Stadtentwicklung lernen
Besprechung von »Intermediäre Organisation in der Stadtentwicklung« von Sabine GruberDie Förderung von Innovationsbereitschaft in der Stadtentwicklung steht im Zentrum der neuen Veröffentlichung von Sabine Gruber. Die Autorin und Leiterin des Lokale Agenda 21-Büros am Alsergrund in Wien geht davon aus, dass Stadtentwicklung auf einer möglichst breiten Basis stehen muss, um nachhaltig wirken zu können. Keine leichte Aufgabe – divergieren doch bekanntermaßen die Interessen der AkteurInnen aus Zivilgesellschaft, Staat und Markt oftmals erheblich. In zunehmendem Maß sind es intermediäre Organisationen, die an solchen Schnittstellen eine wichtige (kommunikative) Rolle einnehmen. Gruber analysiert hier die Möglichkeitsräume für individuelles und kollektives Lernen und richtet ihren Blick auf das Städtische als wichtigen Ort des Politischen. Als politischen Realitäts-Check führt die Autorin den Maßstab demokratischer Entscheidungsstile ein und verweist damit auch auf Entwicklungsgrenzen der Stadtentwicklung, welche sie auf grundlegende Strukturprobleme gegenwärtiger Stadtgesellschaften zurückführt. Diese Grenzen könnten – so die Hypothese – überwunden werden, indem Stadtentwicklung konsequent als eine Summe von Lernprozessen verstanden wird, in denen sich alle AkteurInnen im Sinne einer Demokratieentwicklung weiterentwickeln und annähern müssen. Im Unterschied zu pädagogisch inspirierten Theorien wie jener der Urbanen Bildung (siehe: Beck, Johannes u.a. (Hg.) (2005): StadtRandNotizen, Bd. 2. Urbane Bildung. Bremen: Edition Temmen.) (Fokus auf Bedingungen, wonach die Menschen die Stadt bilden und die Stadt die Menschen bildet) liegt der Akzent in Grubers Forschungsansatz bei der Betrachtung potenzieller Organisationsformen der Stadtentwicklung. Analysiert wird in erster Linie das Grätzelmanagement in Wien. „Ziel ist es, die Entscheidungsabläufe und Settings zu beschreiben und Voraussetzungen und Verbesserungsvorschläge für gelingende Prozesse und kollektive Wissensgenerierung (organisationales Lernen) zu formulieren“. Aus problemzentrierten Interviews mit ExpertInnen aus den Teilsystemen Zivilgesellschaft, Staat und Markt sowie dem intermediären Bereich erzeugt Gruber ihre qualitative Datenbasis, wobei die ExpertInnen selbst in ihrem Handlungsfeld als AkteurInnen positioniert werden.
Aus einem induktiv-deduktiven Wechselspiel entlang einer (Interview-)textnahen Kategorienbildung extrahiert die Autorin schließlich drei Schwerpunkte: Motivation als Voraussetzung kooperativer Entwicklung, Entscheidungs- und Durchsetzungsstile als Rahmen demokratischer Entwicklung und (Praxis-)Lernen als Schlüssel für Entwicklung. Gruber gelingt es somit einem häufig anzutreffenden Vorurteil aus dem Weg zu gehen: keinE AkteurIn agiert neutral. Insofern versucht sie die im Feld aufgezeichneten (verschiedenen und durchaus widersprüchlichen) Motive aus der Perspektive des individuellen wie auch des gesellschaftlichen Nutzens zu verstehen. Mit eben dieser Kombination gelingt im Vergleich zum Interact-Handbuch Kooperative Stadtentwicklung (siehe: Institut für Städtebau und Wohnungswesen der Landeshauptstadt München (Hg.) (2005): Kooperative Stadtentwicklung: Das Interact Handbuch. Anders denken – Anders handeln. München.), welches sich wie Gruber mit neuen Formen von Urban Governance und dem Entwurf integrierter Stadtentwicklungsstrategien befasst, eine vertieftere Auseinandersetzung mit möglichen Organisationsformen und deren Demokratiegehalt.
Unberücksichtigt bleibt bei Grubers Forschungssetting die für Wien spezifische strukturelle Ausgangssituation der in vielen Bereichen der sozialen Stadtentwicklung maßgeblichen Rolle der klassischen, neuen und mobilen Gebietsbetreuungen. Vor dem Hintergrund der ökonomischen Vormachtstellung der Gebietsbetreuungen könnten etwa im Anschluss an Grubers Versuch einer wissenschaftlichen Differenzierung von Entscheidungs- und Durchsetzungsstilen neue aufschlussreiche Fragestellungen entlang systematischer Vergleiche verschiedener (intermediärer) Organisationen innerhalb der sozialen Stadtentwicklung erarbeitet werden.
Mit der nun als Publikation vorliegenden Abschlussarbeit hat die Kulturwissenschaftlerin den Masterstudiengang Gemeinwesenentwicklung, Quartiersmanagement und Lokale Ökonomie an der Fachhochschule München absolviert. Eine interessante Bildungsvariante auch in Hinblick auf die professionelle Verbindung von sozialer Arbeit und Raumplanung in der Stadtentwicklung. Eine aufschlussreiche und vor allem den ökonomischen und sozialen Aspekten des Begriffs Nachhaltigkeit (siehe das Interact-Handbuch, a.a.O.) geschuldete Publikation, die zum aktiven Weiterdenken und Weiterlernen anregt.
Christian Peer ist wissenschaftlicher Projektleiter an der TU Wien, Fakultät für Architektur und Raumplanung.