Totale Umweltgestaltung, Nachlass der Moderne
Besprechung von »Bauhaus Brasilia Auschwitz Hiroshima; Weltkulturerbe des 20. Jahrhunderts« herausgegeben von Walter PriggeWalter Prigge (Hg.)
Bauhaus Brasilia Auschwitz Hiroshima;
Weltkulturerbe des 20. Jahrhunderts: Modernität und Barbarei.
Berlin: Jovis, Edition Bauhaus 2003
320 S., 29,80 Euro
Die Themencollage in Walter Prigges Sammelband wird sich für manche befremdlich ausnehmen: Bauhaus, Brasilia, Auschwitz, Hiroshima. Sie ist aber einer offiziell anerkannten Liste entnommen, der Weltkulturerbeliste der UNESCO, die zehn Eintragungen für das 20. Jahrhundert enthält, wobei die bekanntesten darunter die vier genannten sind. Das Kürzel »Bauhaus« steht für die Bauten in Weimar und Dessau, »Hiroshima« für das Friedensdenkmal vor Ort, »Brasilia« für das Zentrum der Stadt und »Auschwitz« für den Kernbereich des Konzentrationslagers, dessen Ausdehnung und Bezug zur Region umfassender war als man gemeinhin annimmt. Was sich in diesem Versuch einer Konkretion der Gedächtnisorte bereits zeigt, ist die Problematik der Umsetzung der mit der Ernennung verbundenen Anliegen: In die Liste des Weltkulturerbes werden einzigartige oder typische Stätten aufgenommen, die einen hohen symbolischen Wert besitzen und über die nationale Kultur hinaus als besonders wichtig anerkannt werden. D.h. es sind auch Stätten enthalten, bei denen nicht künstlerisch wertvolle Bauten im Vordergrund stehen, sondern die mit dem Ort verbundenen historischen Ereignisse oder die darin sichtbar werdende Ideengeschichte. Der meist nicht einfache gestalterische Umgang mit diesen Kulturstätten und die damit verknüpfte Erinnerungspolitik sind zentrale Themen des Bandes.
Die zweite Dimension, wie sie in der Einleitung genannt wird, liegt in der Zusammenstellung der Weltkulturerbeliste, die zwar eher zufällig entstanden ist, aber doch Rückschlüsse auf das Erbe des 20. Jahrhunderts zulässt. Die vier Gedächtnisorte werden in »nichtkausaler historischer Nachbarschaft« aufgefasst – womit die Frage nach dem Zusammenhang von Modernität und Barbarei aufgeworfen wird, nicht im Sinne eines direkten Zusammenhangs, aber doch im Sinne einer strukturellen Ähnlichkeit oder eines gemeinsamen Bodens, der beides ermöglicht hat. Diese Frage ist nicht eben jung, hat aber in der letzten Zeit wieder eine verstärkte Auseinandersetzung erfahren. So hat etwa Giorgio Agamben die Figur des »Lagers« als »Nomos der Moderne«, als »verborgene Matrix des Raumes, in dem wir heute noch leben« herausgestellt; eine Figur, die nicht mehr die bekannte Verknüpfung von Rationalität, Technologie und Moderne unternimmt, sondern den Ausnahmezustand als deren Kern ansieht. Auch wenn Agamben am Ende der Einleitung zitiert wird, gibt es darüber hinaus keine weitere Auseinandersetzung; die Beiträge richten sich insgesamt eher an den einzelnen Orten aus. Ein weiterer angerufener Zeuge ist Peter Sloterdijk, dessen Text Luftbeben[1] einiges Interessantes zum Thema zu sagen hat. Er zieht enge Parallelen zwischen moderner Kriegsführung und Umweltgestaltung, insofern erstere sich als ebensolche versteht. Moderne Waffen richten sich weniger direkt auf ihre Opfer, als auf den Entzug lebensnotwendiger Umweltbedingungen, etwa der Atemluft. Sowohl der vordergründig friedlichen wie der kriegerischen Beschäftigung mit der Umwelt ist eines gemeinsam: die Explikation von ehemals Selbstverständlichem, also die Thematisierung und Bearbeitung von Dingen, die vorher lediglich unbeachteter Hintergrund waren. Einkapselung und Air-Conditioning sind demzufolge Reaktionen moderner Gestaltung auf ein Problematisch-Werden der Umgebung.
