The contemporary city: grey, flat and empty?
Besprechung von »Unmapping the City: Perspectives of Flatness« von Alfredo CramerottiAlfredo Cramerotti, italienstämmiger Künstler, Autor und Kurator am QUAD, dem Kunst-, Medien- und Film-Zentrum in Derby (UK), hat zu Beginn des heurigen Jahres mit dem quadratisch formatierten als Broschur gebundenen Band Unmapping the City die erste von derzeit geplanten fünf Ausgaben einer neuen Serie namens Critical Photography im Verlag intellect herausgegeben. Im Vorwort schreibt er über die Transzendenz und die transzendierende Kraft der Fotografie und davon, wie stark unser alltägliches Leben von (fotografischen) Bildern durchdrungen ist. Und weil unser Leben auch aus einer ständigen Textflut besteht, so Cramerotti weiter, stellt er der Fotografie theoretische Texte gegenüber und beide nebeneinander.
Die Fotografien Cramerottis – von 2004 bis 2009 in vierzehn nicht näher genannten Städten entstanden – sind als Bildstrecke angeordnet, in der sich jeweils zwei Bilder gegenüberstehen. Sie wird etwa in der Mitte durch zwei Texte – einen Essay von Jonathan Willett und einen von Inês Moreira – unterbrochen. An den insgesamt 36 Fotografien fällt zunächst die Stumpfheit der Farben auf. Es dominieren blaustichige Grautöne, sowohl an den Gebäuden als auch im oft große Bildteile einnehmenden Himmel. Wenn Farben vorkommen, sind sie sehr gedämpft. Wie der Untertitel des Bandes, Perspectives of Flatness, verrät, versucht Cramerotti in seinen Bildern die Zweidimensionalität der Fotografie zu betonen, was ihm mal besser, mal weniger gut gelingt. Die Fotografien sind bis auf eine Ausnahme menschenleer und wiederum mit einer Ausnahme frei von Schriftzeichen, was eine räumliche Verortung der Aufnahmen im Prinzip unmöglich macht. Die Fotos sind auch nicht betitelt oder beschriftet, die Darstellung eines universellen Weltstadt-Bildes dürfte also die Intention Cramerottis gewesen sein.
Dies bestätigt auch Jonathan Willett, freiberuflich als Bilderforscher tätig, Autor in Nottingham (UK), in seinem Essay, der den Titel des Bandes aufnimmt. Er spricht von der Kraft abstrakter Bilder konkreter Orte, die es dem Foto ermöglichen »a cultural index of the unknowable City« zu werden. Willett zeichnet eine Kulturgeschichte der Fotografie in Kombination mit der Architektur und Theorie der Moderne und der Stadt nach, beginnend im 19. Jahrhundert, über die Impressionisten, Surrealisten und Kubisten hin zur zeitgenössischen Fotografie eines Andreas Gursky oder Frank Thiel. Seine These ist, dass sich Fotografie und Stadt bzw. der Mensch gegenseitig beeinflussen und konstituieren. Er begreift die Fotografie im Sinne Allan Sekulas als »territory of images«, das den rationalisierten modernen Raum mit einer virtuellen Architektur aus Zeichen überlagert hat. In Cramerottis fotografischen Arbeiten sieht Willett Verbindungen zu nahezu allen Perioden der Fotografie-, Kultur- und Stadtgeschichte. Als Kennzeichen einer kritischen, postmodernen Fotografie bezeichnet Willett das Interesse an Schnittstellen, welches das Interesse der Moderne an der Oberfläche abgelöst hat.
Einen zweiten, weitaus kürzeren Textbeitrag, A Middleword betitelt, liefert die portugiesische Architektin, Kuratorin und Forscherin Inês Moreira. In der dritten Person erzählt sie, als wäre es ein Kapitel in einem Roman, ihre Innensicht auf Fragen von Raum und Raumrepräsentation. Von den Schwierigkeiten der zweidimensionalen Darstellung architektonischer Räume, von der Unordnung unserer Welt und den Komplikationen der täglichen Architekturpraxis, um in der Feststellung zu enden, dass sie aufgehört hat zu fotografieren, um den Raum nicht an seiner Veränderung zu behindern.
Fazit: Um den von Jonathan Willett behaupteten filmischen Charakter der sequenziellen Abfolge der Fotografien begreifen zu können, ist die Broschurbindung hervorragend geeignet; man kann die Bilder wie in einem überdimensionierten Daumenkino vor seinem Auge durchlaufen lassen. Leider stört der in die Mitte gesetzte Textteil den Bilderfluss dann jedoch erheblich. Im Spiegel von Jonathan Willetts Text erscheinen die Fotografien oftmals gezwungen, stilistisch abgedämpft und mit einem blaugrauen Stich versetzt – Jonathan Willett nennt dies eine »superficial patina«. In seiner Bildsprache scheint Cramerotti stark von den Arbeiten Lewis Baltz´ beeinflusst zu sein, der in den 1970er Jahren mit Schwarz-Weiß-Fotografien suburbaner Landschaften Kritik an den Ausuferungen der Moderne üben wollte. Cramerotti bedient sich damit einer historischen Bildsprache, die in Anbetracht des Anspruchs, das zeitgenössische urbane Unbewusste an der Schnittstelle von Infra-Struktur der Stadt und Info-Struktur der Medien darzustellen, nicht mehr recht passend scheint.
Katrin Ecker