Temporäre Bauten
Besprechung von »Architektur auf Zeit. Baracken, Pavillons, Container« herausgegeben von Axel Doßmann, Jan Wenzel und Kai WenzelDas Temporäre in Architektur und Stadtplanung hat seit einigen Jahren Konjunktur, auch auf dem Buchmarkt, wobei mit der Abschlusspublikation des Forschungsprojektes Urban Catalyst, die im Frühjahr 2007 bei Actar erscheinen soll, noch ein zentraler Beitrag zum Thema aussteht – immerhin gehörte dieses Projekt zu den Pionieren des Themas im deutschsprachigen Raum. Die Publikationen lassen sich dabei grob in zwei Kategorien ordnen: einerseits diejenigen, die sich mit den architektonischen Phänomenen befassen und dabei dem sozialen, kulturellen und politischen Kontext meist wenig Aufmerksamkeit schenken; und andererseits urbanistische Beiträge mit Schwerpunkt auf diesem Kontext, bei denen die materiellen Ausformungen des Themas in den Hintergrund treten. Der siebente Band der sehr verdienstvollen Reihe metroZones bei b_books, Architektur auf Zeit, bildet hier eine eindrucksvolle Ausnahme. Er beschränkt sich – durchaus zu seinem Vorteil – auf einen bestimmten Ort, nämlich Leipzig, und auf den Zeitraum vom späten 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart. Und er konzentriert sich auf Mittel der temporären Architektur, nämlich Baracken, Pavillons und Container, um an diesen Beispielen und in diesem Rahmen das Feld durchzudeklinieren.
So wird der Container als gestaltetes Objekt thematisiert, um anschließend im Zusammenhang mit seinem Einsatz in Flüchtlingslagern gezeigt zu werden, was wiederum zu einem Interview mit Holert/Terkessidis über die „unsichtbaren“ Flüchtlingslagergemeinschaften führt. Eine Darstellung von temporären Bauten für politische Repräsentation auf dem Leipziger Augustusplatz vom Königreich über Nationalsozialismus und Sozialismus bis in die Gegenwart führt weiter zum Thema Fürsorge mittels Baracken für Obdachlose, Flüchtlinge, Kinder, Studierende und zu einem Essay über Baracken als Regierungstechnik. Es folgt eine kleine Geschichte des Lagers in Leipzig und Umgebung in Stationen – dazu zählen ebenso Zwangsarbeitslager und ein KZ-Außenlager während des Nationalsozialismus, anschließend als Flüchtlingslager genutzt, wie ein Lager für Asylwerber, das bis 2005 bestand. Im Essay über Lager im Stadtraum findet sich eine Reflexion über den Ausdruck Lager, dem ein Mitarbeiter des Leipziger Sozialamts während eines Telefonats die Begriffe Heim und Unterkunft vorzieht, weil hier „ja eigentlich normale Menschen“ leben. Zum Abschluss folgt eine Dokumentation von Provisorien der Wiederaufbauzeit, von temporären Messebauten und Verkaufsbauten wie Pavillons, Kiosken und Zelten und schließlich ein Artikel über Straßenabsperrungen, endend mit dem Sicherheitskorridor um das Leipziger US-Konsulat.
Gemäß den Autoren sind Architekturen auf Zeit ein Mittel, um Verwaltung zu optimieren: auf Fragen des Bevölkerungs- und Stadtwachstums, der Hygiene, Mobilität und Sicherheit, des Kriegs und Handels kann man damit schneller, flexibler und berechenbarer antworten. Die Bauten sind die technische Antwort auf soziale und ökonomische Probleme. Dies gilt bereits für das 19. Jahrhundert, doch auch heute bieten Provisorien eine erwünschte Vermischung von „Berechenbarkeit und Kontingenz“ – Herrschaft basiert demgemäß auf der Operationalisierung und Inszenierung von Paradoxa. Die provisorischen Bauweisen ermöglichen rasches Reagieren, schnelle Errichtung und Entfernung, große Flexibilität und geringe Kosten. In vielen Fällen werden sie allerdings zu Dauereinrichtungen, wie etwa im Falle der Flüchtlings-Containerlager. Und auch das ist kein Zufall: die Dauerprovisorien zeigen nicht nur, dass hier wenig Geld für Asylwerber ausgegeben wird. Sie signalisieren auch eine doppelte Temporalität: erstens der Bewohner, die ja nur kurzfristig hier wohnen sollen, um bald einen regulären Status zu erlangen (wo auch immer); und zweitens des sozialen und politischen Problems, das bald „gelöst“ sein soll und dann die Lager unnötig machen wird. Dazu gibt es durchaus symbolische Entsprechungen beim provisorischen Lebensstil der „urbanen Penner“, wie das kürzlich in der Berliner zitty genannt wurde, also der unter prekären Bedingungen tätigen Kulturarbeiter, der sich ebenso im Temporären, in zwischengenutzten Fabrikslofts, leeren Geschäftslokalen und temporären Clubs manifestiert. Doch auch diese Publikation muss die immer wieder bemängelte Diffusität der Begriffe vom Provisorischen, Temporären und Ephemeren eingestehen: „Es ist der konkrete Gebrauch, nicht die Architektur oder Technik ‚an sich‘, der wichtige Schlüsse auf die Gesellschaft zulässt.“
Robert Temel ist Architektur- und Stadtforscher in Wien.