vis plastica trans.gen. / StraßenBewegungsTheater. Das ZeitOrt-Projekt
Vis plastica entstand 1990 in Wien aus einem Kurs für Körpertraining und nonverbale Improvisation. Die Fragestellung Innenraum/Außenraum führte uns zum Medium der künstlichen Haut, die den Körper als Ganzes umspannt und durch ihre Elastizität auf jede Spannungsänderung reagiert. Diese »Kunst-Haut« grenzt das Innere von der Außenwelt ab und ermöglicht gleichzeitig Austausch, wie die Membran einer Zelle.
Vis plastica entstand 1990 in Wien aus einem Kurs für Körpertraining und nonverbale Improvisation. Die Fragestellung Innenraum/Außenraum führte uns zum Medium der künstlichen Haut, die den Körper als Ganzes umspannt und durch ihre Elastizität auf jede Spannungsänderung reagiert. Diese »Kunst-Haut« grenzt das Innere von der Außenwelt ab und ermöglicht gleichzeitig Austausch, wie die Membran einer Zelle.
Als flexible Oberfläche drückt sie aus und bildet ab, was sich in ihrer Innenwelt an psychischen und physischen Prozessen »abspielt«. Körperplastiken entwickeln sich, in ständiger Metamorphose. Sie werden nicht von außen geformt, sondern von innen her; sie formen sich selbst. Diese beiden Ebenen, das Skulpturale und das Zelluläre, sind zwei der Pole, zwischen denen sich unsere Arbeit bewegt, und sie waren auch die Ansatzpunkte des ZeitOrt-Projektes. Dieses Projekt, im Gedenkjahr 1995 (50 Jahre nach Kriegsende) entstanden, lief über mehrere Jahre mit jeweils anderen Schwerpunkten und wird heuer anlässlich des Weltkongresses für Psychotherapie (Juli 2002) neu aufgegriffen.
Der ZeitOrt-Zyklus ist eine Auseinandersetzung mit einigen Denkmälern Wiens und ihren möglichen Lesarten, aber auch mit dem Denkmal an sich: als in Stein verewigte Moment-Aufnahme, Stand-Bild, monumentalisierter Stehkader einer »Ansicht«. Es arretiert die Zeit - und besetzt den Ort. Dem setzt das ZeitOrt-Projekt die theatrale Aktion entgegen; sie ist flüchtig und vergänglich, beschäftigt mit Entwicklungen und mit der Veränderbarkeit von Zuständen, mit Prozessen des Übergangs ... Ein Denkmal im Fluss - im Dialog mit dem Denkmal aus Stein, Bronze, Beton: es nimmt Platz nur für diesen Moment - und lässt Platz für weitere Ansichten und sich wandelnde Ausdrucksweisen.
Jeder Projektphase gingen Recherchen voraus, in Bibliotheken und vor Ort. Dabei ließen sich neue Querverweise und Beziehungen herstellen. Die einzelnen Denkmäler, im größeren Kontext betrachtet, können nun als Teile eines Gesamt-Monuments gesehen werden. Die Sukzession immer neuer Denk- und Mahnmäler sind Stationen, welche die gewachsenen Bewusstseins und Verdrängungsprozesse in Politik und Kultur des Ortes widerspiegeln. Ich beschreibe die Denkmäler, die wir gewählt haben, in der zeitlichen Abfolge ihrer Errichtung.
Heldenplatz
Zur Zeit des Glacis war hier ein beliebter Ausflugsort der WienerInnen. Wegen seines kreisförmigen Spazierwegs, der an eine Ochsenmühle erinnerte, hieß er »Ochsenplatz«. Nach der Erbauung der Hofburg wurde er in »Heldenplatz« umbenannt. Die Heil-Rufe, die hier das »Heldische« begrüßten, haben ins heillose Verderben geführt. Heil, heilen: dem etymologischen Wörterbuch nach bedeutet es - gesund, ganz machen, wiederherstellen. Davon abgeleitet: heilig, heiligen = opfern. Umgangssprachlich verkehrt sich die Bedeutung, einen Stier heilen, heißt jetzt: ihn kastrieren, um ihn zum Nutztier zu machen, zum Ochsen. Eine merkwürdige Koinzidenz von lapidarer Symbolik. Die, welche damals hier »Heil« schrien, wollten die Ganzheit, die Wiederherstellung eines »gesunden« großdeutschen Reichs. Sie waren sich kaum bewusst, dass sie damit ihre Urteilskraft eingebüßt und ihr Gewissen geopfert hatten. Viele wurden schließlich selbst Opfer der Schlachtmaschinerie, in die sie sich hatten einspannen lassen.
Morzinplatz
Das Denkmal »niemals vergessen« steht dem ehemaligen Gestapo-Hauptquartier gegenüber. Es ersetzt eine Tafel, die gleich nach dem Krieg an die WiderstandskämpferInnen erinnern sollte. Dieser Bezug wurde am neuen Denkmal eher versteckt. »Hier stand das Haus der Gestapo / für die Bekenner Österreichs war es die Hölle / es war für viele von ihnen der Vorhof des Todes / es ist in Trümmer gesunken wie das tausendjährige Reich / Österreich aber ist wiederauferstanden / und mit ihm unsere Toten/ die unsterblichen Opfer« lautet die Inschrift.
Die Skulptur zeigt einen Mann im Türrahmen seiner Zelle, knapp vor dem Schritt in die Freiheit. Ein Bekenner Österreichs?
