Benjamin Steininger


Neben fast jeder Fußgängerzone gibt es Orte, bei denen man zögert, sie eindeutig den Häusern oder den Straßen zuzuschlagen: die Parkhäuser. Der Frankfurter Professor für Humangeografie Jürgen Hasse hat unlängst mit Übersehene Räume einen Beitrag Zur Kulturgeschichte und Heterotopologie des Parkhauses vorgelegt.

Der Untertitel markiert die zwei Perspektiven des Buches. Zum einen werden darin form- und funktionsprägende Bauwerke aus Deutschland und Europa seit der ersten Hochgarage von 1905 in der Rue Ponthieu in Paris bis zur Renaissance ästhetisch durchdachter Parkhäuser der 1990er Jahre vorgestellt. Die automobilen Paläste der 1920er Jahre mit Privatboxen, Clubräumen, 24-Stunden-Läden und Lotsendienst diskutiert Jürgen Hasse dabei ebenso, wie er die Niederungen der Betonungeheuer der Nachkriegsjahrzehnte auslotet. Über automatische Parkregale und die so genannten Car-Lofts, bei denen das geliebte Fahrgestell bis neben die Couch in der Wohnung bugsiert wird, dringt er bis in die Gegenwart vor.

Dieses Interesse an den Details der Parkhausgeschichte, das gilt beispielsweise für die vergessene Vorgeschichte heutiger Regalsysteme in den mechanischen Garagen der 1920er Jahre, an Drahtglas, Stahl und Beton als gerade im Parkhaus ambivalent erprobten „kulturellen Medien fortschrittsorientierten Denkens und Bauens,“ lässt Hasse schließlich mit einem einflussreichen, raumtheoretischen Konzept kommunizieren, dem von Michel Foucault seit den 1960er Jahren entwickelten Terminus der Heterotopie.

Um stabil zu funktionieren benötigt die gesellschaftliche Ordnung „Heterotopien“, „andere Räume“, etwa Traumorte wie Friedhöfe, oder mit Hasse auch Parkhäuser, wo Unvereinbares, Leben und Tod, oder eben Stadt und Automobil in scheinbarer Harmonie zusammengekittet erscheinen. „Parkhäuser fungieren wie Weichen im Mobilitätsverhalten der Stadtbewohner und -benutzer. Sie funktionieren wie ein Katalysator in einem Verhaltensfluß, der das technische Medium der Mobilität aus dem Fluß des Mobilitäts-Verhaltens herausfällt. Die Krise der Organisation der Gesellschaft und die darin begründete Krise des Mensch-Natur-Metabolismus, bleiben von dieser Problemlösung unberührt.“ Diese Lesart des Parkhauses als „Denkstück“ hat einiges für sich, hat man es so nie nur mit Funktionsbauwerken zu tun, sondern mit symbolisch hoch aufgeladenen Symptomen des Politischen. Wenn sich Hasses „Heterotopologie“ dennoch bisweilen etwas bemüht liest, so liegt das etwa an extra reflektierten Wendungen wie „Be-Deutung“, „Be-Denken“, „Er-Fahrung“, „Erleb-nissen“, aber auch daran, dass über Foucaults Reflexionsebene hinaus wenig eigene Begriffe aus den Realien der Parkhausgeschichte destilliert werden.

Leider fehlt auch eine Spur in Richtung der neuesten, offenkundig heterotopischen Carchitecture, zu den Auslieferungspalästen der großen Autoschmieden. Die von Hasse besprochene, vom 1950er Jahre Parkhaus zum edlen Verkaufszentrum geadelte Haniel-Garage in Düsseldorf hätte ein schönes Stichwort geliefert. So endet das Buch unvermittelt mit einem gescheiterten Bauprojekt in Caracas, ohne dass Wolfsburgs Autostadt, Dresdens gläserne Manufaktur samt Peter Sloterdijk auf dem Ahornparkett oder die seit neuestem gefeierte BMW-Welt erwähnt worden wären.

Dessen ungeachtet gebührt Hasse das Verdienst, mit dem Parkhaus einen in technikhistorischer, städtebaupolitischer und damit kultur- und mentalitätsgeschichtlicher Hinsicht aufschlussreichen Aussichtspunkt neu erschlossen zu haben. Dass das gesamte Blickfeld auf gut 200 Seiten nicht abschließend verhandelt werden konnte, darf angesichts der Wendigkeit des Fetischs Automobil und der anhaltenden, immer neue Fatamorganen zeitigenden Krise der Stadt im Individualverkehr nicht erstaunen.


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