Street Art: Straße und Marktplatz
Besprechung von »Street Art-Karrieren. Neue Wege in den Kunst- und Designmarkt« von Heike DerwanzDer vielzitierte Hype der Street Art scheint in den letzten Jahren genug Möglichkeiten individueller, situationsbezogener Ausgestaltung gefunden zu haben. Als einstige Bewegung der Subkultur hat sich die Street Art mittlerweile zum integralen Bestandteil unserer heutigen Kultur entwickelt. Oder auch: zur Kunst der Stunde. In ihrem Buch Street Art-Karrieren zeichnet Heike Derwanz den Weg dreier Street-Art-Künstler nach: Banksy, Shepard Fairey und No Logo/Jens Besser. Sie fragt: Wie entstehen Karrieren von Street-Art-KünstlerInnen und unter welchen Prämissen verlaufen sie erfolgreich? Und, daran anschließend: Wie werden sie zu ProduzentInnen für den Kunst- und Designmarkt?
Warum Karrieren? mag man sich an erster Stelle fragen. Die Autorin beantwortet diese Frage gleich zu Beginn des Buches selbst, indem sie die Terminologie des Begriffes klärt: Als Karriere bezeichnet sie die Abfolge von bestimmten Schritten einer erfolgreichen beruflichen Laufbahn. Statt bei der folglichen, dezidierten Nachzeichnung der einzelnen KünstlerInnen- und Karriere-Schritte jedoch – wie so oft und oftmals auch etwas vorschnell – auf die negativ konnotierte Schiene der Sell-Out-Debatte aufzuspringen, gelingt Derwanz vielmehr eine nüchterne Bestandsaufnahme.
Als großer, konzeptioneller Mehrwert erweist sich die Ausbalancierung verschiedener Parameter, welche die Lektüre sowohl für Street-Art-Interessierte als auch für Szene-interne AkteurInnen relevant macht: Die über sechsjährige intensive Recherchephase bietet eine große Bandbreite an wissenschaftlich fundiertem Fachwissen, dennoch offerieren einzelne Passagen Freiraum für eigene Interpretationen und weiterführende Gedankengänge. Hier lohnt es sich, zwischen den Zeilen zu lesen! Auf ähnliche Weise tragen auch die vielfach integrierten Zitate und Interviewfragmente beteiligter KünstlerInnen oder GaleristInnen zur Rhythmisierung der Lektüre bei und brechen den rein wissenschaftlichen Tonfall für fachfremde RezipientInnen auf.
Neue Erkenntnisse im Umfeld der Karriere-möglichkeiten von Street-Art-KünstlerInnen auf dem Kunst- und Designmarkt eruiert Derwanz u. a. mithilfe einer methodischen wie auch konzeptionellen Neu--Perspektivierung: relevante Dinge, Gege--ben-heiten, Thematiken und Akteur-Innen werden nicht nur dargestellt, sondern zueinander in Beziehung gesetzt. Wobei die Autorin betont: »Jede Karriere und jedes Netzwerk der Street Art-KünstlerInnen ist individuell, es gibt für sie keine Ausbildung und keinen Tenure-Track«. In ihrer Argumentation folgt sie dabei weitestgehend der Eigenaussage des US-amerikanischen Künstlers Dan Witz, der soziale Einbindung als essentielle Grundvoraussetzung und zentrale Kategorie für einen erfolgreichen Weg auf der Karriereleiter ansieht.
Um diese Einbindung(en) adäquat fassen zu können, zeichnet Derwanz innerhalb ihrer Auseinandersetzung ein trans-
nationales Netzwerk verschiedener Akteur-Innen und Akteurswelten nach, welche innerhalb verschiedener gesellschaftlicher Räume durchdeklariert werden: die
Straße, die Medien, der Designmarkt und der Kunstmarkt.
Die Straße, als originären Raum der Street Art, liest die Autorin als möglichen Gegenentwurf zum Betriebssystem Kunst sowie auch vor dem Hintergrund angrenzender Diskurslandschaften und Problemfelder: vor allem Gentrifizierung und Werbung spielen in diese Kategorie hinein.
Durch die (fotografische) Zirkulation und Distribution einer Vielzahl an Street-Art-(Ab)Bildern durch bzw. innerhalb diverser Medien (Zeitschriften, Magazine, Bücher, Filme, Internet) wird Street Art zum Medienphänomen. Die Autorin stellt hierbei vor allen Dingen BloggerInnen als zentrale Schlüsselfiguren in der Lenkung der medialen Aufmerksamkeitsökonomie vor (Stand: etwa 2000 bis 2011). Diese MultiplikatorInnen haben einen wesentlichen Anteil an der Kanonbildung mittlerweile weltweit bekannter Street-Art-KünstlerInnen.
Doch noch vor den großen Kunstmarkterfolgen, so Derwanz, stießen der massenkompatible Street-Art-Trend und die damit einhergehende Ästhetik im Bereich des Designs auf fruchtbaren Nährboden. Finanziellen Rückhalt erlangten Street-Art-KünstlerInnen dabei u.a. durch Characterdesign oder die Gestaltung von Designertoys; die Gründung eines eigenen Labels war im Zuge zunehmender Professionalisierung nicht ausgeschlossen. Die Netzwerkkarte der Street-Art-Welt differenziert sich somit also um einen weiteren Knotenpunkt aus.
Dass das Betriebssystem Kunst mit den ursprünglichen Praktiken (auf) der Straße nicht unbedingt allzu viel gemeinsam hat, wird im Kapitel zum Kunstmarkt eruiert. So fordert eine erfolgreiche und nachhaltige Etablierung auf dem Kunstmarkt die Ausbalancierung jener beiden Pole sowie die aktive Zuarbeit einer Vielzahl von AkteurInnen. »Kunst ist kollektives Handeln«, so die Autorin mit Referenz auf den amerikanischen Soziologen Howard S. Becker.
Auf der Folie verwandter Kunstformen wie Graffiti, Graffiti Art und Pop Art wagt Derwanz abschließend eine kunstgeschichtliche Standortbestimmung der Street Art und diskutiert, wo sich Street-Art-KünstlerInnen heutzutage im Diskursfeld zeitgenössischer Kunst positionieren können. Das Buch schließt mit einer sogenannten »Karriere-Anleitung«, welche die zuvor aufgezeigten Street-Art-Karrieren im Spiegel visueller Kultur reflektiert.
Derwanz schreibt mit Street Art-Karrieren eine umfangreiche Studie zum (Kunst)Phänomen Street Art um die 2000er-Jahre, mit besonderem Fokus auf deren Anschlussmöglichkeiten im Bereich Design und Kunstmarkt/-welt. Der besondere Mehrwert ihrer Bestandsaufnahme liegt vor allem in der mehrdimensionalen BeobachterInnenperspektive, welche Kategorien wie Produktion, Repräsentation, Sozialisation, Kontextualisierung, Marketing und Expansion (erstmals) innerhalb eines sozialen Gefüges zusammendenkt und nicht isoliert voneinander betrachtet. Trotz wissenschaftlicher Fundiert- und Distanziertheit gelingt ihr, mancherorts, ein wohltuender Switch in die Innenperspektive der Street-Art- und KünstlerInnen-Welt, was der Lektüre (die vom Gegenstand eigens geforderte) Dynamik verleiht.
Katja Glaser