SOHO in Ottakring
Ula Schneider & Ljubomir Bratic im Gespräch mit Christoph LaimerDas Kunstprojekt »SOHO in Ottakring« findet seit fünf Jahren jährlich rund zwei Wochen lang im Brunnenviertel in Wien statt. Für die Zukunft ist ein zweijähriges Konzept vorgesehen, das sich alternierend aus mehrerenVeranstaltungsblöcken zusammensetzt. Mit living room soho wurde eine neue Veranstaltungsreihe geschaffen. Das Überthema lautete dieses Jahr Allianzenbildung. Die Initiatorin Ula Schneider und der heuer als Programmgestalter neu dazugestoßene Ljubomir Bratic geben Auskunft über das neue Konzept, das Verhältnis zu GeldgeberInnen, die künftigen Ziele und etliches mehr. Die Fragen stellte Christoph Laimer.
dérive: Warum fördert die Wirtschaftskammer »SOHO in Ottakring« dieses Jahr nicht mehr?
Ula Schneider: Die Wirtschaftskammer hat das Projekt von Anfang an begleitet und auch die Basis finanziert. Das Interesse der Wirtschaftskammer war im Wesentlichen, die leerstehenden Lokale, für die das Servicecenter Geschäftslokale zuständig ist, zu vermieten. Als das Projekt begonnen hat, war es ein guter Aufhänger, um dafür Werbung zu machen. So ist es zu dieser Kooperation gekommen. Die Zusammenarbeit hat bis zum vorigen Jahr sehr gut funktioniert. Da war aber schon spürbar, dass die direkt Zuständigen sehr viel Druck von oben bekommen haben. Es gibt in der Wirtschaftskammer eine sehr hierarchische Struktur. Für die Servicestelle Geschäftslokale war nicht mehr argumentierbar, dass ein Projekt, das schon läuft, weiter unterstützt werden muss. Das hängt auch damit zusammen, dass sich der Erfolg statistisch nicht entsprechend nachweisen ließ.
dérive: Das heißt, die Wirtschaftskammer hätte sich mehr erwartet?
Schneider: Ja im Grunde schon. Die offizielle Begründung ist die, dass das Kind jetzt schon laufen kann und deswegen keine Unterstützung mehr braucht. Andererseits gibt es nach wie vor Interesse – das heißt ich weiß nicht, ob es nicht vielleicht nächstes Jahr wieder eine Unterstützung gibt.
dérive: War es für dich, als du das Projekt konzipiert hast, ein Ziel, dazu beizutragen, leere Geschäftslokale zu beleben?
Schneider: Meine Idee war, die leeren Lokale, die es ja gab, zu nutzen. Ich hatte allerdings kein langfristiges Konzept. Dass das dann so funktioniert hat, hat sich ergeben. Es gab von verschiedenen Seiten Interesse daran, das Projekt weiterzuführen.
dérive: Hattest du zu einem späteren Zeitpunkt das Gefühl, dass du deine Grundintention nicht mehr verwirklichen kannst und als eine Art Standortaufwerterin benutzt wirst?
Schneider: Diese Gefahr besteht immer, und die Diskussion darüber gibt es auch ständig – zum Beispiel die Gentrification-Debatte. Letztes Jahr war es dann schon so, dass ich das Gefühl hatte, jetzt muss man einmal das Konzept ändern. Wenn man das tut, kommen alle auf einen zu, bekunden ihr Interesse und fragen: »Warum machst du nicht weiter?« Die Interessen sind natürlich ganz unterschiedlich. Die Kaufleute wollen selbstverständlich mehr Umsatz machen, aber darin sehe ich nicht meine Aufgabe. Deswegen war es ganz gut, einmal einen Schnitt zu machen.
dérive: Soll dieses neue Konzept zur Folge haben, dass du deine eigenen Interessen bei dem Projekt wieder mehr in den Vordergrund stellen kannst?
Schneider: Ich finde es wichtig, dass möglichst viele Gruppen und Personen mit einbezogen werden, aber das darf nicht dazu führen, dass die ursprüngliche Absicht verloren geht. Eine Jahrmarksatmosphäre ist nicht in meinem Sinne und auch nicht im Sinne des Kunstprojekte.
dérive: Wie sieht die Zusammenarbeit mit der Gebietsbetreuung aus? Funktioniert die noch?
Schneider: Ja die ist gut, und ich finde es wichtig, lokale Unterstützung zu haben. Es ist ein sehr schwieriges Projekt, und es würde nicht funktionieren, wenn es keine Struktur gäbe. Es geht ja auch darum, das Projekt umzusetzen.
dérive: Soweit ich weiß, ist die organisatorische Struktur ein Verein, beim dem ja auch die Wirtschaftskammer dabei war.
