Manfred Russo

Manfred Russo ist Kultursoziologe und Stadtforscher in Wien.


Rom ist der große Nachfolger Athens. Allerdings war der großen griechischen Errungenschaft der Demokratie keine allzu lange Lebensdauer beschieden. Die kurze republikanische Tradition wurde bald von einem mächtigen Kaisertum überlagert und abgelöst. Oder, anders formuliert, die bereits in der griechischen polis enthaltenen Widersprüche werden nun schlagend. Ein Geheimnis des urbanen, griechischen Wunders bestand in der Bewahrung einer gewissen Größe der Stadt, bei deren Übersteigung man zur Gründung einer neuen Kolonie gezwungen wurde, was auf die Dauer ein äußerst anstrengendes Unterfangen darstellte.
Platon sah als Idealzahl in der politeia 5000 EinwohnerInnen vor, im Sinne der Möglichkeit eines gemeinsamen Versammlungsortes, doch die Zukunft wies in eine andere Richtung. Für Rom stellten sich die gleichen Probleme wie für Griechenland, nur in einem ungleich vergrößertem Maßstab: Rom war ein riesiges städtebauendes Unternehmen, das kurz vor seinem Untergang eine Vereinigung von 5627 Stadtgemeinden umfasste [1]. Aber die Expansion betraf auch die eigene Stadt, die ihre Stadtgrenzen durch Neuziehung des pomeriums mehrfach ausdehnen musste. Rom war das größte soziale Experiment der Antike als ihm für einige Zeit die erfolgreiche Vereinigung einer großen Völkerschar gelang. Der Boden, den Rom besetzte, blieb Kulturboden bis in die Gegenwart und Entwicklungsort zahlreicher weiterer gegensätzlicher Phänomene des Urbanen. So ist diese Stadt in ihrer Widersprüchlichkeit und Extremität eine der großen Quellen urbaner Faszination, die hier in einigen groben Strichen angedeutet werden soll.

Gründungsritual und Immunsystem

Eine besonders faszinierende städtebauliche Leistung besteht in der Anwendung des Gittersystems für die Stadt und dessen Anbindung an den Nabel Roms, den umbilicus, und der damit vollzogenen Vereinigung von Städtebau und moderner Geometrie bei gleichzeitiger Wahrung einer anthropologisch-psychologischen Endosphäre. Das System eines rechteckigen Rasters war bereits im fünften Jahrhundert von Hippodamus von Milet anlässlich der Neuerbauung der gleichnamigen zerstörten Stadt in Anlehnung an noch ältere sumerische und ägyptische Städte erfunden worden, dort aber einfach ohne rituelle Anknüpfung an einen besonderen Ort über das neue Terrain gestülpt worden. Die Römer hingegen versuchten im Sinne eines Körperschemas die Stadt am Nabel, den umbilicus, festzumachen. An diesem Punkt war die Stadt mit den Göttern unter der Erde ebenso wie mit den im Himmel lebenden Gottheiten verbunden. Zur Verbindung mit den chtonischen Gottheiten wurde ein Loch, der mundus, gegraben, in das man Opfergaben legte. Diese Verknüpfung der Geburtssymbolik des Nabels mit der Stadtgeometrie hatte eine kosmologische Dimension und beruhte auf der Denkvorstellung einer Notwendigkeit zur Verbindung mit den Kräften des Universums. Das drückte sich in besonderer Weise im Stadtgründungsritus aus, über den schon die antiken Autoren wie Plutarch, Livius und Tacitus ausführlich berichten. Nach der Festsetzung des Mittelpunktes aufgrund der Himmelsbeobachtung nach einem komplizierten Verfahren wurden Rinder vor den Pflug gespannt, um diese heilige Grenze durch das Ziehen einer Furche zu markieren. Das Pflügen dieser Grenze, pomerium genannt, wurde übrigens an den Stellen der geplanten Stadttore unterbrochen, um einen Durchgang zu ermöglichen, ohne die heilige Grenze zu verletzen.[2] Nach der Festlegung des Mittelpunktes und der Grenze wurden noch die beiden rechtwinkligen Hauptstraßen gezogen, die sich im Mittelpunkt schnitten, der decumanus von West nach Ost und der cardo von Nord nach Süd. Auf diese Weise wurde ein Achsenkreuz geschaffen, das die weitere Aufteilung der Stadt in symmetrische Quadranten begünstigte und das in jeder römischen Stadt anzutreffen ist. Wenn das Terrain trotz aller Vorteile zur Errichtung einer Stadt nicht zur Anlage eines mundus, also eines Grabens oder einer Höhle, geeignet war, verzichtete man lieber darauf, bis man eine bessere Stelle gefunden hatte. So konnte man Städte geradezu am Fließband entwerfen - eine Notwendigkeit, die angesichts der römischen Eroberungspolitik und Kolonisationstätigkeit freilich auch einen Kulturexport bedeutete, der etwa in Britannien oder Gallien eine Verschmelzung mit der ansässigen Lebensform zur Folge hatte und von den Einheimischen bereitwillig akzeptiert wurde.
Die Vorstellung der römischen Stadt beruhte also auf dem Bild eines heiligen Stadtangers, der nur durch ein besonderes Immunsystem geschützt wird, dessen besondere Mächtigkeit in seiner Unangreifbarkeit aufgrund seines magischen Territoriums liegt und der vor allem von keiner Mauer geschützt zu werden braucht. Diese unscheinbare Furche des pomeriums, die von spärlich gesetzten Ackersteinen gesäumt war und die ein fremder leicht hätte übersehen können, hatte jedoch nicht nur magische Gewalt, sondern auch höchste zivile Bedeutung. Die Oberkommandeure der römischen Armee mussten bei der Heimreise am pomerium demissionieren und den Befehl abgeben. Die Truppen hatten am außerhalb gelegenen Marsfeld zu verbleiben, ein Einmarsch in die Stadt durch Überschreiten des Pomeriums wäre einem Verbrechen gleichgekommen. Ebenso waren Bestattungen innerhalb dieser magischen Furche strengstens untersagt.

