastische Qualität des Textes erst wirklich, wenn man durch den Bann des Klanges zu den Buchstaben vordringt. Außerdem finden sich darin auch die ins Stück implantierten Textteile, teils den Originaltext verfremdende, teils verstärkende Zitate, wie Giorgio Agambens Homo sacer oder Carl Schmitts Feindestheorie.
In den Massenszenen mit dem regelmäßigen Geklacker der Steppschuhe potenzieren sich die Parallelführung von Shakespeare‘scher Rhythmisierung der Sprache und die Choreographie wechselseitig und veranschaulichen prägnant die Beeinflussbarkeit durch Gleichschritt und Zeitkoordination. Das prekäre Moment der Demokratie, der Zwiespalt zwischen Individuum und Masse zeigt sich hier, wo Euphorie und Bestürzung im Erleben eines „Wir“ einander ablösen.
Das gezeigte „Volk“ ist schnell überzeugt und zaudert nicht bei Entscheidungen, für die es wenig Basis außer populistische Agitation gibt. Dafür werden diese Entscheidungen, die sich kurzfristig ändern können, gnadenlos, gedankenlos vertreten, paradoxerweise umso vehementer, je stärker sie im Widerspruch zur vorherigen Meinung stehen. Dieses Agitieren greifen die AkteurInnen immer wieder auf, sie versuchen, das Publikum durch Redeschwälle zu überzeugen und ins Geschehen hineinzuziehen. Manch eineR wendet sich, so direkt angesprochen, peinlich berührt ab.
Dem theatercombinat geht es um die Theatralisierung des Alltags, um die Verfremdung des Alltäglichen. In kleinste Bestandteile zerlegt wirken Aussagen harmlos oder zumindest ungefährlich, doch in der Zusammensetzung und Aneinanderreihung derselben werden sie zu den ganz alltäglichen, banalen Bestandteilen des Tragischen. So folgen sie ihrer eigenen Rationalität und entwickeln hier eine finale Eigendynamik, wenn schließlich raunend die Aufforderung „Tötet ihn!“ auch an das Publikum gerichtet wird, als Einladung, sich demokratisch am Vollstrecken des Volkswillens zu beteiligen. Das prekäre Moment der Demokratie, der Zwiespalt zwischen Individuum und Masse zeigt sich, wo Euphorie und Bestürzung im Erleben eines „Wir“ einander ablösen.
In der Choreographie spiegelt sich dieses unaufhaltbare Aufschaukeln in einem fulminanten Crescendo des Ballett-Chores, das sich zwangsläufig aus der ruhigen Schwimmbewegung und der Mantraartigen, fast meditativen Wiederholung des zuerst dahingesagten „Tötet ihn“ entwickelt, das sich freispielt hin zur unabwendbaren Ermordung des Coriolan. Auf diese Gewalttat hin folgt plötzlich Milde, eine fast friedliche Stimmung. Ist das die antike Besänftigung der Götter? Die Tauben fordern ihre Schlafplätze gurrend zurück, die Eingangshalle lädt zu Punsch und Tee.
Epilog: So verzichten die TragödienproduzentInnen, wie ihre Vorlage, auf Eindeutigkeit im Zeichnen von Charakteren und deren Beurteilung. Sie erwecken in ihrem Coriolan sehr überzeugend die Zauberkraft der Shakespeareschen Theatermaschine mit ihrer bezwingend musikalischen Sprache und ihren erschreckenden, immer wieder erstaunlich aktuellen, präzisen Darstellungen menschlichen Handelns.
--
theatercombinat
Coriolan – Politische Rhetorik als Waffe gegen aufbegehrende Körper
Diskussionsstück mit einem tanzenden Massenchor und sechs AkteurInnen
Shakespeare (1607/08)
Regie und Konzept: Claudia Bosse
The Palace – Betriebsbahnhof Breitensee, 1140 Wien
www.theatercombinat.com
Susanne Karr