Schneider: Nein, die waren nie im Verein – trotzdem war die Zusammenarbeit schon sehr eng.
dérive: Deine ursprünglichen Ziele waren also, die leerstehenden Lokale zu nutzen und Vernetzungsarbeit zu leisten?
Schneider: Ja, Vernetzungsarbeit war mir auch sehr wichtig. Ich wollte die Kommunikation verbessern, auch wenn mir klar war, dass die Interessen sehr unterschiedlich waren und sind. Die Kaufleute hier vor Ort – es gibt ja den Verein der Kaufleute, die IG Brunnenviertel – haben zum Beispiel sehr lange gebraucht, bis sie gemerkt haben, dass das für sie nützlich sein kann. Wobei die IG Brunnenviertel nur einen Teil der Kaufleuten ausmacht, hauptsächlich Österreicher. Sie vertreten nicht das ganze Viertel, was auch ein wenig problematisch ist. Aber ich habe es soweit geschafft, dass alle z. B. auch die Marktstandler und nicht nur die Vereinsmitglieder mitmachen konnten.
dérive: Das heißt, es gibt zwar Kooperationen mit der lokalen Wirtschaft, nicht jedoch mit der Wirtschaftskammer.
Schneider: Ja
dérive: Wie ist die Kooperation mit Ljubomir Bratic zustande gekommen? Ljubomir hat ja letztes Jahr ein Projekt von SOHO unter anderem auch in dérive (siehe Heft 13) heftig kritisiert. Seid ihr darüber ins Gespräch gekommen?
Ljubomir Bratic: Ula hat sich vor ein paar Monaten an mich gewendet. Ich selbst hatte schon längere Zeit die Idee, einen Reader zu machen, und das habe ich ihr vorgeschlagen. Im Gespräch mit Ula Schneider und Daniela Koweindl haben sich dann Ideen in Richtung eines gemeinsamen Programms entwickelt.
Die Vorgeschichte ist folgende: Ich habe in Ottakring gewohnt, und nicht zuletzt deswegen habe ich SOHO natürlich – wenn auch nur am Rande – verfolgt. Mein Interesse war, ausgehend vom politischen Antirassismus verstärkt ins Kunst- und Kulturfeld zu stoßen. Deswegen war es nahe liegend – vielleicht auch aus Ärger –, mich mit einigen Projekten bei SOHO auseinanderzusetzen. Einige Projekte waren ja sicher auch ganz gut. Was ich als Rezipient, als Außenstehender sehen konnte, was ich an Texten, Manifesten etc. lesen konnte, führte dann zu dem Text, den ich für die Kulturrisse und für dérive geschrieben habe. Daraufhin gab es ein Treffen mit Ula und einigen anderen Leuten, bei dem wir versucht haben, zu klären, worum es dabei eigentlich geht. Das Gespräch verlief aus meiner Sicht sehr unglücklich – sagen wir es einmal so –, was dann für mich der Anlass war, einen zweiten Text für die Kulturrisse zu schreiben. Für mich war immer klar, dass es dabei um eine Geschichte geht, die es wert ist, dass man sich damit beschäftigt, und an der man weiterarbeiten sollte. Ich wollte nicht etwas kaputtreden oder destruieren. Meine Kritik traf sich – ohne mein Wissen – mit dem Wunsch, SOHO neu zu konzipieren. So stieß ich dazu, gestaltete gemeinsam mit Ula Schneider und Daniela Koweindl das Programm des neuen Formats living room soho und verließ somit meine Metaposition, die ich sonst gerne einnehme. Die Organisation blieb bei Ula Schneider.
dérive: Wird es living room soho jetzt alle zwei Jahre geben?
Schneider: Für nächstes Jahr haben wir uns anhand konkreter Projekte die Umsetzung dessen vorgenommen, was heuer für living room soho und für den Reader, den wir im Herbst herausbringen wollen, erarbeitet wurde. Das wird sicher nicht leicht, weil es schwierig sein wird, das alles einzulösen. Ich glaube aber, dass es notwendig ist, diese Richtung zu forcieren und hier weiter zu arbeiten, weil die Praxis ja schon immer nachhinkt. Auf theoretischer Ebene geht alles schneller und ist breiter durchdacht. Es wird sehr wichtig sein, wen wir für die konkreten Projekte einbinden. Es geht ja auch darum, bestimmten Gruppen eine Öffentlichkeit zu verschaffen. Wir hoffen, dass uns mit dem neuen Rhythmus mehr Zeit bleibt, Themen zu reflektieren und zu vertiefen.
dérive: Welche Themen sind es, die nächstes Jahr umgesetzt werden sollen?