Gründungsverbrechen und Energiefluss

Die sakrale Wirkung der Furche als Grenze beruht übrigens auf dem Gründungsverbrechen der Ermordung des Remus durch seinen Zwillingsbruder. Remus hatte die erste Furche übersprungen, um den Stadtgründer Romulus zu verhöhnen, worauf ihn sein Zwillingsbruder erschlagen hatte. Dessen Prophezeiung nach werde es künftig jedem, der die Grenze Roms zu verletzen suchte, gleich ergehen. Anderen Varianten zufolge, Plutarch allein beschreibt deren drei, handelte es sich um einen Kollektivmord durch Aristokraten. Es geht aber in allen Fällen im Sinne Girards[3] um die mimetische Rivalität, deren Objekt Rom ist, und um die nachträgliche Heiligung des Opfers. Remus ist der Sündenbock und transformiert durch sein Opfer den Energiefluss der Gewalt der Rivalen in den Mythos, der zur Stiftung der Stadt führt. Die Heraufbeschwörung dieser Aura des ersten Verbrechens wurde bei den Lupercalien am 15. Februar bis in die Spätantike hinein wiederholt. Angetan mit dem Fell des frischgeschlachteten Bockes umkreisten die Luperci in einem Lauf das Stadtgebiet, um die bösen Mächte zu vertreiben. Das Opfer sollte die Mächtigkeit des Gründungsverbrechens aktualisieren und die stiftende Kraft der ersten Furche erneuern. Diese offenbar über viele Jahrhunderte wirksame Methode der Imagination schuf einen Immunraum von derart großer Intensität, dass er als Voraussetzung für die Entwicklung zahlreicher, auch widersprüchlicher, urbaner Phänomen gelten muss. Erst auf der Basis dieser Sphäre innerer Sicherheit ließ sich das große Experiment römischer Liberalität erproben.

