Robert Temel

Robert Temel ist Architektur- und Stadtforscher in Wien.


Die Zahl an Publikationen zu temporären Nutzungen nimmt stetig zu, doch der Schlussbericht des Forschungsprojektes Urban Catalyst, das zur Verbreitung des Themas im deutschsprachigen Raum vieles beigetragen hat, ist noch nicht erschienen. Als Zwischenschritt auf dem Weg dorthin kann der Band Urban Pioneers verstanden werden, den Klaus Overmeyer vom Studio Urban Catalyst im Auftrag der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung Berlin heuer vorgelegt hat. Das Buch ist Dokumentation eines Symposions und einer Ausstellung in Berlin 2005 – dementsprechend stehen diese Stadt und ihre Spezifität der temporären Nutzung im Mittelpunkt. In Urban Pioneers geht es um konkrete, praktische Aspekte von Zwischennutzungsprojekten und um die Perspektive der AkteurInnen dieser Projekte, der ZwischennutzerInnen. Berlin ist diesbezüglich insofern ein besonderer Fall, als hier nach der Wende (und auch heute noch) große Flächen und umfangreicher Baubestand unbenützt waren und darauf warteten, von Kreativen wachgeküsst zu werden. Dieser Prozess fand während der letzten zwanzig Jahre durchaus auch Unterstützung von Seiten der Politik und der Verwaltung – das beschränkte sich jedoch eher auf Einzelaktionen und war in keiner Weise Teil einer Transformationsstrategie der Stadtpolitik, das Potenzial der Zwischennutzungen für die Stadtentwicklung systematisch zu nützen. Auf diese Idee kommt man erst heute ein wenig, nachdem unzählige Projekte gestartet und wieder beendet wurden und viel über ihre Bedeutung und ihre Bedingungen geforscht wurde. Diese Tatsache ist aber gleichzeitig wohl auch eine solche Bedingung der Zwischennutzung: ob von der öffentlichen Hand legitimierte und von der Politik angeregte Zwischennutzungen ebenso erfolgreich sein können wie die halblegalen Pionierprojekte, wird sich weisen. Den Beweis wird die nähere Zukunft bringen, sieht doch nun auch die Berliner Senatorin für Stadtentwicklung Zwischennutzung als Chance für ihr Ressort, wie ihr Vorwort für den Band zeigt.

Das Buch bringt zu Beginn eine Dokumentation nutzbarer Leerflächentypen in Berlin, vom aufgegebenen Gewerbegebiet über überzählige Friedhöfe bis zu Baulücken. Und es stellt anhand zentraler Rahmenbedingungen die „prototypischen“ Zwischennutzungsprojekte dar: sind sie eher kommerziell oder ehrenamtlich, Vereine oder Unternehmen, gefördert, gesponsert oder allein finanziert? Welche Räume in Berlin werden angeeignet und wie? Wie entwickeln sich die Projekte? Danach folgt eine umfangreiche Darstellung von Berliner Zwischennutzungsprojekten, von weit über Berlin hinaus bekannten Beispielen wie den Stadtstränden an der Spree und dem Badeschiff bis zu Projekten ohne Öffentlichkeit, die über die unmittelbaren NutzerInnen hinausgeht, wie eine Kinderschischule am Prenzlauer Berg, eine Golfübungsanlage oder Schul- und Kiezgärten.

Overmeyer und seine beiden Ko-Projektleiter von Urban Catalyst, Philipp Misselwitz und Philipp Oswalt, versuchen in dem Band, temporäre Planung als „Stadtentwicklung ohne Städtebau“, als „Open-Source-Urbanismus“ zu positionieren – ein Ansatz, dessen Grundgedanken der spezifischen Berliner Situation entspringen. Dies hat vieles für sich: Die Grundprinzipien des Temporären, wie sie hier dargestellt werden, nämlich die prozesshafte Entwicklung von Lösungen statt der festlegenden Masterplanung, die Nutzung bestehender Ressourcen für die eigenen Zwecke und das Involvieren möglichst vieler interessierter Beteiligter analog zu „Open Source“, sind sicherlich wichtige Ansatzpunkte für die Entwicklung der Stadtplanung im Allgemeinen. Inwiefern die hier geschilderten Berliner Beispiele tatsächlich das Potenzial besitzen, großmaßstäbliche Planung zu leiten, sei jedoch dahingestellt. Und das zentrale Problem der temporären Stadtplanung, nämlich die mit dem Grundeigentum verbundenen Verpflichtungen und Renditeerwartungen, wird jedem Versuch in diese Richtung Schwierigkeiten bereiten. Das Potenzial, großmaßstäbliche Entwicklungen zu beeinflussen, scheint jedoch bei manchen in diesem Buch vorgestellten internationalen Beispielen zu finden zu sein: das groß angelegte Kulturprojekt NDSM Werft in Amsterdam läuft beispielsweise über zumindest zehn Jahre und besitzt sowohl die räumliche als auch die finanzielle Dimension, den hier entstehenden zukünftigen Stadtteilen als Keimzelle zu dienen.

Den Beispielen folgen Gespräche und Beitrage zur temporären Nutzung und ihrer Bedeutung für die Kreativwirtschaft und die Ökonomie im Allgemeinen. Am Schluss steht ein Praxisteil, der Rahmenbedingungen von Vertragsformen über Förderungen bis zu Vermittlungsmethoden darstellt, anhand einiger Beispiele die zeitlichen Abläufe typischer temporärer Nutzungen erläutert und schließlich in Ratgeberform Tipps gibt, wie man Orte findet, was bezüglich Sicherheit zu bedenken ist, welche Finanzierungsformen sich bewährt haben und was alles genehmigt werden muss oder sollte (oder auch nicht).


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