Schneider: Das Hauptthema ist Allianzenbildung, was eine gute Möglichkeit ergeben sollte, verschiedene Bereiche zusammenzubringen und die Struktur, die dafür geschaffen worden ist, zu nutzen.
Bratic: Wenn du dir das Programm von living room ansiehst, wirst du merken, dass es schon sehr große Themen gibt: Heute findet z. B. eine Diskussion zu Legalisierung statt. Dieses Thema würde eigentlich schon reichen, living room soho auszufüllen. Wir haben uns ganz bewusst entschieden, viele dieser großen Themen anzuschneiden. Diese Themen sollen natürlich im Reader und in den nächstjährigen Projekten weiterwirken. Wir wollen den Leuten nicht mit dem Zeigefinger sagen, was sie machen sollen, aber eine Möglichkeit bieten, sich mit diesen Themen zu beschäftigen. Viele KünstlerInnen planen ihre Projekte ja langfristig. Für mich ist natürlich der politische Antirassismus sehr wichtig, und die Frage, wie etwas gemacht wird. Es geht nicht nur um das Was, also z. B. die Entdeckung irgendwelcher rassistischer Verhältnisse, sondern tatsächlich um die Strategien und Taktiken, wie wir damit umgehen und wie wir das bekämpfen. Die Allianzenbildung als ein Aspekt dieser strategischen Vorgangsweise ist in diesem living room natürlich das zentrale Thema. Es knüpft auch an andere gesellschaftliche Diskurse, wie z. B. den zivilgesellschaftlichen, an, die sich in den letzten Jahren im Umfeld entwickelt haben. Es gibt einen Raum für eine Weiterentwicklung.
Schneider: Wichtig ist auch, dass wir die Diskussionen so angelegt haben, dass sie auf das Kunstfeld Bezug nehmen, das sie sehr konkret auf Strategien fokussieren, was nicht leicht ist, weil die Leute aus sehr unterschiedlichen Bereichen kommen. Bratic: Es geht nicht um eine Politisierung der Kunst, sondern um Kunst und Politik als tatsächliche strategische Möglichkeit, in bestimmte Herrschaftsdiskurse einzugreifen. Das ist das, was mich interessiert. Die Politisierung der Kunst gab es im vorigen Jahrhundert, die haben die ´68er betrieben. Das ist eine Diskussion, die eigentlich ins Leere gelaufen ist. Ich denke, dass Kunst durchaus als politische Strategie eine Möglichkeit hat. Das gilt natürlich besonders für die Teile der Kunstproduktion, die sich ausdrücklich als politische Kunst verstehen – community art, public art und wie sie alle heißen.
dérive: Werdet ihr spezielle Gruppen ansprechen oder gibt es einen Call für die Projekte?
Schneider: Einen Call werden wir sicher nicht machen, weil es immer Probleme mit der Auswahl gibt. Wir werden eher Gruppen und Personen gezielt ansprechen.
dérive: Das heißt, ihr sprecht Leute an, von denen ihr erwartet, dass sie eure Vorstellungen erfüllen werden?
Schneider: Genau – zwei, drei haben wir auch schon angesprochen. Wie viele es dann schlussendlich werden, hängt auch vom Budget ab. Was heuer bei den Veranstaltungen auffällt, ist, dass sehr wenige KünstlerInnen kommen. Es kommt eher Publikum, das mit der Thematik bereits vertraut ist. Für mich ist das aber nicht so schlimm, weil ich das Projekt längerfristig sehe und glaube, dass in der Umsetzungsphase die Themen mehr Leute erreichen werden Jetzt gab es auch ein wenig Verwirrung, weil es eben heuer nicht dieses Hallodri-SOHO gibt und weil das Programm reduziert ist. Es kommen auch viel weniger Leute, was kein Wunder ist, weil SOHO einen ganz anderen Charakter bekommen hat.
dérive: Ist die Idee mit der Nutzung leerer Lokale in den Hintergrund getreten oder kommt das wieder?
Schneider: Wenn man über längere Zeit Impulse setzt, kann sich so etwas ja auch von selbst entwickeln. Da braucht es nicht unbedingt eine Zentrale, über die das organisiert wird. Die ersten Anzeichen sind, dass schon relativ viele KünstlerInnen hier wohnen und arbeiten und sich auch kleinere Projekte entwickeln, die SOHO als Plattform nutzen, um sich zu präsentieren.
dérive: Wie soll SOHO das Brunnenviertel beeinflussen oder prägen? Was soll sich durch SOHO ändern?
