S 8: Alle für einen
Besprechung von »Die Riviera an der Donau« von Lisa FischerLisa Fischer
Die Riviera an der Donau
Wien/ Köln/ Weimar: Böhlau, 2004
160 S. EUR 19,90
Modisch kurz wie die Röcke und weltläufig englisch der Begriff, und um 1930 DAS Thema progressiv-sportiver Wiener und Wienerinnen: Weekend. »Nimm mich mit ins Wochenende« hießen damals Ausstellungen, oder »Das Wochenende der Wiener«. 1930 fand die mit einem Wettbewerb und einer Publikation verbundene »Weekendschau« statt. Die Weekend-Bewegung nahm rund um Wien einen rasanten Aufschwung. Besonders beliebt waren Badehäuser in den Donau-Strandkolonien von Klosterneuburg, Kritzendorf, Höflein und Greifenstein. Die Geschichte des Strombads Kritzendorf mit seiner spezifischen Atmosphäre sportlich-sinnlicher Lässigkeit stellt die Buchpublikation Lisa Fischers mit einer begleitenden Ausstellung im Wien Museum dar.
Weekendhäuser wurden als ernstzunehmende Architektur eingeschätzt und entsprechend in der Fachpresse und trendorientierten Illustrierten veröffentlicht. Die hölzernen Kleinhäuser ermöglichten es erstmals einer breiteren Bevölkerungsschicht, sich eine Art von Sommerfrische zu leisten, und kamen gleichzeitig dem neuen Bedürfnis nach ungezwungener, privater und nicht-repräsentativer Freizeitgestaltung entgegen. Mit dem minimalen Raumbedarf des Weekendhauses – oft nur ein einziger Raum mit Schlafstellen und Kochnische plus einem von außen zugänglichen Abort – lag die Grundrissgestaltung nach den Prinzipien der Moderne mit ihrem Einraum-Wohnkonzept auf der Hand. Der Verzicht auf Dach und Keller und das Stellen der Aufenthaltsebene auf Betonpfeiler zum Schutz vor Hochwasser bedingten eine Form, die den Zielen des Funktionalismus entgegenkam, ebenso wie die meist querverschalten Holzwände, die den Charakter des Improvisierten, Leichten betonten. Maritime Motive wie Bullaugenfenster taten ein übriges.
Während der Baustoff Holz jedoch im klassischen Funktionalismus (eine Ausnahme war Konrad Wachsmann) eine geringe Bedeutung hatte, galt er in Österreich wegen seiner geringen Kosten, optischen Leichtigkeit und einfachen Verarbeitbarkeit als zukunftsweisend. Die kostengünstige und schnelle Erstellbarkeit der hölzernen Weekendhäuser führte auch zur Konzeption typisierter Holz-Dauerhäuser. Besonders tat sich hierbei die Klosterneuburger Waggonfabrik Kawafag hervor, die ebenso wie der Dämmplatten-Hersteller Heraklith eine eigene Zeitschrift mit Beiträgen namhafter Autoren publizierte. Für die Entwürfe der Typenhäuser wurden oft Architekten des Frank- und Loos-Umkreises wie Helmut Wagner- Freynsheim, Kastner/Waage, Heinrich Kulka, Max Fellerer und Sammer/Richter beschäftigt. Highlights der Weekend-Architektur sind in Greifenstein Oswald Haerdtls Weekendhaus Hedy Antal und Ernst Schwadrons 1927 entstandenes Strandhaus Lederer. Das meistpublizierte Werk des ebenfalls aus dem Loos-Kreis stammenden Fritz Groß war das Weekendhaus Dr. Messing in Klosterneuburg. Für die Kawafag plante vor allem das heute fast vergessene Büro Fischel/Siller. Da dies keine prominenten Namen sind, wird ihre Weekendhaus-Type »S 8« von Lisa Fischer leider zu Unrecht Adolf Loos zugeschrieben.
Auch Hofmann/Augenfelds 1928-29 entstandenes Kritzendorfer Haus für die Kunstgewerblerin Maria Strauß-Likarz und ihren Mann, den Orthopäden Dr. Richard Strauß an der Donaulände 8 stellt eine ultimativ minimierte Form des modernen Einraum-Grundrisses in schlichten, horizontal gelagerten Bauformen dar. In der Variante »Alle für einen« wurde auf der Nachbarparzelle Donaulände 10 Fischel/Sillers Type »S 8« für den Publizisten Marcell Zappler gebaut. Die Besitzer der Häuser teilten mit den Weekendhaus-Architekten Paul Fischel, Fritz Groß, Ernst Schwadron, Karl Hofmann, Felix Augenfeld, Fritz Rosenbaum und Heinrich Kulka das Schicksal von rund 80 % der Häuschen in »Kritz-les-bains«: «Arisierung« der Gebäude, Emigration der Planer und Besitzer. Gefolgt allerdings von einem wohl einzigartigen Vorgang des Jahres 1945, nämlich der Beschlagnahme aller 1938 enteigneten Häuser durch den couragierten Bürgermeister Hans Reif, der sie den ursprünglichen Besitzern »rückarisierte«.
Zu entdecken ist hier ein noch lange nicht aufgearbeitetes hochinteressantes Kapitel österreichischer Kultur- und Architekturgeschichte. Buch und Ausstellung machen mit einer Fülle von Zeitzeugenberichten, Dokumenten und Objekten eine einzigartige Atmosphäre intellektuell angehauchten Weekendlebens anschaulich, die es in dieser Form wohl nicht mehr geben wird.
Lisa Fischer
Die Riviera an der Donau
Wien/ Köln/ Weimar: Böhlau, 2004
160 S. EUR 19,90
Iris Meder