Diesem Zusammenhang ist zuvor schon Christoph Asendorf in seinem Buch Super Constellation – Flugzeug und Raumrevolution[2] nachgegangen, aus dem er einige Thesen zu einem Aufsatz kondensiert hat. Anhand von Texten Ernst Jüngers und der Futuristen, aber auch LeCorbusiers werden die zentralen modernen Anliegen deutlich gemacht: »permanente Umwälzung aller Verhältnisse«, »totale Mobilmachung« und »Totalisierung technischer Effektivität«. Auch wenn die Diskurse der Avantgarden eher in elitären Zirkeln stattfanden, schuf die moderne Kriegstechnologie eine breite Basis für die neue Raumsicht und -bearbeitung; der Zugriff auf den Raum wurde umfassend, die Raumdurchdringung alldimensional. Als konkrete Beispiele der Wechselwirkung oder Parallelität von Luftfahrt und Raumplanung nennt Asendorf zwei Entwicklungen: Die »Tendenz zur Autonomie, zur Abkapselung von der Umwelt« in der Architektur der dreißiger Jahre, ermöglicht durch die Entstehung neuer Klimatechniken, die gleichzeitig zu den autarken Druckkabinen des Flugzeugbaus auftauchten; und die Dezentralisierung der Städte, die in der Nachkriegszeit nicht nur in Fortsetzung von modernen Hygieneideologien betrieben wurde, sondern auch aus militärstrategischer Sicht – ein Diskurs, der lange Zeit geheim gehalten wurde. Diese Entwicklungen lassen sich aber auch allgemein und neutral formulieren: als fundamentale Relativierung von Raumbezügen, als Herausstellung größtmöglicher Optionalität. Die Ambivalenz der Moderne kehren auch Müller und Dröge hervor, »Offenheit«, »Wechsel« und das »Experiment« als deren zentrale Kenngrößen wie auch der »Wille zur unausgesetzten Steigerung in der ästhetischen Bearbeitung« bilden zwar die Basis totalitärer Konzepte, können aber auch zu ganz anderen Ergebnissen führen. Bazon Brock zeigt in seinem »Widerruf des 20. Jahrhunderts« ebenso diese beiden Möglichkeiten auf: Auch wenn sich der moderne »Kulturheld« als »Barbar« herausstellt, der keinen Respekt vor der Geschichte hat und dessen Schaffen auf einem umfassenden Zerstörungsprozess beruht, zeigt sich bei näherem Hinsehen, dass die Idee des modernen Gesamtkunstwerks nicht nur als totaler Akt zu begreifen ist, sondern immer auch als Prozess und als Netzwerk von vielen AkteurInnen, als »Team- oder Kollektivarbeit« gedeutet wurde.
Insgesamt bleibt festzustellen, dass das Buch den Charakter einer Collage hat. Überraschend ist die detaillierte Behandlung der mit den Orten verbundenen historischen Ereignisse ohne einen Bezug zu architektonischen oder raumplanerischen Fragestellungen. Die Enttäuschung, die durch die Aufnahme einiger eher unnötiger Texte und den fehlenden Zusammenhang entsteht, wird aber teilweise durch einzelne sehr interessante Darstellungen wettgemacht. Hervorgehoben sei hier der Aufsatz von Susanne Heim, die die Einbettung der Planung des Konzentrationslagers Auschwitz in die Regionalplanung des NS-Regimes beschreibt. Die gesamte Region war als Wirtschaftszentrum gedacht, das Lager nicht als Provisorium, sondern als fixer Bestandteil der »Musterstadt Auschwitz«. Weiters hervorgehoben sei James Holstons Planungsgeschichte von Brasilia, die zeigt, wie die Utopien der Planer durch die Realgeschichte bzw. ihre eigenen Unzulänglichkeiten eingeholt wurden. Neben den Zonen totaler Planung waren von Anfang an freie Entwicklungsgebiete situiert, die teilweise gezielt aus wirtschaftlichen Überlegungen eingesetzt wurden – zur günstigeren Sicherung der Lebensgrundlagen der Bauarbeiter und deren Familien –, die großteils aber erst spät eine offizielle Anerkennung erfuhren – und die klar zeigen, dass die Planung einen wichtigen Faktor übersehen hatte: den Bau der Stadt selbst und die dafür notwendige Infrastruktur.
Walter Prigge (Hg.)
Bauhaus Brasilia Auschwitz Hiroshima;
Weltkulturerbe des 20. Jahrhunderts: Modernität und Barbarei.
Berlin: Jovis, Edition Bauhaus 2003
320 S., 29,80 Euro
Fußnoten
Christa Kamleithner