The Mismeasure of Paradise
Kunstinsert von Gabriele SturmFür the taste of paradise – von einem Ende der Handelskette zum anderen ist Gabriele Sturm im wahrsten Sinne des Wortes bis an das andere Ende der Welt gelangt: In Bremen entdeckte die Künstlerin in einer Vitrine im Überseemuseum einen Paradiesvogel, der sie an die Hutfedern älterer Damen in ihrer Kindheit erinnert hatte. Gabriele Sturm beginnt eine intensive Recherche der (deutschen) Kolonialzeit auf Papua-Neuguinea und den daraus resultierenden Handelsbeziehungen zu Deutschland und Österreich. Während sie die intensive Spurensuche startet, sendet sie eine dieser Federn nach Papua-Neuguinea zurück, die sie dann in die entlegensten Dörfer Papua-Neuguineas verfolgt. Im Laufe ihrer Recherchen findet sie weitere Stränge, die symptomatisch für das immer noch koloniale und ressourcenverachtende Handeln unserer Gesellschaft stehen. Den Fokus legte sie dabei auf den Warentransfer und die De- und Neukontextualisierung der kulturellen und inhaltlichen Bedeutung.
Gabriele Sturm recherchiert und verknüpft in ihren Arbeiten unterschiedliche zeitliche und räumliche Ebenen, wobei sie sich nie mit einfachen Antworten zufrieden gibt. Vielmehr stellt sie diese dann in aktuelle politische und wirtschaftliche Zusammenhänge, wie hier die heutigen Handelsbeziehungen zwischen der EU und Papua-Neuguinea, die u.a. vom flächendeckenden Thunfischfang vor den Küsten Papua-Neuguineas und der Ausbeutung des tropischen Regenwaldes geprägt sind.
Diese konsequente künstlerische und politische Herangehensweise ist auch typisch für andere Projekte von Gabriele Sturm, in denen sie den Mikrokosmos der jeweiligen Umwelt mit dem Makrokosmos der globalen Zusammenhänge verbindet. So verfolgte sie persönlich bei Wie weit ist weit? (2006/07) Tomaten mit einem LKW-Transport aus der Südtürkei bis zum Großgrünmarkt von Wien Inzersdorf. Während dieser Zeit erhielt die Neue Galerie Graz von der Künstlerin regelmäßig SMS für die Ausstellung Un/fair Trade mit den genauen Positionen und Bedingungen der von ihr begleiteten 20 Tonnen Tomaten.
Ob nun eine Feder, eine Tomatenverpackung oder Wetterveränderungen – ihre Projekte sind geprägt von präzisen Fragestellungen, die sich an Gegenständen oder Situationen entzünden. Aus den performativen Projekten entstehen unterschiedliche künstlerische Artefakte, die sich zu einem Geflecht aus Installationen, filmischen Arbeiten, Objekten – bzw. wie für dérive aus Fotos und Collagen – verdichten (auch wenn die Mittelseite hier nicht in paradiesfarbener Pracht erstrahlt).
Derzeit arbeitet Gabriele Sturm an einer von ihr gegründeten Handelsplattform am Nordwestbahnhof im Rahmen von Stadt in Bewegung – zum Abschied eines Logistik-Areal, kuratiert von Tracing Spaces, bis Anfang November 2017. Weitere neue Arbeiten werden in der Ausstellung Urgent Perspektives #1, kuratiert von Barbara Holub im Projektraum Viktor Bucher von 9.11–11.11.2017 zu sehen sein (www.gabrielesturm.net).
Gabriele Sturm steht mir ihrer Arbeit in der Tradition einer projektorientierten Kunst, die interkulturelle Zusammenhänge erforscht und kritisch aufarbeitet.
Paul Rajakovics ist Urbanist, lebt und arbeitet in Wien.