Städtische Eigenlogiken
Besprechung von »Soziologie der Städte« von Martina LöwEs gibt gute Gründe dafür, die Stadt nicht mehr zum Gegenstand der Soziologie zu machen. Welchen Sinn hat es, beispielsweise die niederösterreichische Stadt Scheibbs (4331 EinwohnerInnen) und Mexiko-Stadt (ca. 25 Millionen EinwohnerInnen) mit ein und demselben Begriff zu beschreiben? Und dennoch: Obwohl mit dem Wort Stadt so unterschiedliche Orte oder Gebilde wie die genannten gemeint sein können, hält Martina Löw an einer Soziologie der Städte fest. Ihr Clou dabei ist der Plural. Städte sind unterschiedlich und ihre Wahrnehmung wird durch ihre Differenzen untereinander beeinflusst. Ohne „Stadtgemeinden“ wie Scheibbs wäre Mexiko-Stadt vielleicht weniger Megapolis, sondern einfach Großstadt.
Für eine solche pluralisierte Beobachtung müsse die Stadt aber zunächst aus einer Reihe von Gegensätzen gelöst werden, in die die Soziologie sie eingeschrieben habe: Die (moderne) Stadt als Gegenmodell zum (traditionsorientierten) Land, die Stadt als das (tendenziell widerständige) Lokale gegenüber dem Globalen, die Stadt als pars pro toto, nämlich als Laboratorium der national formierten Gesellschaft. Löw leistet also zunächst eine fundierte Bestandsaufnahme der Stadtforschung, indem sie diese Stadt-Konzeptionen der Soziologie beschreibt.
Daran anschließend schildert sie Städte als „sich wandelnde kulturelle Formationen“, die vor allem auch körperlich erfahrbar sind. Deshalb ist es auch nicht die Großstadt an sich, um die es ihr geht, sondern Städte im Plural – es fühlt sich unterschiedlich an, ob man in München ist oder in Berlin. Städte besitzen eine „Eigenlogik“, so Löw, und diese beruh e auf „regelgeleiteten, routinisierten und über symbolische wie auch materielle Ressourcen stabilisierten Handlungsformen.“
Umso merkwürdiger dann, dass der empirische Teil ihres Buches mit einer grundsätzlichen Einschränkung beginnt. Sie kündigt die Untersuchung von „Stadtbildern“ an, versteht darunter aber bloß gebaute und grafische Bilder, also in etwa das Aussehen einer Altstadt und die Postkarte davon. Und sie plädiert dafür, „mentale Konstruktionen nicht als Stadtbild zu bezeichnen“. Das mag forschungsstrategisch sinnvoll, weil besser operationalisierbar sein, ist aber im konkreten Fall der Grund dafür, dass die empirische Analyse weit hinter die theoretischen Ausführungen zurückfällt. Löw vergleicht die „Stadtbilder“ von München und Berlin anhand von je zwei offiziellen Werbekampagnen und je einem (!) Zeitungsartikel über die jeweilige Stadt. Dabei kommen interessante Dinge darüber heraus, wie die Städte jeweils gesehen werden sollen, und dass die Herstellung des offiziellen städtischen Selbstbildes immer auch in Abgrenzung zu anderen Städten geschieht. „Alltagsroutinen“, die für Löw bei der Definition der städtischen Eigenlogik noch zentral waren, werden in dieser Analyse von Repräsentationsformen aber notgedrungen komplett ausgeklammert. Hier geht es nur um Darstellungsweisen.
Bei einer Einschränkung der Vorstellung von „Stadtbildern“ auf Repräsentationsformen, wie Löw sie vorschlägt, fallen eben jene verkörperten Praxen aus dem analytischen Rahmen, die ihr im theoretischen Teil noch so wichtig waren. Es lässt sich dann zwar beobachten, wie stark ein Stadtbild in der offiziellen Darstellung sexualisiert wird (was Löw in ihrer Analyse auch tut). Was die Sexualisierung aber im Alltag bedeutet, welche Wege Frauen nach Einbruch der Dunkelheit nicht mehr gehen und welches Unbehagen angetrunkene Gruppen von Männern auf öffentlichen Plätzen bereiten usw., kann mit dem vorgeschlagenen Modell nicht mehr befragt werden.
Hinzu kommt ein zweites Problem mit ihrer Stadtbildanalyse: Dass die jeweilige Stadt-Werbung vor allem im Kontext der zunehmenden Bedeutung der Städte in der ökonomischen Standortkonkurrenz zu sehen ist, betont Löw zwar. Die Analyse von (grafischen und gebauten) Stadtbildern allein wird aber kaum dazu ausreichen, die verschiedenen AkteurInnen zu benennen, die an der „Textur von Städten“ schreiben. Bilder haben zwar tatsächlich nicht nur die Funktion, etwas abzubilden, sondern sie greifen auch ein in die Herstellung des Abgebildeten. Aber dies e Konstitution wiederum geschieht eben nicht nur durch Bilder, sondern auch durch allerlei andere, sehr voraussetzungsreiche Praktiken. Anders gesagt: Wenn die „Sinnstrukturiertheit“ von Städten auf „in materiellen wie autoritativen Ressourcen abgesichertem Handeln“ beruht, müsste eben nicht nur das Handeln, sondern auch die unterschiedlichen Zugänge zu diesen Ressourcen untersucht werden. Das wäre schließlich auch ein Ansatzpunkt für eine soziologisch fundierte Kritik. Eine solche Kritik müsste dann nicht unbedingt die fortschreitende Homogenisierung und Ökonomisierung en gros beklagen. Solcherlei Niedergangs- und Krisenszenarien kann Löws Betonung der kulturellen und – mit Pierre Bourdieu – habituellen Praxen bei der Herstellung von Städten als „Sinnprovinzen“ durchaus auch analytisch entgegenwirken, weil damit die Praktiken von Einzelnen Gewicht erlangen. Aber dennoch muss es im Hinblick auf ihre strukturierenden Effekte Instrumentarien für die Unterscheidung von Praxen geben: Die Praktiken von Planungsbüros, Stadtverwaltungen und -gremien, die in Public Private Partnership-Geschäften städtische Infrastruktur verscheuern, wirkt schließlich auf eine ganz andere Art und Weise nachhaltig als die Vorstadtjugendlichen, die mit Krawallen indirekt auch auf diesen Ausverkauf reagieren.
Jens Kastner