Sicherheit statt Freiheit
Besprechung von »Schöne neue Stadt. Wie der Sicherheitswahn die urbane Welt diszipliniert« von Elisabeth BlumElisabeth Blum
Schöne neue Stadt. Wie der Sicherheitswahn die urbane Welt diszipliniert.
Basel/Boston/Berlin: Birkhäuser
Bauwelt Fundamente Bd.128
165 S. 23,70 Euro
Sicherheit ist der neue Kultbegriff, schreibt Elisabeth Blum in ihrem Buch Schöne neue Stadt. Das bürgerliche Freiheitsideal wurde in der Bedeutungshierarchie von Sicherheit überholt und gilt als verzichtbar. Wer auf dem Schutz der Privatsphäre besteht und – aus welchem Grund auch immer – keine Lust hat, ständig beobachtet und abgehört zu werden, gilt als verdächtiges Subjekt und muss sich den unsäglichen Spruch - »Wer nichts zu verbergen hat, braucht nichts zu fürchten.« - anhören. Wird man nicht gleich als vermutlich kriminelles Subjekt gebrandmarkt, wird man in Zeiten von Big Brother, das angeblich nach wie vor hohe Einschaltquoten erreicht, und Livecams wohl zumindest als Spaßverderber oder etwas verstaubter Zeitgenosse eingestuft werden.
Anonymität, Größe und Unübersichtlichkeit sind Merkmale der urbanen Stadt, die heute als Unsicherheitsfaktoren gelten und für die »sichere« Stadt verschwinden müssen. Von den ProfiteurInnen und IdeologInnen des Sicherheitswahns wird Kontrolle, Überwachung und Vertreibung von unerwünschten Personen als Notwendigkeit hingestellt, um Öffentlichkeit zu retten, obwohl Öffentlichkeit vielmehr durch das ständige Schüren von Misstrauen zerstört wird, wie Blum mit Verweis auf Hannah Arendt schreibt. Das Elend wird kriminalisiert (Loïc Wacquant). Als Gefahren gelten Arme und Obdachlose und nicht Armut und Obdachlosigkeit. Rudolf Giuliani, der als New Yorker Bürgermeister zero tolerance weltberühmt gemacht hat, bietet sein Konzept des »High Performance Policing« mittlerweile weltweit an. Zu seinen Kunden gehört auch Mexico City, wo seither das Waschen von Autos auf der Straße als mittelschweres Verbrechen geahndet wird.
Die Ausweitung vom bloßen Registrieren von Gesetzesübertretungen oder dem Verhindern klar definierter, konkreter Gefahren zur permanenten Überwachung ohne Anlass hat die »Disziplinierung und Umformung der Menschen« zum Ziel, was, wie Blum kritisiert, nie thematisiert wird, und geht ohne große Diskussion vor sich. »Es gibt keinen breiten Diskurs darüber, daß gerade die Tatsache, daß Überwachen stets an positive Gegenbilder gekoppelt ist, Freiheiten leicht zu verzichtbaren Größen werden läßt.«
Blum beschränkt sich erfreulicherweise nicht nur auf Analyse und Kritik, sondern macht sich über Lösungsmöglichkeiten Gedanken. Dabei verweist sie beispielsweise auf das Projekt »Bojen für Obdachlose« in Paris von Paul Virilio und Chilperic de Boiscuillé. Archigram sieht sie mit ihren Projekten (Plug-in-Cities etc.) noch immer als beispielgebend und schätzt, dass Archigram noch Perspektiven hatten, während heutige ArchitektInnen solche meist nur übernehmen. Die bestehende Stadt muss so ausgerüstet sein, dass sie auf »plötzliche Geschehnisse« reagieren kann. Investitionen in »absterbende Wurzeln« (Rem Koolhaas) statt in prekäre und temporäre Existenzformen sind jedoch nach wie vor an der Tagesordnung. Um eine grundsätzliche Lösung des Problems zu erreichen oder ihr zumindest näher zu kommen, werden diese Vorschläge jedoch nicht ausreichen. Dafür muss man wohl an den Grundfesten des kapitalistischen Gesellschaftsmodells rütteln.
Elisabeth Blum
Schöne neue Stadt. Wie der Sicherheitswahn die urbane Welt diszipliniert.
Basel/Boston/Berlin: Birkhäuser
Bauwelt Fundamente Bd.128
165 S. 23,70 Euro
Christoph Laimer ist Chefredakteur von dérive.