Stadtplanungen in der Post-It City
Von Barcelona bis Valparaiso oder WienDie Ausstellung „Post-It City. Occasional urbanities“, die dieses Frühjahr im CCCB in Barcelona zu sehen war, präsentierte nach drei Jahren Forschungsarbeit des weitverzweigten „Post-it City-Netzwerks“ über die temporäre Nutzung von öffentlichem Stadtraum und den Stadtraum als Konfliktraum eine Zwischenbilanz. Pamela Bartar, Teilnehmerin dieses City Networks, führte zur Eröffnung der Ausstellung folgendes Interview mit dem Kurator der Ausstellung und Leiter des Forschungsprojekts Martí Peran.
dérive: Martí Peran, als Kurator entwickelten Sie das Forschungs-, Ausstellungs- und Publikationsprojekt gemeinsam mit TeilnehmerInnen aus Architektur, Stadtentwicklung, Stadtforschung, Geografie, Anthropologie und Kunst in Latein- und Nordamerika, Asien und Europa. Entsprechend diesem heterogenen Profil fanden unterschiedliche Fragen und Subdiskurse einen reflexiven Raum, der nun in der Ausstellung im CCCB in Barcelona präsentiert wird. In der Pressekonferenz fiel der Begriff „Innovation“ – nach meinem Verständnis allerdings in einer anderen Bedeutung und Dimensionierung als zum Beispiel der von Joseph Schumpeter häufig zitierte Begriff.
Martí Peran: Ich beginne mit dem Hintergrund des Projekts Post-it City. Es ging um den Versuch das Phänomen in seinem mehrpoligen Spektrum darzustellen. Post-it kann als Mittel des Subjekts verstanden werden, den städtischen Spielplatz zu nutzen und sich Räume anzueignen. Zusammengefasst fokussierte das Forschungsprojekt auf die temporäre Nutzung von öffentlichem Stadtraum in verschiedenen Kulturzusammenhängen. Das können sexuelle, kommerzielle und Freizeit-Aktivitäten sein. Post-it ist also eine urbane Praxis, die auftaucht, sich bewegen kann und wieder verschwindet, ohne Spuren zu hinterlassen. Das ist die zugrundeliegende Idee, an der alle weiteren Aspekte ansetzen. So betrachtet, bedeutet Innovation die Entstehung neuer Subjektivität.
Der zweite bestimmende Aspekt von Post-it ist die Notwendigkeit einer andauernden Reflexion über den Stadtraum als Konflikt-Raum. Es geht dabei um subjektive Bedürfnisse, Notwendigkeiten, Forderungen im Stadtzusammenhang und soziopolitische Fragen. Der Begriff Nachhaltigkeit ist in der Architektur und Stadtentwicklung schon lange keine abstrakte Formel mehr und ich verstehe Post-it City als einen Beitrag zum notwendigen Diskurs.
dérive: Ihr Partnerkurator Giovanni La Varra sprach in seinem Eingangsstatement über so genannte „poor technologies“, die für die Nachhaltigkeit einer Stadtentwicklung wichtige Inputs liefern können …
Martí Peran: Hier spiegelt sich der vorhin besprochene Innovationsbegriff wider. Poor technologies oder Low-Tech-Erfindungen entstehen – abseits der Stadt westlich-postindustriellen Zuschnitts – zumeist aus der Notwendigkeit, mit geringen Mitteln zu überleben. Do-it-yourself spielt hier selbstverständlich auch eine Rolle. Im Kontext von Post-it City ist die Technologiesicht deutlich vom Feld der Architektur geprägt. Post-it Phänomene werden dann als para-architektonische Artefakte erfassbar. Dazu kommt die Verankerung im Lebens-alltag und seinem sozialen Gefüge.
dérive: Das Thema Temporalität (temporäre Nutzung) erlebt seit einigen Jahren in Architektur und Stadtforschung eine auffällige Konjunktur. Mir fiel zum Beispiel im material center der Ausstellung die 2007 von Florian Haydn und Robert Temel herausgegebene Publikation Temporäre Räume – Konzepte der Stadtnutzung auf. Was ist die Ursache dieses breiten Interesses?
Martí Peran: Für mich ist das absolut klar und auch keine neue Beobachtung. Gegenwärtig tendieren alle Städte in der globalisierten Sphäre dazu, zu einer einheitlichen Szenerie mit homogenen AkteurInnen oder NutzerInnen zu werden. Zumindest aus der Sicht und nach Wunsch mancher Interessensgruppen.
Wenn alle Stadträume als Shopping Zonen, Erholungsviertel oder Treffpunkte mit Konsumpflicht designed oder redesigned werden, bleibt für nicht nutzungskonformes Leben kein Raum übrig. Das „Leben“ benötigt die Stadt hingegen als Spielplatz, um für Subjekte und gemeinsame städtische Erinnerungen hypertextuelle Erfahrungen oder ein Palimpsest von Erfahrungen entwickeln zu können.
dérive: In der Pressekonferenz appellierten Sie an Barcelonas Verantwortliche, Post-it City auch als Denkanstoß für übermäßig regulierte Städte wie Barcelona zu verstehen.
Martí Peran: Barcelona hat in den vergangenen Jahrzehnten sehr erfolgreich ein bestimmtes Stadtimage beworben. Klimatisch begünstigt, jung, kreativ und urban könnte man dieses „Barcelona Modell“ beschreiben. Gleichzeitig begann der Zwang, dieses Image aufrecht und den öffentlichen Raum exklusiv für den florierenden Tourismus und ein internationales Publikum zu erhalten. Alles andere muss weichen.
