» Texte / Städte und ihre Eigenlogik. Ein Handbuch?

Katrin Ecker


Der LOEWE-Stadtforschungsschwerpunkt der TU Darmstadt hat im Jahr 2011 eine Folgepublikation zu Eigenlogik der Städte von Helmuth Berking und Martina Löw herausgegeben, mit dem die Eigenlogik der Stadt zur Grundlage städtischer Entwicklungsplanungen werden soll.
Die 22 AutorInnen beschreiben, wie sich eigenlogische Strukturen in Städten finden lassen. Ziel war, ein Handbuch für die Praxis zu liefern; eine Praxis, die zunächst negativ definiert wird, als das, was außerhalb der Universitäten liegt. Das heterogene AkteurInnengemisch der Planung bleibt hier eine homogene Wolke. Wer die AdressatInnen dieses Buches sind, wird nicht klar: Richtet es sich an die Politik, die Verwaltung der Stadt, selbstständige Planungsbüros, InvestorInnen, BürgerInnen?
In der Einleitung erinnert Georgios Teriziakis an die Grundzüge der von Berking und Löw geprägten Eigenlogik als unsichtbare Struktur, die sich im intuitiven und unhinterfragten Handeln in der Stadt äußert; die Stadt nicht als Phänomen von Gesellschaft begreifen, sondern als Ausgangspunkt für Forschung; die Stadt als Raum, der — im Gegensatz zum Staat — Inklusion fördert. Urbanität ist das, was Louis Wirth 1938 mit Dichte, Größe und Heterogenität definierte. Eigenlogik lässt sich, so Teriziakis, am besten auf »mittlerer Ebene« fassen.
»Die Stadt als Wirtschaftsraum« wird von Georgios Tereziakis zunächst auf ihre historische Funktion als Marktplatz zurückgeführt und die Forderung abgeleitet, sie müsste für InvestorInnen attraktiv sein. In diesem Sinne beschreiben die folgenden Beiträge etwa auf die einzelne Stadt zugeschnittene Marketingkonzepte (Martina Löw und Sybille Frank) oder die Wirksamkeit städtischer Dichte für Innovation und Kultur (Johannes Rode). Migrantische UnternehmerInnenkultur im Kölner Stadtviertel Ehrenfeld ist das Thema von Raika Espahangizi. In ihrer Fokussierung auf ein Viertel läuft sie dem Eigenlogik-Konzept von Berking und Löw zuwider, das ja die Stadt als Ganzes beschreiben will.
Das Kapitel »Stadt als kultureller Raum« beginnt Peter Noller mit einer Eigenlogik-Definition, die er mit Robert E. Park als die »Kultur einer Stadt« begreift, wobei damit nicht nur die Hochkultur gemeint ist. Im Folgenden leitet Gerhard Vinken den Umgang mit Denkmalpflege im Sinne von Erhaltung authentischer Geschichte versus Fassadenerhaltung vom Geschichtsverständnis der jeweiligen Stadt ab. Ähnlich argumentiert Regine Sauerwein, wenn sie das Scheitern des Projekts* Stadt Lahn* — die Zusammenlegung der beiden Städte Gießen und Wetzlar — beschreibt. Zeitgenössische Alltagskultur kommt bei Kristina Siekermanns Beitrag zur Mode in den Blick und bei Franz Bockrath, der moderne Sportstätten als innerstädtische multifunktionale Lebens-Erlebniswelten umgesetzt sehen möchte.
»Stadt als gebauter Raum« ist in seiner materiellen Hinsicht ein wichtiger Fokus der Darmstädter Stadtforschung (Michael Toyka-Seid). Dazu zählt die Architektur, die mit der Art zu Leben, dem Befinden und Handeln in Einklang stehen muss (Silke Steets). Städtebauliche Wettbwerbe und ihr Verhältnis zur Eigenlogik der Stadt beschreibt Annette Rudolph-Cleff, und Diana Böhm schließt aus ihren Beobachtungen von Bahntrassen am Rande der Stadt, dass diese »eigenlogisch« entwickelt werden sollten. Den städtischen Freiraum Bowling Green und die darum geführten Diskussionen betrachtet Martina Fendt, die dabei angeführten Argumente erscheinen jedoch keineswegs »typisch« für Wiesbaden.
Karsten Zimmermann fordert die Stadtregierung in »Stadt als politischer Raum« auf, sich an lokalspezifischen Kulturen zu orientieren. Johannesburg und Delhi dienen Anna Mayr als Beispiel dafür, dass globale Konzepte auf lokale Gegebenheiten übersetzt werden können. Eine Europäisierung des städtischen Raumes sieht Michèle Knodt im Umgang der Städte mit europäischen Institutionen und EU-Recht. Frankfurt und München in Hinblick auf BürgerInnenbeteiligung stehen im Fokus von Julian Wékels Beitrag und bei Nicola Below und Jaqui Dopfer, wobei ersterer diese für eine nachhaltige Planung fordert und die beiden letztgenannten Autorinnen eine Verbindung zu Tradition und Finanzausstattung der Stadt herstellen.
Die Schlussfolgerungen Hubert Heinelts enden in der Forderung nach umfassender BürgerInnenbeteiligung, weil dadurch ein breiter Konsens erreicht werden könnte. Martina Löw empfiehlt für nachhaltige Planung einen sensiblen Umgang mit dem Eigenen und ein Selbstverständnis der Städte auch im Sinne eines Selbstbewusstseins, weil nur so Kommunikation mit anderen regionalen Playern möglich wird.
Die Beiträge dieses Buches bleiben zumeist an der Oberfläche der Phänomene und liefern keine praxistaugliche Anleitung für konkrete Abläufe der Entwicklungsplanung. Besonders deutlich wird dies an der immer wieder erhobenen (unkonkret bleibenden) Forderung nach BürgerInnenbeteiligung, die übersieht, wessen Logiken hier Eingang in die Planung finden und welche AkteurInnen durch die Binnenlogik der Prozesse von einer Beteiligung ausgeschlossen bleiben. Die verzweifelte Suche nach der Eigenlogik lässt die eigentlich beschriebenen Logiken von Wirtschaft, Politik, Rechtsstruktur, Kultur usw. nicht in den Blick kommen. Dass sich Planung mit Raum und Gesellschaft auseinandersetzen muss (oder zumindest sollte), ist seit langer Zeit fixer Bestandteil des Planungsdiskurses, ein Eigenlogik-Paravent ist dafür nicht nötig.


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