Visuelle Identität
Orte als Marken?Einleitung zum Schwerpunkt "Visuelle Identität – Orte als Marken?".
Dieses Schwerpunktheft von dérive beschäftigt sich mit dem Branding des Öffentlichen. In dem Maß, in dem sich das Selbstverständnis von Staaten, Regionen, Städten oder Stadtteilen zunehmend unternehmerisch definiert, ändern sich auch ihre visuellen Repräsentationen. Logos, Claims und Corporate Design ersetzen immer öfter traditionelle Insignien staatlicher Macht wie Wappen oder Flaggen. Der Tourismusbereich war der erste, der geografische Orte nach dem Vorbild von privaten Unternehmen als Marke zu positionieren suchte, mittlerweile gehen auch öffentliche Verwaltungen zunehmend dazu über, sich ihren BürgerInnen gegenüber als Marke zu präsentieren und damit nicht zuletzt ein Identifikationsangebot zu machen.
Von der Privatwirtschaft zu lernen – das scheint im gegenwärtigen Umbau öffentlicher Verwaltungen Konsens zu sein – ist gleichbedeutend mit Modernisierung. Ein Ausdruck dieser Ideologie ist die Vorstellung des Bürgers als Kunde. Der Kunde ist immerhin König und sollte daher möglichst wenig unter den Erschwernissen der Bürokratie zu leiden haben. Dieses Bild impliziert jedoch auch noch etwas anderes, nämlich, dass es bessere und schlechtere KundInnen gibt und damit BürgerInnen mit mehr oder weniger „Kaufkraft“ – d. h. Rechten? Wie jede Kundenbeziehung ist nun auch die zwischen Bürger und Staat theoretisch aufkündbar und verliert so ihre Spezifizität und Verbindlichkeit, wie Manfred Russo in seinem Beitrag erläutert. Russo spürt detailliert den Ideologien und Motiven dieser – wie er es nennt – Seelenwanderung vom Bürger zum Kunden nach und formuliert eine differenzierte Kritik an der letztlich den Rückzug des Staates befördernden Community-Rhetorik der Gegenwart.
Von der Privatwirtschaft zu lernen, das heißt auch im Wettbewerb zu stehen. Unter dem Konkurrenzdruck anderer Städte, Regionen oder Weltgebiete müssen einprägsame Images geschaffen werden, die auf dem globalen Markt für Sichtbarkeit sorgen. Images sollen die Unverwechselbarkeit eines Ortes vermitteln, seine Vorzüge zu Tage treten lassen und zudem möglichst widerspruchsfrei sein. Eine ziemliche Herausforderung etwa für postindustrielle, strukturschwache Mittelstädte ohne nennenswerte historische oder touristische Landmarks. So werden neue Themen gesucht, aus Stahlstädten werden Einkaufs-, Kultur- oder Freizeitstädte. Damit erschöpft sich aber auch schon das Arsenal an Themen, die positiv, produktiv und mehrheitstauglich sind. Die Idee der Positionierung von Eisenhüttenstadt als Seniorenstadt etwa stieß auf heftigen Widerstand in der Bevölkerung. Dieses Beispiel zeigt die Unmöglichkeit, die klaren Umrisse, die ein Image im Allgemeinen ausmachen, auf die Komplexität eines realen Gemeinwesens zu übertragen. Denn das würde in letzter Konsequenz bedeuten, dass jeder Einwohner, jedes Gebäude und jeder öffentliche Raum mit dem Image kompatibel sein muss, soll das Image authentisch und glaubwürdig sein und damit als Marke erfolgreich. Im Tourismusbereich gibt es zahlreiche Beispiele für diese Unterordnung aller Teile unter das gemeinsame Imageziel, weshalb viele Tourismusdestinationen sich von Themenparks nur noch durch ihre vermeintliche, durch das tatsächliche Alter von Gebäuden und Gepflogenheiten garantierte Authentizität unterscheiden. Mit dem Unterschied, dass die Inszenierung in Themenparks Jobs beschreibt und an wirklichen Orten Lebensweisen. Jens Badura geht in seinem Text der Frage nach, welche Auswirkungen diese Schaffung eines kontrollierten Ambientes auf die BewohnerInnen eines Ortes hat, die eine behauptete Identität als Marke nach außen tragen müssen, und welche „Kollateralkosten“ dabei entstehen.
