
Suburbia und das Eigenheim
Besprechung der Ausstellung » Suburbia. Leben im amerikanischen Traum « Az WSuburbia, das Thema der aktuellen Ausstellung im Architekturzentrum Wien, hat einen schlechten Ruf und wird immer noch wie das Andere behandelt, obgleich es das wohl erfolgreichste Wohnmodell der letzten Jahrzehnte ist. Acht von zehn US-Amerikaner:innen leben in Vorstädten, die allermeisten davon in Einfamilienhäusern. Die Ausstellung wurde vom CCCB in Barcelona entwickelt, vom Az W übernommen, adaptiert und erweitert. Ob in der Ausstellung im CCCB auch die Situation in Spanien eine Rolle gespielt hat, ist nicht ersichtlich, dieser Teil der Ausstellung konzentriert sich jedenfalls auf die USA und unterschlägt ein wenig, dass sich manche historischen Entwicklungen in Europa und Österreich ganz ähnlich vollzogen haben. Was nicht weiter überraschend ist, denn auch in Europa war es im 19. Jahrhundert mit dem Ausbau der Eisenbahn plötzlich möglich, weitere Strecken in kürzerer Zeit zu überwinden, schätzten Reich und Schön (zumindest temporär) das ruhige Leben in ihren Villen am stadtnahen Land, worauf im zweiten Teil der Ausstellung hingewiesen wird.
Suburbia wie wir es heute kennen und verstehen, entstand jedoch unzweifelhaft erst nach dem Zweiten Weltkrieg mit der massenhaften Verbreitung des Automobils und Bauunternehmern wie William Levitt, die Einfamilienhäuser praktisch am Fließband produzierten. Unverzichtbar für den Erfolg war auch der politische Wille und eine Ideologieproduktion, die seinesgleichen sucht. Schon in den 1920er Jahren sorgten Flächenwidmungsgesetze dafür, dass eigene Zonen entstanden, die nur mit Einfamilienhäusern bebaut werden durften. Mit dem Federal Aid Road Act von 1916 machte es sich die Regierung zur Aufgabe, das Straßennetz auszubauen.
Die aus dem Zweiten Weltkrieg zurückgekehrten Soldaten erhielten großzügige finanzielle Unterstützungen, um sich ein Einfamilienhaus in einem Suburb leisten zu können und ein Leben als Kleinfamilie zu führen. Das galt jedoch nur für weiße Soldaten. Entgegen der Vorstellung von staatlich subventionierten Sozialwohnungen auf der einen und selbstfinanzierten Einfamilienhäusern auf der anderen Seite, zeigt sich, dass das Leben in den Suburbs direkt oder indirekt durch den Ausbau der Infrastruktur massiv subventioniert oder durch Steuererleichterungen ermöglicht wurde.
Lange Zeit waren Suburbs von einer extremen Homogenität gekennzeichnet. Während Schwarze in den vernachlässigten Inner Cities lebten, waren die Einfamilienhaussiedlungen der Suburbs für Weiße vorgesehen und es wurde alles dafür getan, dass das auch so blieb. ›White Flight‹ wird das Phänomen des Wegzugs der weißen Bevölkerung aus den Stadtzentren in die Suburbs bezeichnet.
Die Homogenität bezieht sich nicht nur auf die Hautfarbe, sondern auch auf das Familienmodell und vor allem die Rolle der Frau. In einem Video aus dem Jahr 1973, sagt die US-amerikanische Feministin Betty Friedan, dass Frauen in den Suburbs keine Möglichkeit haben, an der »human adult society« zu partizipieren und auf ewig an ihre Rolle als Hausfrau und Mutter gebunden sind.
Riesige von großen Immobilienentwicklern geplante, umgesetzte und verwertete Einfamilienhaus-Suburbs kannte man in Österreich lange nicht und selbst heute existieren sie kaum bzw. nur in viel kleinerem Ausmaß. Die Ausstellung verweist auf eine in Wien gezeigte von Carl Auböck und Roland Rainer entworfene Muster-Fertighaussiedlung (1952–1954), die von der Amerikanischen Wirtschaftsmission unterstützt wurde. Der Erfolg hielt sich in Grenzen, die Häuser waren einfach zu teuer und vielleicht auch zu ›amerikanisch‹.
Hierzulande (und in Europa generell) wurde die Wohnungsfrage in der Nachkriegszeit in Städten vorrangig mit großen Wohnbausiedlungen an den Stadträndern gelöst. In den Kleinstädten und Dörfern regierte das Modell ›Häuslbauer‹, also Einfamilienhäuser, die im Selbstbau oft mit Nachbarschaftshilfe errichtet wurden. Die Kurator:innen des Az W entschieden sich deswegen, sich stärker auf das Eigenheim – egal, wo es steht – als auf Suburbia im Speziellen zu konzentrieren. Die Kritik am Modell Einfamilienhaus ist bekannt. Der Bodenverbrauch und die Infrastrukturkosten für die Kommunen sind enorm. Das Modell ist wenig flexibel, basiert auf einem ganz bestimmten Familienmodell und ist auf einen ebenso bestimmten Lebensabschnitt ausgelegt. Der Besitz von einem, meist zwei Autos ist unumgänglich. Im Alter haben die Bewohner:innen oft keinen Bedarf mehr für die großen Wohnflächen, sind teils von den Betriebskosten oder anstehenden Reparaturen finanziell überfordert, leiden unter fehlender lokaler Infrastruktur etc. Deswegen ist die Frage, wie Einfamilienhäuser adaptiert und umgebaut werden können, damit sie auch künftig sinnvoll genutzt werden können, sehr aktuell. Eine große auch architektonische Aufgabe, für die es einige interessante Beispiele in der Ausstellung zu sehen gibt. (In Österreich gibt es einen Bestand von 1,5 Mio. Einfamilienhäusern.) Ein wenig unscheinbar präsentiert, aber umso interessanter ist die Dokumentation eines Forschungsprojekts der TU Wien, für das zahlreiche Interviews mit Bewohner:innen von Einfamilienhäusern geführt wurden. Sie geben einen guten Einblick sowohl in die Freude als auch in die Sorgen, die mit dem Wohnmodell verbunden sind.
Erwähnenswert ist ein Interview mit dem Filmemacher Todd Solondz, dessen Filme sich oft um das Leben in den Suburbs drehen, und der sehr eindrücklich erzählt, wie sie sich in der jüngeren Vergangenheit verändert haben. Sie sind bei weitem nicht mehr so homogen wie früher, aber die vermeintlichen oder tatsächlichen Probleme in den Städten wegen derer viele einst in die Suburbs gezogen sind, haben sie inzwischen eingeholt. In dieser Hinsicht haben Gated Communities die Rolle übernommen, die einst den Suburbs zugeschrieben wurde.
Suburbia. Leben im amerikanischen Traum
Architekturzentrum Wien, Centre de Cultura Contemporània de Barcelona (CCCB)
06.03.–04.08.2025
Kuratorisches Team: Philipp Engel (CCCB), Lene Benz, Katharina Ritter, Agnes Wyskitensky (Az W)
Gestaltung: Nicole Six & Paul Petritsch
Christoph Laimer ist Chefredakteur von dérive.