Die Transformation des öffentlichen Raumes zum Kaiserforum

Zum einen setzte Rom das Erbe Athens und der griechischen Polis fort. Die griechische Agora ging im römischen Forum auf, das aber auch die in Athen abgetrennten Tempel der Akropolis wieder aufnahm und nun in einem wesentlich geordneteren Ausmaß und in wesentlich prächtigerer Gestaltung fortlebte. Das Forum war nun kein übersichtlicher Platz mehr, sondern vielmehr ein ganzer Bezirk, eine komplizierte Anlage aus Tempeln und Altären, Rathäusern und von Kolonnaden eingefassten Plätzen für Volksversammlungen. Die Stoa lebte optisch in den mächtigen Säulenhallen fort, ging funktional aber in die neuen, mächtigen Basiliken ein, die eine Art Indoor-Agora ergaben. Dieser neue Gebäudetypus war für Massenveranstaltungen konzipiert und hatte seinen Ursprung in griechischen Gerichtsgebäuden, in deren Frontteil sich das Tribunal befand. Die Hauptcharakteristika der Längsachse, der rechteckigen Form und des Dachstuhles bildeten bekanntlich auch die Grundlage der christlichen Basilika, also einer künftigen, geradezu universalen Baugestalt.[4] Seit Augustus schmückten die Kaiser die Stadt mit langen Straßen und Kolonnadengängen aus, die nicht nur aus Stein, sondern auch aus hohen Buchsbaumwänden bestanden.
Auch wurden die Foren ständig durch neue Bauwerke überlagert oder durch die Gründung neuer Foren, mit denen ein Kaiser seine Vorgänger zu übertrumpfen und sich selbst zu verewigen trachtete, einer Umwertung unterzogen. Das alte Forum Romanum verlor seit Hadrian durch die Abwanderung der Händler an Bedeutung, und die alte multifunktionale Praxis der Agora wurde durch neue, aber zunehmend spezialisierte Nutzungsverhältnisse abgelöst. Auch übernahmen die Basiliken die Agenden des Handels, des politischen Diskurses und anderer Alltagsgeschäfte. Der Gang durch die Straßen und Foren der Stadt wurde auch in zunehmender Weise ein Gang durch riesige Zeremonienräume, die durch ihre Erhabenheit die Bürger an die Präsenz der Herrscher gemahnen und einschüchtern sollten.

Piranesis Entdeckung der Erhabenheit der cloaca maxima

Im Jahre 1756 erscheinen die vier Folio-Bände des italienischen Architekturmalers Giovanni Battista Piranesi unter dem Titel Le Antichita Romane, deren Erscheinen er mit dem Anspruch einer Errettung der Spuren vor den Schändungen der Zeit begründete (vestigia eruderibus). In seinen Kupferstichen verewigt er die Monumente, die nun selbst zu einem flüchtigen Gegenstand geworden sind, für die Nachwelt. Die Zerstörungen der Zeit sollten durch über 250 Stiche aufgehoben werden, die Rom in der Phantasie wieder aufleben ließ. Mehr noch: In seiner erweiterten Fassung der Vedute, die vier Jahre später erscheinen, nimmt er den Zyklus der Carceri wieder auf. Dabei handelt es sich um seine berühmten, frei entworfenen Kerkerskizzen, die er aber nun mit einem historischen Index versieht und in die frühe römische Kaiserzeit datiert. Er vereinigt seine Archäologie des Traumes mit der Geschichte des römischen Imperiums und setzt seine persönliche Imagination der unterirdischen Gewölbe dem historischen Bewusstsein entgegen. Bei seiner Interpretation des Erhabenen geht er aber völlig neue Wege. Schon die Titanen-Bauten der monoton-rohen Formen der unterirdischen Gefängnisse stellen eine Umwertung des klassizistischen Kunstbegriffes dar, der sich auf die Harmonie der Außenwirkung der Gebäude, der edlen Schlichtheit griechisch inspirierter Tempelarchitektur berufen hatte. In für manche Zeitgenossen geradezu aufreizender Weise widmet sich Piranesi der Abhandlung von Nutzbauten; das Aquädukt wird nun dem Tempel gleichgestellt. Ein besonderes Augenmerk gilt der cloaca maxima, der Kanalanlage der Stadt, als einem Beispiel für die magnificenza. Er begeistert sich für die Größe und Erhabenheit des römischen Abwassersystems und seines zentralen Sammelbeckens am Tiber.[5] Auch wir sollten uns dieses Blicks des Piranesi bedienen. Bezeichnenderweise widmet auch Mumford in seinem Rom-Kapitel diesen Anlagen besonderes Augenmerk.[6] Und es handelt sich in der Tat um eine faszinierende Steinkonstruktion, die schon vom Anbeginn im sechsten vorchristlichen Jahrhundert geradezu visionär im gigantischem Maßstab einer künftigen Millionenstadt angelegt war, und die - beinahe unvorstellbar - nach 25 Jahrhunderten noch heute in teilweiser Nutzung steht. Mit diesem Phänomen der großen städtischen Anlage, die auch für die Entwicklung einer Massen- und Alltagskultur Bedingung ist, kommt eine Dimension des Urbanen auf, die den Griechen unbekannt war. Rom erfand die architektonische Formel zur Errichtung großer öffentlicher Anlagen, die zugleich Orte einer modernen Massenkultur wurden. Dort wurden erstmals elementare räumliche Lösungen des städtischen Raumes zur Versammlung und Bewegung der Massen entwickelt, die ästhetisch und funktional bis in die Frühzeit des 20. Jahrhunderts Geltung hatten, wenn man etwa an die beiden grandiosen New Yorker Bahnhöfe denkt, von denen nur mehr die Grand Central Station existiert (die abgerissene Pennsylvania Station war den Thermen des Caracalla nachempfunden). Der Reichtum der öffentlichen Quellen war derart groß, dass sich Rom die Erfindung des öffentlichen Bades leisten konnte, welches wiederum die Erfindung des Aquäduktes notwendig machte, und damit neben der Entwicklung der Arena städtische Formen für die Massenunterhaltung geschaffen hat, die bis in die Gegenwart gültig sind.