Schneider: Ich sehe das als Prozess. Ich will versuchen, immer mehr Leute einzubinden und zum Beispiel auch die türkischen Geschäftsleute zu erreichen. Ich will Themen in Diskussion bringen. Wobei man natürlich nie weiß, wie sich so etwas entwickelt.
dérive: Das heißt, das Ziel, sich auf den Ort, an dem SOHO stattfindet, zu beziehen und sich damit auseinanderzusetzen, existiert nach wie vor?
Schneider: Sicher. Es hängt aber stark von den Projekten ab. Manche beziehen sich direkt auf den Ort, andere greifen Themen auf, die hier ablesbar sind.
dérive: Werdet ihr als Team das Projekt nächstes Jahr weiterbetreuen?
Bratic: Das wissen wir noch nicht. Wir werden diese Arbeit einmal mit dem Reader abschließen. Dann sehen wir weiter.
Schneider: Für mich ist es ganz wichtig, das Projekt bis zur praktischen Umsetzung durchzuziehen und somit die Vorgabe einzulösen. Gerade die Umsetzung ist ja das Schwierige. Ich bin sehr auf Unterstützung angewiesen, weil ich das alleine gar nicht bewältigen könnte. Ich kann nicht alle Bereiche abdecken.
dérive: Siehst du grundsätzlich die Möglichkeit, dass Projekte wie SOHO es schaffen können, ein Viertel zu beleben, etwas geschehen zu lassen, Kommunikation zu fördern, ohne zum Spielball von Interessensvertretungen wie zum Beispiel der Wirtschaftskammer zu werden, deren Interesse ja eher sein dürfte, das Viertel ökonomisch aufzuwerten?
Schneider: Ich sehe das momentan … das darf ich jetzt gar nicht sagen. Es ist schon ein harter Kampf, weil die Wirtschaftskammer eine mächtige Institution ist und ich ja doch nur eine Einzelperson, eine Künstlerin, die von Subventionen abhängig ist. Es gibt aber durchaus Kooperationen – wie zum Beispiel mit der Gebietsbetreuung, bei denen ein Gleichgewicht herrscht.
dérive: Würdest du künftig, mit Verzicht auf ein großes Budget, SOHO lieber klein, aber dafür eher deinen inhaltlichen Vorstellungen entsprechend weiterführen, oder ist es dir schon wichtig, eine große Veranstaltung zu machen, die ein breites Publikum anspricht?
Schneider: 2003 war SOHO sehr groß. Das will ich eigentlich nicht mehr, weil es inhaltlich stark ausfranst, abgesehen davon, dass es organisatorisch kaum mehr zu bewältigen ist. Jetzt ist es wichtig, sehr diszipliniert vorzugehen, weniger zu machen, aber dafür konzentrierter. Ich will weniger Einzelpräsentationen, dafür mehr Gruppen. Wenn es das Budget zulässt, wäre es schön, im Vorfeld Projekte über einen längeren Zeitraum durchzuführen, die sich entwickeln können.
Bratic: Egal wie es weitergeht, SOHO wird eine Auseinandersetzung mit Machtverhältnissen bleiben. Die Frage ist, welche Effekte am Ende entstehen. Solche, die alles verwässern oder ganz bestimmten Gruppen dienen, oder doch solche, die ein politisches Feld öffnen und Anteilslosen Interventionen ermöglichen. Am besten wäre es natürlich, ein großes SOHO mit den Möglichkeiten, die eine kleinere Veranstaltung zur Verfügung hat, in Einklang zu bringen. Das ist wohl ein Frage der Taktik, die man im jeweiligen gesellschaftlichen Umfeld – in unserem Fall sind das Gebietsbetreuung, Wirtschaftskammer, Geschäftsleute etc. und natürlich die KünstlerInnen selbst – anzuwenden hat. Die sind auch keine homogene Gruppe, auch sie bedürfen einer – wie soll ich das sagen – ich habe es einmal Alphabetisierung genannt. Auch hier gibt es Auseinandersetzungen.
dérive: Dann bin ich gespannt, wie der Reader gelingen wird. Vielen Dank für das Gespräch.
Weitere Informationen über SOHO in Ottakring sind bei http://www.sohoinottakring.at zu finden.
Christoph Laimer ist Chefredakteur von dérive.
Ljubomir Bratić lebt als Philosoph, Sozialwissenschaftler, Publizist, Aktivist und Flüchtlingsbetreuer in Wien.
Ula Schneider