Österreich selbst? Ist es Lazarus, oder gar Christus, der aus dem Grab steigt? Im Wort »Wiederauferstanden« ist auch das Wort »Widerstand« versteckt. Was, wenn diese Figur ein Wiedergänger wäre, nicht einer unserer »auferstandenen« Toten, sondern einer von unseren Opfern, die nicht »unsterblich« sondern höchst sterblich waren.
Albertinaplatz
Das »Mahnmal gegen Krieg und Faschismus« wurde anlässlich des Bedenkjahres 1988 (38) errichtet. Hier ist nicht mehr das Auferstehen, sondern die Darstellung der Misshandlung und des Leidens im Mittelpunkt. Das Opfer ist jetzt klar definiert - als der straßenwaschende Jude, ihm wird die christliche Symbolik des Schmerzensmannes auferlegt. Er kauert am Boden, seine Augen in der Höhe meiner Füße. Der bronzene Stacheldraht quer über seinem Rücken weckt Assoziationen an die Dornenkrone. In dieser Position festgehalten und verewigt, wird er tatsächlich zum »unsterblichen Opfer«, jedoch ohne Aussicht, je zu denen zu gehören, »die mit Österreich wiederauferstanden« sind. »Ein Denkmal der Erniedrigung« hat es Simon Wiesenthal genannt, und das »Mahnmal für die jüdischen Opfer des Naziregimes«, das diesem folgte, war wohl auch als Wiedergutmachung dafür gedacht.
Judenplatz
Das »Mahnmal für die jüdischen Opfer des Naziregimes«, die »invertierte Bibliothek« von Rachel Whiteread verkehrt das Innere nach außen. Die Bücher stehen mit dem Rücken zur Wand und kehren uns ihre verschlossenen Seiten zu. Ohne Zugang zu Namen und Titel sind sie nicht mehr zuordenbar. Hermetisch verschlossen ist auch die Tür, ein bloßer Abdruck in der Betonwand, dahinter ein fensterloser Raum, ohne Verbindung nach draußen. Eine zugemauerte Grabkammer? Die unzugängliche Cella eines Heiligtums? Zwischen dem Innenraum und dem Außenraum scheint die Verbindung abgebrochen. Eine Zelle, deren Stoffwechsel eingestellt ist, kapselt sich ein oder stirbt ab. Im Rückblick fällt auf: am Mahnmal »niemals vergessen« (Morzinplatz) ist die Tür der Zelle weil offen, der Schritt in die Freiheit noch möglich. Es scheint, dass mit jedem neuen Denkmal Opfer und Täter klarer benennbar werden, gleichzeitig tritt das Element der Isolation, des Abschließens, Sich Abkapselns immer mehr ins Bild. Beide, das Mahnmal gegen Krieg und Faschismus und das Mahnmal für die Jüdischen Opfer des Naziregimes hätten nach Meinung vieler weg aus dem Zentrum, auf den Morzinplatz gehört. Dort hätten sie die Stelle des jeweils früheren Denkmals eingenommen, hätten seine »Ansicht, seine Botschaft« ausgelöscht, statt sie zu ergänzen. Die BefürworterInnen haben sich nicht durchgesetzt und so ist es uns möglich, den Prozess des öffentlichen Erinnerns, der durchaus kontroversiell verlief, an den »Stationen« der einzelnen Denkmäler zurückzuverfolgen: Denkmäler in Rede und Gegenrede.
Sigmund Freud Park
Das Denkmal für Sigmund Freud wäre seiner zeitlichen Einordnung nach vor dem Mahnmal Alfred Hrdlickas zu platzieren gewesen, ich setze es an den Schluss, um es mit einem Hinweis auf das kommende ZeitOrt-Projekt zu verbinden. Das Denkmal ist schwierig zu finden, es steht am Rand eines Fußwegs, zur Straße hin durch ein Gebüsch verdeckt. Die visuelle Botschaft ist reduziert auf zwei griechische Großbuchstaben, Kürzel für Psychoanalyse. Auch die Inschrift ist knapp: »Die Stimme des Intellekts ist leise«. Sonst nur noch der Name, Geburts- und Sterbedaten. Eine entmutigende Feststellung. Wenn Freud recht hat, von ihm stammt wohl das Zitat, dann gibt es wenig Chancen für den Intellekt, je Mitsprache zu erlangen. Das Nachschlagen in Freuds Schriften macht klar: das Zitat ist verstümmelt, sein dialektischer Widerpart (» ... aber sie ruht nicht, ehe sie sich Gehör geschafft hat.«) wurde ihm abgeschnitten. Die Stimme des Intellekts ist leise - und dabei soll es offenbar auch bleiben. Eine monumentale Wiener Fehlleistung? Eine suggestive Aufforderung, sich, ebenfalls leise, der Resignation hinzugeben? Das Sigmund Freud Denkmal war, jedes mal neu betrachtet und interpretiert, Teil aller bisherigen ZeitOrt-Projekte. Heuer steht es im Zentrum von ZeitOrt 2002: dis-membered monuments. Anlass ist der 6. Weltkongress für Psychotherapie, Mitte Juli 2002 in Wien - und der nahende 150. Geburtstag Sigmund Freuds in zwei Jahren: vielleicht eine Chance für sein Zitat, die Ganzheit wiederzuerlangen.
http://visplastica.austriakultur.at
Jutta Schwarz