Prostitution – eine andere Welt?
Besprechung von »Prostitution. Herstellungsweisen einer anderen Welt« von Martina Löw und Renate RuhneAls im 19. Jahrhundert der öffentliche Raum nicht mehr nur tagsüber, sondern auch während der Nacht zusehends belebter wurde, breitete sich auch die Straßenprostitution aus. Bald wurden erste Verordnungen erlassen, die Sperrgebiete und so genannte Schutzzonen festschrieben, um eine räumliche Kontrolle der Prostitution zu ermöglichen. Diese Räume der Prostitution haben sich aufgrund abweichender Regelungen in vielen Städten unterschiedlich entwickelt, dennoch gibt es ähnliche Tendenzen. Martina Löw und Renate Ruhne konzentrieren sich in ihrem Buch Prostitution – Herstellungsweisen einer anderen Welt auf die Prostitution in Frankfurt. eine dieser Tendenzen, die Löw und Ruhne für Frankfurt feststellen, die aber auch für viele andere Städte gelten dürfte, ist, dass die (professionelle) Straßenprostitution zu Gunsten der Indoor Prostitution (80 Prozent in Frankfurt) stark abgenommen hat. Löw und Ruhne sprechen in diesem Zusammenhang von Verhäuslichung. Dieser Trend dürfte sich mit dem neuen Prostitutionsgesetz in Wien ebenfalls verstärken. In Frankfurt hat sich diese Verlagerung schon vor längerer Zeit, und zwar zwischen 1960 und 1990, abgespielt, Straßenprostitution gibt es eigentlich nur mehr in Zusammenhang mit Drogenbeschaffung. eine weitere Tendenz, die für viele Städte gilt, ist die Tatsache, dass ein hoher bis überwiegender Anteil der Prostituierten Migrantinnen sind; in Frankfurt ist es rund die Hälfte, in Österreich nach Schätzungen rund 80 Prozent. eine geringere Rolle als gemeinhin angenommen spielt nach den Erkenntnissen der Autorinnen in diesem Zusammenhang der Menschenhandel bzw. die Zwangsprostitution. Sie führen das darauf zurück, dass es durch die intensive Berichterstattung, die es – auch zur Zeit der Fußballeuropameisterschaft 2008 – zum Thema Menschenhandel und Zwangsprostitution gibt, zu einer »Wahrnehmungsverzerrung« gekommen ist und immer noch kommt. Sie verweisen auch darauf, dass das »Opferbild«, das damit geschaffen wird, eine historische Konstante ist, und halten diesem Bild entgegen, »dass die meisten in der Prostitution arbeitenden Migrantinnen mehrheitlich keineswegs als Opfer – weder der Verhältnisse noch von Menschenhändlern – zu charakterisieren sind, sondern in der Regel selbstbestimmt als Prostituierte arbeiten (wenn auch eingebunden in ein System ökonomischer Zwänge und Hoffnungen). (...) Die sich prostituierenden Frauen und ihr Männerumfeld (...) sollen von der Straße verschwinden, weil sie unangenehm auffallen. Wenn dabei das Assoziationsfeld von Dreck, Vulgarität, Lasterhaftigkeit (...) aufgerufen wird, dann wird die legitime Anwesenheit im öffentlichen Raum an (klein)bürgerliche Tugenden gebunden.«
Doch zurück zur Verhäuslichung der Prostitution, die zu starken Veränderungen urbaner Räume geführt hat und weiter führen wird und sich in die allgemeine Tendenz, öffentliche Räume von allem, was städtischen Marketingkonzepten ein Dorn im Auge ist, der angestrebten Konsumorientierung im Wege steht oder TouristInnen irritieren könnte, zu säubern, eingliedert. Die Sichtbarkeit ist hier ein wichtiger Aspekt und kann Prostitution genauso betreffen wie Armut oder die Nutzung der öffentlichen Räume durch Jugendliche (siehe dazu den Artikel zum Schweizer Wegweiserecht von Monika Litscher in dérive 45). Löw und Ruhne weisen richtigerweise darauf hin, dass es bei der Verdrängung keineswegs um die Sichtbarkeit von Prostituierten gehen muss – Rotlichtviertel sind in manchen Städten ja durchaus ein Teil des Images –, »sondern vor allem die in sie eingebettete Inszenierung einer Straßenkultur, die hier deutlich als eine proletarische Kultur interpretiert wird.« Für Prostituierte hat die Sichtbarkeit auf der Straße den Vorteil, »zum gesellschaftlichen Alltag« zu gehören. Dieser Umstand führt dazu, dass Unsicherheit und Angstgefühle, die z. B. bei AnrainerInnen durch Unwissenheit genährt werden, weniger stark ausgeprägt sind. Löw und Ruhne zeigen, wie im Frankfurter Bahnhofsviertel die weitgehende Unsichtbarkeit der Prostituierten dazu führt, dass Angstgefühle entstehen, die mit der objektiven Gefährdung nicht in Einklang zu bringen sind. Diese Atmosphäre ist verantwortlich dafür, dass Prostituierte »ausgegrenzt bleiben und ihren als deviant stigmatisierten Außenseiterstatus kaum überwinden können.«
Der Versuch, Straßenprostitution durch ordnungspolitische Maßnahmen innerhalb einer Stadt zu verlagern, war in Frankfurt lange Zeit wenig erfolgreich, und ob es in Wien gelingen wird, die Straßenprostitution ohne Probleme in die so genannten Erlaubniszonen zu transferieren, darf bezweifelt werden. Hintergrund für die Bestrebungen, (Straßen)Prostitution aus bestimmten Teilen der Stadt zu vertreiben, ist in vielen Fällen das Ziel, Stadtviertel aufzuwerten. In Wien darf hier das Stuwerviertel als Beispiel angeführt werden (siehe dazu dérive 36). Diese Viertel verfügen oft über niedrige Mieten und ziehen somit auch KünstlerInnen, Kulturschaffende etc. an – der daraufhin folgende Ablauf darf mittlerweile als bekannt vorausgesetzt werden.
Löw und Ruhne versuchen zu zeigen, »dass die Welten (Anm.: die Prostitution und die normale Gesellschaft) sich in vielerlei Hinsicht ähnlicher sind, als viele glauben ...«, und kommen zum Schluss: »Prostitution ist nie nur aus sich heraus zu verstehen, sondern stets eingebunden in ein komplexes Zusammenwirken gesellschaftlicher Strukturen und Diskurse.«
Das Buch leistet ein wichtigen Beitrag alleine dadurch, dass es Prostitution als Gegenstand einer sozialwissenschaftlichen Untersuchung (»als einen spezifischen Handlungs und Sinnkontext unserer Gesellschaft«) sieht und ernst nimmt. Die Tatsache, dass das erwähnenswert ist, zeigt den nach wie vor völlig verkorksten Umgang mit dem Thema. Schade ist, dass sich das Buch so stark auf Frankfurt konzentriert und es keine vergleichende Darstellung mehrerer Städte gibt, da die Situationen trotz paralleler Entwicklungen alleine aufgrund der unterschiedlichen Gesetzeslagen voneinander differieren. Es wird aber ohnehin notwendig sein, zahlreiche weitere Untersuchungen durchzuführen und zu veröffentlichen, um die Basis für einen pragmatischeren Umgang mit Prostitution zu ermöglichen.
Christoph Laimer ist Chefredakteur von dérive.