Zu den konstituierenden Bestandteilen einer Marke gehört die Corporate Identity und das Grafikdesign. Schrift, Typographie und Ikonografie sollen die Identität eines Unternehmens vereinheitlichen und nach außen sichtbar machen. Typographie ist aber immer auch schon selbst Bedeutungsträger. Am sichtbarsten ist das etwa bei folkloristisch geprägten Schrifttypen, wie den traditionellen baskischen Euskara-Schriften, von denen Hinrich Sachs’ Beitrag handelt. Im Zuge ihrer zunehmenden Verdrängung aus dem öffentlichen Raum durch einen internationalisierten Corporate Style initiierte Sachs eine Versteigerung der Rechte an den inzwischen digitalisierten Schrifttypen und löste damit eine Debatte um die Möglichkeit aus, lokale Identität grafisch zu fassen.
Transparent anlässlich der österreichischen EU-Präsidentschaft am Wiener Westbahnhof, 2006Der Markenpionier Hans Domizlaff forderte schon in den zwanziger Jahren Staaten und öffentliche Institutionen auf, sinnlich begreifbare Symbole zu schaffen, die dem Volk abstrakte Ideen wie den staatlichen Gemeinschaftsgedanken gegenständlich machen sollten. Hier sollte die Privatwirtschaft als Vorbild dienen, etwa im Entwurf von Flaggen, die ähnlich einem guten Firmensignet einer einprägsamen und erinnerungsstarken Bildidee folgen sollten. Richard Brems Text verfolgt Domizlaffs Theorien, die dieser 1932 in seinem Buch „Propagandamittel der Staatsidee“ vorgelegt hatte bis zum Standortwettbewerb der Gegenwart und zu den grafischen Inszenierungen anlässlich der US-amerikanischen Wahlen. Anette Baldauf beschreibt in Ihrem Artikel „The Brand of Freedom“ welche Werte besonders nach dem 11. September die Marke USA prägen. Hier sind die Attribute des guten Staatsbürgers besonders eng mit denen des guten Kunden verknüpft – frei nach dem Motto „Geht’s der Wirtschaft gut, geht’s uns allen gut“ ist einkaufen zum patriotischen Akt geworden. Die Logik des Counterfeiting, der Fälschung von Markenartikeln, könnte – so Baldauf – den Weg einer möglichen Strategie des Widerstands gegen die bildkräftige Beschwörung von nationalem Schulterschluss und Konsumzwang weisen.
Tirol ist die stärkste Marke auf dem österreichischen Tourismusmarkt. Das in den siebziger Jahren vom Tiroler Grafikdesigner Arthur Zelger entworfene Logo, das typografisch geschickt die alpine Bergkulisse in einen kompakten modernistischen Schriftzug überführt, ziert inzwischen weit mehr als nur Tourismusbroschüren und Briefbögen. Es wird von der Tirol-Werbung in Lizenz an Unternehmen vergeben, die vom klar definierten Image der Marke Tirol profitieren wollen. Dieses Image – der sogenannte Markenkern – baut laut Eigendefinition auf folgenden Begriffen auf: eigenwillig – freiheitsliebend – echt – stark – stolz. Ein Katalog der Tirol-Klischees also, der zielgruppenspezifisch verfügbar ist, für Milchprodukte, Sportausrüstung oder Lodenbekleidung. Gleichzeitig funktioniert dieses Bild scheinbar auch hervorragend zur Identifikation der TirolerInnen mit ihrem Bundesland, viele haben das Logo als Aufkleber auf ihrem Auto. Diese Affirmation des Tourismusimage durch die Bevölkerung findet man auch in Kärnten, wo der handschriftliche Kärntnen-Schriftzug und die Tangram-Figur aus den Achtzigern sich besonders häufig zu den Typenbezeichnungen von Autos gesellt. Nachdem es noch einigen Aufruhr gab, als der Landeshauptmann vor einigen Jahren vom konfliktfreien Kärntenbild des Tourismusamtes profitieren wollte und den Schriftzug auf politischen Plakaten verwendet hatte, wurde das Logo inzwischen von der Landesregierung angeeignet und damit sowohl in der Kommunikation nach außen – zu UrlauberInnen –, als auch nach innen – zu den BürgerInnen – verwendet.
