Vom Zauber des Zeichendreiecks
»Architektur beginnt im Kopf. The Making of Architecture«, Ausstellung im Architekturzentrum WienDas Aufspüren des göttlichen Funkens, das Sichtbarmachen der Erschaffung, die Entdeckung der Idee, das sind die Aufgaben, denen sich Elke Krasny in ihrer Ausstellung Architektur beginnt im Kopf widmet. Diese Suche, eine Feldforschung in Architekturateliers und -büros, hat sie in verschiedene Orte quer über den Erdball geführt: von São Paulo über Tokio, Hongkong, Los Angeles, Chicago, Paris und Graubünden zurück nach Wien. An diesen Orten hat sie als teilnehmende Beobachterin jeweils drei bis fünf Tage verbracht, sich quasi auf die Lauer gelegt, um des Beginns einer Idee habhaft zu werden. Dafür hat sie den Arbeitsalltag und die kreativen Momente geteilt und miterlebt und natürlich die Recherche den jeweiligen individuellen Gegebenheiten angepasst. Verblüffende Momente gab es da, auch berührende. Irreal mutet etwa die Aussage im Archiv Alvar Alto an, noch nie habe jemand nach den von ihm verwendeten Werkzeugen gefragt. Hier genau zeigt sich der innovative Anspruch der Kuratorin: Sie stellt ungewöhnliche Fragen, und in achtsamer Annäherung entwirft sie eine Figur der vielgestaltigen Göttin der Kreativität.
In 20 Stationen werden die Arbeitsplätze nachempfunden. Szenographisch einfühlsam hat Alexandra Maringer auf die jeweils stimmige Zurschaustellung von Objekten Bedacht genommen. Historische Objekte werden mit gebührendem musealem Abstand auch optisch wahrnehmbar fern unseres Alltags gestellt, so etwa Reißzeug in vielfältigen Ausführungen. Alltägliche hingegen stehen ungeschützt und ungefiltert in der Gegend – Lichtpausmaschinen etwa, oder Computer, auf denen Architekturprogramme laufen.
Die Zeichenwerkzeuge nehmen einen zentralen Punkt ein: Als Instrumente dienen sie zuallererst dem Bannen der Idee, dem Festhalten des Geistesblitzes auf Papier, wobei, um im Bild zu bleiben, der Klang, das Spezifikum des Instrumentes sich direkt auf das Resultat auswirkt. Wer welches Zeichengerät wählt, ist also von Belang und hat tatsächlich großen Einfluss auf das fertig gestellte Bauwerk. Dabei geht es nicht um die heroische Geste des Geniestreiches, bei dem die Papierserviette Trägerin der begnadeten Skizze wird – wie das Klischee es oft erzählen will –, sondern um die unendlichen Möglichkeiten, die unterschiedlichen Ansätze, das Arbeiten und Verwerfen.
Wie, auf welche Weise kreativ gearbeitet wird, das ist ganz unterschiedlich, das zeigt uns diese Ausstellung. In den 20 episodenhaften Stationen, die der jeweiligen Atmosphäre der vorgestellten Büros nachspüren, werden die teils widersprüchlichen Arbeitsansätze deutlich: Ob das Entwerfen direkt in der Fabrik, beim Handwerker, in genauer Abstimmung mit dem Material, beginnt, wie bei Charlotte Perriand, und nicht am Zeichenbrett; ob innerhalb von drei Minuten Modelle aus Legosteinen entstehen, die dem Anspruch an Geschwindigkeit, wie Gary Chang für sein „fast track design“ ihn stellt, entsprechen; ob gemeinsam in Teams, die während des Prozesses unterschiedlich besetzt werden können wie bei SOM, oder ob in der Zirbenstube alleine entworfen wird wie bei Rudolf Olgiati – die Möglichkeiten des schöpferischen Prozesses sind unendlich.
Was ein weiteres höchst faszinierendes Ergebnis dieser Feldforschung ist: die unterschiedlichen Methoden der Kreativitäts-Ankurbelung. Da gibt es Rituale wie das Zurückziehen zu den Orchideen, die ein eigenes Zimmer im Atelier von Lacaton und Vassal bewohnen. Steven Holl zelebriert das Skizzieren selbst als Zeremonie, in der man zur Idee findet. Oder das Studium von Literatur und das Spielen mit Zitaten und Verweisen dienen als Arbeitsprogramm, wie bei R& Sie(n), die Deleuzes Interpretation der „Venus im Pelz“ als Vorlage für ein umgekehrtes Abhängigkeitsverhältnis im Architekturprozess sehen: „das Opfer könnte der dominierende Teil werden. Das ist ein sehr interessantes Werkzeug für heute, wie die Monstrosität reguliert werden kann, durch diesen Vertrag (...)“.
Manchmal wird kreatives Material im exzessiven Streben nach Perfektion verschwendet: entworfen, weggeworfen, wie Martin Schwanzer die Arbeitsweise seines Vaters Karl beschreibt. Er habe so „goldene Papierkörbe“ geschaffen. Des öfteren wird der kreative Prozess als kollektive Aktivität eines Teams beschrieben, wie bei Jerde Partnership. Das weltweit agierende Büro bereist die Plätze, an denen die Projekte durchgeführt werden sollen, während des Bauprozesses mehrmals, und von Anfang an finden sich die Entwürfe, egal ob auf Skizzenpapier mit bunten Markern gezeichnet oder auf Butterbrotpapier mit Lippenstift, neben dem Material, das den „klassischen“ Entwurfsprozessen entspringt: Skizzen, Planzeichnungen, Modelle. Und das verwendete Instrumentarium. Die liebevolle, minutiöse Zurschaustellung altertümlich anmutender Objekte ist oft überraschend berührend – wie etwa das simple Holzdreieck, mit dem Lux Guyer am liebsten auf dem Bett liegend entworfen hat und das sie immer in der Handtasche dabei hatte.
Die Präsentation der Produktion eines Einfamilienhauses aus dem Büro Bow Wow, bei der für jede Veränderung des Entwurfs ein eigenes Modell gebastelt wurde, beeindruckt nicht nur durch Präzision, sondern auch durch die Verdeutlichung des Prozesses der Umgestaltung und der damit verbundenen Einschreibung in die Zeit.
Der Katalog verdient es, als eigenständige Publikation gelesen zu werden, wiewohl er, in Kombination, der Ausstellung zusätzliche Tiefe verleiht. In den Gesprächen werden die spezifischen Herangehensweisen der unterschiedlichen Persönlichkeiten deutlich. Da stößt man auf so paradox anmutende Aussagen wie „Innovation ist immer konservativ“ von Yona Friedman, der sich schon in den 1970er Jahren von der Diktatur der Computerprogramme und deren „Nebenwirkungen, die nicht ausgewiesen sind“, gelöst hat. Oder Anne Lacatons lapidare Aussage: „Man sammelt Entscheidungen. Am Ende schaut man, dass alle Entscheidungen zusammenpassen.“
Die analytische, philosophische Dimension des Schaffensprozesses begleitet die Ausstellung wie eine elegante, selbstverständliche Geste und macht sie zu einer inspirierenden Erfahrung. Bereichernd und unerwartet poetisch.
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Ausstellung
Architektur beginnt im Kopf
The Making of Architecture
Architekturzentrum Wien
16. Oktober 2008 bis 2. Februar 2009
Susanne Karr