Römische Events und negative Urbanität: Todestheater

Ein anderer großer Inspirator der Romantik, Edgar Allan Poe, wird anlässlich eines Besuches des Kolosseums derart von der Aura der verstreuten Trümmer und Postamente ergriffen, dass er diese tiefen Empfindungen in Worten festzuhalten versucht. Ein Vers lautet:

Grandeur, gloom, and glory
Vastness! And Age and Memory of Eid!
Silence! And Desolation! And dim Night![7]

Nun war das Kolosseum tatsächlich eine Stätte des Erhabenen und der absoluten Grausamkeit. Diese simple Geste des Baumeisters, den Halbkreis des griechischen Amphitheaters zu einem Rund oder Oval zu schließen, um daraus die Form der Arena zu schaffen, beruht zum einen auf architektonischer Genialität und wird andererseits authentisches Zeichen der Ausweglosigkeit der in die Gladiatorenspiele geworfenen Tiere und Menschen. Die Blickorganisation, die bei den Griechen noch auf die Bühne fokussiert war, ist jetzt auf das Zentrum des blutigen Geschehens, die Mitte des Gemetzels gerichtet. War die Bühne noch Erscheinungsort von Göttern und Menschen, so verlangt der neue Materialismus der Massenkultur die pure Realität des Todeskampfes. Sie ist eine Einübung in die Anerkennung der Gewalt und in die Erkenntnis, dass man nur als Sieger überleben kann. Dem Kaiser ist es durch die berühmte Geste der missio, des nach oben oder nach unten gestreckten Daumens, überlassen, über Sieg oder Niederlage zu entscheiden, wobei er wohl beraten ist, nicht gegen die Meinung des Mob zu handeln, der hier die Nicht-Solidarität perfektioniert. Das berühmte Kapitel über die Spiele in Augustinus' Confessiones macht deutlich, dass die christliche Verfemung der Schaulust hier ihre Wurzeln hat, und ihre Lehren aus der Erfahrung der Gewaltfaszination zieht. Gleichzeitig werden die frühen Christen mit jenem Fatalismus konfrontiert, der sie das Ertragen des Märtyrertodes erlernen lässt. Das Rondeau des Kolosseums wird für sie zum Zeichen der Ausweglosigkeit dieser Welt, der nur eine radikale Gegenwelt im Jenseits entgegenzusetzen ist. Es wird anderthalb Jahrtausende währen, bis man in Rom wieder, diesmal am Platz vor St. Peter, durch Bernini eine neue Arena in Form eines Ovals errichten wird, diesmal im Zeichen der christlichen Globalisierung und des religiösen Theaters.

Früher Sozialstaat aus dem Geiste des Synoikismos** [8]

