The Games Are Open
Kunstinsert von Folke Köbberling und Martin KaltwasserThe Games Are Open wurde im September 2010 in Southeast False Creek in Vancouver (Kanada) im Rahmen der Olympischen Winterspiele realisiert. Ein detailliertes, naturgetreues Modell eines gigantischen Bulldozers (6 x 7 x 14 m) wurde unter reger Teilnahme von Kunststudierenden, Freiwilligen und BewohnerInnen des für die Winterspiele 2010 entstandenen Olympischen Dorfes aus 1.000 so genannten Wheatboards (Bauplatten aus hochverdichtetem Weizenstroh) aufgebaut. Diese wurden vor den Olympischen Winterspielen 2010 in den Apartments des Olympischen Dorfes eingebaut, um besonders wertvolle Wohnungsausstattungsteile vor den Athleten zu schützen. So waren beispielsweise wertvolle Kücheneinrichtungen komplett mit dem wie Spanplatten aussehenden Material beplankt. Nach den Spielen sollten diese Luxusapartments direkt an potente KäuferInnen makellos verkauft werden.
Prozesse, die Themen wie Recycling und Nachhaltigkeit jenseits von wirtschaftlich geprägten Smart-City-Konzepten behandeln, stellen einen wesentlichen Schwerpunkt der künstlerischen Arbeit von Folke Köbberling und Martin Kaltwasser dar. Recycling wird dabei zu einem direkten Umwertungsprozess, der hier als strukturelles détournement von Weggeworfe-nem behandelt wird und somit die klassische Wiederverwertung von Material überschreitet.
Das Material stammt von den Bauarbeiten zu den Olympischen und Paralympischen Spielen und hat so einen direkten örtlichen und materiellen kontextuellen Bezug zum Ort.
Sogar das Sammeln des Materials selbst ist bereits Teil der Arbeit. Die Wheatboards werden entsprechend dem neuen Einsatz zersägt, um sie in einem Patchwork einer neuen Struktur wieder einzusetzen. Dabei ist die eigene menschliche Arbeitskraft integraler Bestandteil ihrer künstlerischen Arbeit, die thematisch die daraus entstandene Maschine – wie hier den Bulldozer – in Frage stellt bzw. konterkariert. Das Objekt wird zum Gegenkonzept des dargestellten überdimensionalen Abbildes.
Bei The Games Are Open wurde der Prozess noch fortgesetzt: Der Bulldozer wurde bewusst der Witterung ausgesetzt, sodass er langsam erste Erosionserscheinungen zeigte und damit der eigentliche skulpturale Prozess einsetzte. Teile fallen herab, stürzen in sich zusammen, die Wheatboards eröffnen Tieren und Pflanzen Nahrung und Platz, sich in ihnen einzunisten, zu wachsen und der Großskulptur allmählich eine andere Form zu geben. Erste Graffiti werden aufgesprayt, welche dann wieder sorgsam von Projektbeteiligten entfernt werden. Der Bulldozer wird immer kleiner und verfällt während sein Pendant aus Stahl, Aluminium und Diesel irgendwann zum Entsorgungsproblem wird.
Das Berliner Künstlerduo Folke Köbberling / Martin Kaltwasser ist – abgesehen von seinen vielfältigen anderen internationalen Projekten – auch in Österreich sehr präsent.
So haben sie z. B. 2011 »Rolltreppe im Wunderland«, ein viel diskutiertes Projekt für Leobendorf, im Rahmen von Kunst im öffentlichen Raum Niederösterreich, 2012 »Wassertürme« auf dem OK-Centrum für Gegenwartskunst in Linz und »Veredelung«, ein Projekt im Rahmen der Regionale 2012 in Murau, realisiert.
Derzeit planen Folke Köbberling und Martin Kaltwasser im Rahmen von »Choreographie einer Landschaft« (kuratiert von Markus Ambach) ein Kraftwerk auf dem Gelände der ehemaligen Zechenanlage Dinslaken-Lohberg, dessen Aufbau rein über Muskelkraft bewerk-stelligt werden wird. Keine elektrische Bohrmaschine, keine Kreissäge, kein Kraftfahrzeug mit Verbrennungsmotor wird zu Hilfe genommen. Alles wird mit Muskelkraft auf dem Fahrrad herangeschafft, und über die Betätigung der eingebauten adaptierten Fahrräder wird dann auch der Strom erzeugt.
Für weitere Informationen — http://www.koebberlingkaltwasser.de
Barbara Holub ist Künstlerin und Mitglied von transparadiso, einer Platform für Architektur, Urbanismus und Kunst.
Folke Köbberling
Martin Kaltwasser
Paul Rajakovics ist Urbanist, lebt und arbeitet in Wien.