Damit wird das Logo wieder zum Hoheitszeichen und bleibt trotzdem frei zirkulierendes Icon, in direkter Konkurrenz zum Nike-Swoosh oder den Red-Bull-Stieren. Ganz im Zeichen des Logo-Fetischismus der neunziger Jahre kann so lokale Identität modisch präsent sein und fällt dennoch kaum auf. Denn so reduziert wie Logos sein müssen, um wiederkennbar und einprägsam zu sein, so austauschbar sind die meisten von ihnen, wenn sie nicht mit dem Werbebudget eines globalen Konzerns entwickelt und verbreitet werden. So sind die meisten Städtelogos ganz einfach schlechte Kopien des Real-Stuff und wirken schließlich genauso hilflos wie die dahinterstehenden Ideologien. Tone Hansen bemerkt in ihrem Artikel: “Auffällig ist, wie gleich alles wird, wenn das Ziel doch eine Differenzierung war.” Sie verfolgt die Transformation norwegischer Staatsbetriebe und Institutionen zu ausgegliederten Wirtschaftsunternehmen und beklagt, wie damit wichtige Segmente der gesellschaftlichen Infrastruktur einer demokratischen Kontrolle entgleiten. Auch hier ist die grafische Repräsentation, die Corporate Identity, der sichtbare Ausdruck veränderter Ideologien und des Verlustes der Spezifizität eines Sozialstaates.
Bushaltestelle in Kopenhagen, 2005Andres Kurg beschreibt in seinem Beitrag eine Kampagne, die eigentlich den Zweck hatte, Estland auf der Weltkarte lokaler Klischees neu zu positionieren. Die Erinnerung an die Vergangenheit als Sowjet-Republik sollte Platz machen für einen aufstrebenden, von Informationstechnologien und nordischen Traditionen gleichermaßen geprägten skandinavischen Staat – „nordic with a twist“. Kurioserweise wurde die Kampagne schließlich nur innerhalb Estlands durchgeführt, der flotte Spruch „Welcome to Estonia“ war plötzlich an die eigene Bevölkerung gerichtet und diente wohl – ein Jahrzehnt nachdem die russischsprachigen Straßenschilder abmontiert worden waren – am ehesten der Umorientierung zur neuen, internationalisierten Leitkultur des Neoliberalismus,
Das Thema visuelle Identität ist nicht vollständig, ohne die gebaute Struktur einer Stadt mitzudenken. Dies sparen wir uns für einen möglichen zweiten Teil auf, in einem Artikel allerdings spielt gerade die Skyline einer Stadt eine wichtige Rolle. Sabine Gruber beschreibt anhand der Öffentlichkeitsarbeit der Stadt Wien die Rolle von Marketing als neuem Stadtplanungsparadigma. Ihr Text fokussiert auf die Wiener Hochhausentwicklung der letzten zehn Jahre, in denen es einer sozialdemokratischen Stadtregierung gelang, die kostenintensive und im Kern konservative Bauform Hochhaus auf breiter Basis akzeptiert zu machen und als wesentlichen Bestandteil einer modernen Stadt zu behaupten.
Die gegenwärtig unausweichlich scheinende und letztendlich homogenisierende Tendenz zum Branding von Orten verbirgt eine Vielzahl unterschiedlicher politischer Motive und Entwicklungen. dérive geht in den Beiträgen dieses Heftes den dynamischen Zusammenhängen von Stadtimage, Corporate Identity, Standortwettbewerb, touristischen Inszenierungen, Logoästhetik, Verwaltungsideologien und Identitätspolitik nach und schließt damit Lücken zwischen ebendiesen Feldern.
Andreas Fogarasi ist bildender Künstler und Redakteur von dérive.