Rom war, wie bereits von Spengler in seinem »Untergang des Abendlandes« erwähnt wurde, durch einen riesenhaften Synoikismos geprägt. Aber schon Vitruv ging davon aus, dass das Feuer älter als das Haus ist. Er sah im Feuer in seiner wärmenden und nährenden Funktion und dem es umgebenden Menschenring die Urform der Gesellschaft; in der Fassung des Feuers durch den Herd entstand die Hütte, die diese Funktion in sich aufgenommen hatte. Erst am Feuer und der gemeinsamen Mahlzeit vollzog sich Gesellschaft. Die Grundkonzeption Roms als Stadt beruhte auf diesem Modell des Hauses, und aus diesem Grund befand sich auch der Staatsherd der Vesta auf dem Forum Romanum. Die VestalInnen sorgten dafür, dass sein Feuer nie erlosch. Aus dieser Vorstellung eines Zusammenlebens im Großen heraus entwickelte sich eine gewissermaßen primitive Idee der Solidarität, die in eine rudimentäre Vorform des Sozialstaates mündete. Im Zeitraum zwischen hundert vor und zweihundert nach Christus wuchs Rom auf eine Größe von mindestens 1,5 Millionen EinwohnerInnen heran. Ein Gutteil davon, die Schätzungen gehen weit auseinander, war ausschließlich auf öffentliche Unterstützung durch Getreidespenden angewiesen. Berüchtigt waren auch die teuren, überfüllten und schäbigen Mietskasernen, die insulae, die häufig vom Einsturz bedroht waren. Neben der materiellen Basisversorgung wurde auch die Unterhaltung durch die Sensationen der Zirkusspiele und den Hedonismus der Bäder kostenlos gewährt. Die Aufgabe der Volkstribunen bestand hauptsächlich darin, die Forderungen der am politischen Prozess ausgeschalteten plebs an den Senat weiterzuleiten. So war auch das politische Leben Roms durch ein Bündnis zwischen der herrschenden Elite der Aristokratie und dem Proletariat gekennzeichnet, dessen schweigende Zustimmung durch die Sozialleistungen der Getreidespenden und die öffentliche Finanzierung der Unterhaltungsmedien Zirkus und Bad erkauft wurde. Diese kalkulierte Großzügigkeit galt allerdings nur für die freien Bürger, nicht für die Sklaven, die in Rom wechselvolle Zeiten erlebten und sich auch zu Aufständen erhoben. Andererseits gab es die Möglichkeiten des Freikaufes und des Freigelassenwerdens, letzteres ein Usus von dem viele Herren in ihrem Testament Gebrauch machten. Vereinzelt gelangten auch Sklaven aufgrund ihrer Tüchtigkeit zu Reichtum und konnten sich freikaufen. Petronius setzte dem Trimalchio, der als reicher Freigelassener die Dekadenz des Adels zu Neros Zeiten zu überbieten versuchte, im »Satyricon« ein literarisches Denkmal. Die Beschreibung eines Wandgemäldes im Eingang seiner Luxusvilla zeigt Stationen seines Lebensweges; die Beschreibung der ersten lautet: »Es war da eine Sklavenschar mit Preisschildern gemalt und Trimalchio selbst mit langem Haar, wie er, den Heroldsstab in der Hand und von Minerva geleitet, Einzug in Rom hielt ...« [9] Ein ehemaliger Sklave lässt sich seinen Erfolgsweg vom Sklavenmarkt zur Millionärsvilla in Fresken malen. Erstaunlich hingegen ist die deutliche Verbesserung des Status der Frau im Vergleich zu Griechenland. Die Frauen waren nun erbberechtigt, konnten bei der Eheschließung unter bestimmten Umständen ihr Vermögen behalten, das Haus war nicht nach Geschlechtern differenziert, die Frau konnte es jederzeit nach Wunsch verlassen, und man erwartete von ihr auch das Erscheinen in der Öffentlichkeit und die Teilnahme an Gastmahlen. Ein Grund für den Wandel mag vielleicht in einer veränderten Beziehung der Väter zu ihren Töchtern liegen. Von Cicero etwa ist ein umfangreicher Briefwechsel zum Projekt eines Erinnerungstempels nach dem Tod seiner über alles geliebten Tochter Tullia erhalten, in dem er seinem Schmerz Ausdruck verleiht und sich noch große Sorgen um den Fortbestand des Tempels nach seinem eigenen Tod macht.[10]

Fußnoten:


  1. Lewis Mumford, Die Stadt, Köln, Berlin 1983, S. 24 ↩︎

  2. Plutarch, moralia, 270F-271A, Leipzig 1971 ↩︎

  3. Rene Girard, Der Sündenbock, Düsseldorf 1998 ↩︎

  4. Richard Krautheimer, Early Byzantine Architecture, London/New York 1986, S.43 ↩︎

  5. Norbert Miller, Archäologie des Traums, München 1994, S. 236 ↩︎

  6. Lewis Mumford, Die Stadt, Köln/Berlin 1983, S. 252 ↩︎

  7. Edgar Allan Poe, The Coliseum, in: The Poems of E. A. Poe, Hg. Floyd Stovall, Charlotteville 1965, S. 57 ↩︎

  8. Synoikismos: »Es ist der Gipfel des euklidischen Formwollens innerhalb der politischen Welt. Man kann sich den Staat nicht denken, solange nicht die Nation auf einem Haufen, als ein Leib ganz körperlich zusammensitzt.« aus: Oswald Spengler, Der Untergang des Abendlandes, München 1972, S. 1033. ↩︎

  9. Petronius, satyricon reliquae, 29, Stuttgart/Leipzig: Ed. K. Müller, 1995 ↩︎

  10. M. Tullius Cicero, epistulae ad Atticum XII, 18,19, Atticus-Briefe, nach H. Kasten, München/Zürich 1990 ↩︎


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