Vier Jahre Terror und Angst
Besprechung der Ausstellung »Man will uns ans Leben. Bomben gegen Minderheiten 1993–1996« im Volkskundemuseum WienAusstellung
Man will uns ans Leben. Bomben gegen Minderheiten 1993–1996
Kuratorinnen: Vida Bakondy, Cornelia Kogoj, Gamze Ongan
Volkskundemuseum Wien
24.04. bis 25.08.2024
Begleitheft
Stimme – Zeitschrift der Initiative Minderheiten, Heft 131
36 Seiten, 5,50 Euro
Online verfügbar unter: https://stimme.minderheiten.at/wordpress/wp-content/uploads/sites/3/2024/05/Stimme_131_WEB_ds.pdf
Mitte der 1990er Jahre hielt eine Serie von Brief- und Rohrbombenanschlägen die österreichische Öffentlichkeit in Atem. Die folgenschwerste Tat der Serie war ein Bombenanschlag in Oberwart in der Nacht vom 4. auf den 5. Februar 1995. Er tötete vier Menschen: Peter Sarközi, Josef Simon sowie Karl und Erwin Horvath. Österreich war auch in den Jahren davor mit Terror konfrontiert gewesen. In den 1970er und 80er Jahren gab es vor allem in Wien eine Reihe von Terroranschlägen palästinensischer Terroristen, von denen der Anschlag auf den Schalter der israelischen Fluglinie El-Al am Flughafen Wien Schwechat durch die Abu-Nidal-Organisation mit drei Toten und 39 Verletzten der schwerwiegendste war. Trotzdem war der Schrecken diesmal besonders groß. Das hatte wohl nicht zuletzt mit den heimtückischen Briefbomben und der langen Dauer der Serie (1993 bis 1996) zu tun. Die Briefbomben waren in mehreren Serien an insgesamt 25 Personen und Organisationen geschickt worden.
Die Stimmung im Land war nach der Machtübernahme Jörg Haiders in der FPÖ 1986 spätestens 1993 mit dem von der FPÖ initiierten Volksbegehren Österreich zuerst polarisiert. Der FPÖ war es damals gelungen, das Thema Ausländer im breiten öffentlichen Diskurs zu platzieren, von wo es bis heute bekanntlich nicht mehr verschwunden ist. Von der Forderung nach einem Einwanderungsstopp, nach Maßnahmen gegen den Missbrauch von Sozialleistungen, der Aufwertung des Grenzschutzes etc. war bei den Forderungen des Volksbegehrens schon alles dabei, was man heute noch immer zu hören kriegt. Nicht unerwähnt darf bleiben, dass es damals großen zivilgesellschaftlichen Widerstand gegen das Volksbegehren gab. Gut 200.000 Menschen zeigten mit einem Lichtermeer am Wiener Heldenplatz ihre Ablehnung und Abscheu vor einer Politik, die damals tatsächlich als Tabubruch empfunden wurde.
Eine Ausstellung im Wiener Volkskundemuseum erinnert nun an die Ereignisse und den medialen und politischen Umgang mit dem Bombenterror. Zentraler Teil der Ausstellung sind Videokommentare und -interviews von und mit Menschen, die – teils aus persönlicher Betroffen-heit – von den Ereignissen erzählen oder sie rückblickend politisch und gesellschaftlich einordnen. Ein wichtiger Teil der Ausstellung ist die Dokumentation der damaligen -Medienberichterstattung. Sie ermöglicht denjenigen, die die Zeit bewusst erlebt haben, ihre Erinnerungen zu vervollständigen oder auch zu korrigieren und den Jüngeren, nicht nur die Fakten, sondern auch den dazugehörigen Diskurs vermittelt zu bekommen.
Andreas Peham vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes, auf dessen Videointerview man als erstes stößt, wenn man die Ausstellung betritt, erklärt überzeugend den gesellschaftlichen Kontext, in dem der Bombenterror möglich wurde. Er greift einige der Erklärungsversuche auf, die damals immer wieder vorgebracht wurden. Oft war vom eigenbrötlerischen Wirrkopf Franz Fuchs, vom Psychopaten die Rede, der, obwohl er sich in seinen Bekennerschreiben gerne als Teil einer Bajuwarischen Befreiungsarmee imaginierte, alleine in seinem Kämmerchen Bomben bastelte. Das mag gar nicht ganz falsch gewesen sein, unterschlägt aber zur Gänze die oben dargelegte polarisierte gesellschaftliche Stimmung. Es unterschlägt auch, dass es in den Monaten davor reihenweise zu rassistischen Brandanschlägen gekommen war, dass die rechtsextreme Szene einen Aufschwung erlebte. Fuchs war, wie Peham sagt, ein »Terrorist des Zufalls«, was aber nichts anderes heißt, als dass es in diesem Klima auch ein anderer hätte sein können, der ganz ähnlich vorgegangen wäre.
Die Einzeltäter-These half Österreich nach dem Prozess gegen Fuchs, das Kapitel schnell abzuschließen. Jahrelang war nach dem Täter gefahndet worden, der dann doch eher zufällig aufgespürt wurde. »Die Einzeltäter-These wurde im Prozess so schnell fixiert, das Urteil so schnell gesprochen, das Gutachten des Psychiaters war so eindeutig, dass man den Eindruck gewinnen musste, alle waren froh, dass es nur einer gewesen ist.« (Armin Thurnherr)
Berührend, teils erschütternd und ein wichtiges Stück österreichischer Geschichte sind alle jene Stimmen, die berichten, wie mit ihnen als Opfer umgegangen wurde oder erzählen, einen wie langen Atem es brauchte, um Minderheitenrechte durchzusetzen. Zur Ausstellung ist eine lesenswerte Sonderausgabe der Zeitschrift Stimme als Begleitheft zur Ausstellung erschienen, die allen ans Herz gelegt sei, die keine Möglichkeit haben, die wichtige Ausstellung im Volkskundemuseum Wien zu besuchen.
Christoph Laimer ist Chefredakteur von dérive.