Post-it City hinterfragt Stadtstrategien wie die von Barcelona mit ihrer ausgeprägten „calvinistischen Orientierung“. Das meint, die Haftung an Tradition und Geschichte orientiert sich vor allem an der Trennung zwischen privatem und öffentlichem Raum, den privaten Raum als jenen verstehend, in dem StadtbewohnerInnen in ihrem familiären Zirkel Meinungen und Probleme erörtern sollen. Der öffentliche Raum ist in dieser „Idealvorstellung“ absolut neutral, höflich, friedlich und ruhig. Aber die Stadt ist immer auch ein demokratiepolitisches Projekt, in dem Meinungsaustausch, Kritik und Kontroverse möglich sein müssen. Dieses beinhaltet dann auch hörbare bis laute und unvorhersehbare Prozesse.
dérive: Können Sie die bisher genannten Post-it-Dimensionen anhand von Projektbeispielen in der Ausstellung und in der begleitenden Publikation erörtern?
Martí Peran: Das erscheint mir völlig unmöglich. Die Ausstellung und der Katalog umfassen 78 Projekte forschender und künstlerischer Natur, die im City-Network von rund 20 Städten entstanden sind. Die Fragen bewegen sich am Schnittpunkt von dissenten Interventionen im Lebensraum Stadt und von Praxen, die das Überleben von armen und sozial benachteiligten StädterInnen sichern müssen.
Wichtig erscheint mir, den Blick für die Unterschiede hinsichtlich des Konfliktpotenzials in europäischen und in zum Beispiel lateinamerikanischen Städten zu sensibilisieren. In der Gesamtschau werden die unterschiedlichen Konfliktarten und Ursachen offensichtlicher. Was bedeuten zum Beispiel informelle Verkaufsmärkte in Buenos Aires, in Warschau oder in Barcelona und vielleicht in Wien? In den Straßen und Plätzen südamerikanischer Städte zählen zum Beispiel informeller Handel und Geschäftsgebarungen der armen Bevölkerungsschicht zu wichtigen wirtschaftlichen Antriebskräften. Post-it City kann also auch als ein Archiv von Praxen „zivilen Ungehorsams“ in der öffentlichen Sphäre der Stadt gelesen werden.
dérive: Die Projektgeschichte erscheint mir vielschichtig und sehr aufwändig, Sie haben zuvor 78 Beiträge in der Ausstellung und im Katalog und ein City Network erwähnt.
Martí Peran: Ausgangspunkt waren im Jahr 2005 eine Reihe von Seminaren und ein Workshop im Centre d’Art Santa Mònica Barcelona. Danach folgten weitere von uns in Kooperation geladene Veranstaltungen in zum Beispiel Sevilla, Castello, Tel Aviv, Valparaiso, Bogota, São Paolo und einigen Städten mehr. Das Ergebnis ist ein Archiv von Fallbeispielen, die größtenteils originär für Post-it City entwickelt wurden und einen praktischen Zugang und lokales Wissen über die jeweiligen Städte vermitteln, von denen weltweit 20 an unserem Projekt teilnahmen.
Die Profile der TeilnehmerInnen waren sehr unterschiedlich und inkludierten Kunstinstitutionen, selbstständige ForscherInnen, formale Kollektive und Universitätsgruppen, die selbstständig ihren Blick auf das Phänomen entwickelten. Das Archiv umfasst daher eine Vielzahl von Methoden, Zugängen und Teilfragen. Viele der Teams waren aus jungen ForscherInnen zusammengesetzt. Ich denke, das ist ein wichtiger Aspekt, der einiges über die Dynamiken der Entstehungs- und Vermittlungsprozesse von Ideen aussagt.
dérive: Was lernt man bei der Betrachtung der Post-it City?
Martí Peran: Wir verstehen die Post-it City als neue Forschungsperspektive und als Stadtplanungstool. Der Effekt von Post-it-Urbanismen ist eine Art informelle Stadtplanung. Giovanni La Varra fasst dies in einem Aufsatz zusammen: Er sieht neben den in Zukunft notwendigen Investitionen in die Forschung eine unbedingte Balance in der Ressourcenverwendung, ob in der Architektur oder im städtischen Leben generell. In einem weiteren Punkt müssen öffentliche Räume in der Stadtentwicklung neu gedacht werden und Raum für Post-it-Urbanismen bieten. Er beschreibt dies als latente urbane Qualität, die „nicht invasive“ Transformation zulässt. Nicht zuletzt fördern Post-it spaces neue Formen von Gesellschaft zu Tage. Jedes Post-it produziert einen unterschiedlichen Jargon mit einem eigenen System von Codes. Unabhängig davon, ob sie exklusiv oder einschließend, offen oder geschlossen wirken, stellen sie den „sozialen Horizont“ einer „wachsende Stadt“.
Marti Peran ist Lektor für Kunstgeschichte an der Universität Barcelona und Kurator zahlreicher Ausstellungen in und außerhalb Spaniens.
nahm für PUBLICwienSPACE.net am City Network teil. Der Wiener Beitrag „SEEKING Sights“ basierte auf einer künstlerischen Untersuchung des Wiener Gürtels zu Fragen informeller Nutzungen des öffentlichen Raums und des europäischen Städtetourismus.