Christoph Laimer

Christoph Laimer ist Chefredakteur von dérive.


Jahrelang habe ich einmal die Woche auf der Jesuitenwiese im Wiener Prater Fußball gespielt ohne mir bewusst zu sein, an welch legendärem Fußballort ich dem Ball nachjage, um ihn möglichst oft zwischen den zwei Taschen oder Rucksäcken, die in der Regel das Tor darstellten, durchzuschieben. Die ersten Fußballer, die den Prater für ihren Sport nutzten, waren in Wien lebende Engländer – allesamt Mitglieder des Vienna Football and Cricket Club. Sie spielten erstmals 1894 auf der Jesuitenwiese und begründeten damit eine Tradition, die bis heute anhält. Der Prater beherbergt also nicht nur Österreichs größtes Fußballstadion, in dem auch das Finale der Europameisterschaft ausgetragen werden wird, sowie zahlreiche weitere Fußballplätze sondern ist nach wie vor Treffpunkt für viele Hobbykicker, die auf einer Wiese ihre Rucksäcke und Taschen aufstellen und ein Match spielen.

Im Prater befand sich auch der berühmte jüdische Sportklub Hakoah, dem derzeit anlässlich seines 100-jährigen Bestehens eine eigene Ausstellung im Jüdischen Museum gewidmet ist, die noch bis zum 7. September zu sehen ist. Die Hakoah-Vereinsstätten wurden 1938 von den Nazis beschlagnahmt. Die Bemühungen den Platz zurückzubekommen dauerten viele Jahrzehnte, erst vor wenigen Monaten konnte die Hakoah ihre neuen Anlagen im Wiener Prater eröffnen. In der Saison 1924/25 war die Fußballmannschaft der Hakoah österreichischer Meister.

In den frühen Jahren des österreichischen Fußballsports existierte das Spiel außerhalb der Wiener Stadtgrenzen praktisch nicht. Aber nicht nur für österreichische Verhältnisse war Wien ein Zentrum des Fußballs, auf dem gesamten europäischen Kontinent gab es in keiner Stadt mehr Spitzenvereine und nirgends wurde früher mit dem Profifußball begonnen. 1911 fand die erste österreichische Meisterschaft statt und es dauerte bis 1949 bis erstmals eine Nicht-Wiener Mannschaft um den österreichischen Meistertitel mitspielte.

Kein Wunder also, dass Wien zahlreiche legendäre Orte des Fußballs vorzuweisen hat bzw. hatte und damit genug Stoff für eine Ausstellung bietet. In Wo die Wuchtel fliegt im Wien Museum werden zahlreiche vor allem historische Fotos, Dokumente und Erinnerungsstücke von Wiener Fußballplätzen, -mannschaften und Spielern gezeigt und die Geschichte der Orte des Fußballs erzählt. Interessant in diesem Zusammenhang ist die räumliche Nähe einiger der bedeutendsten Fußballplätze zu Vergnügungseinrichtungen und Brauereien. Die Verknüpfung von Bierkonsum und Unterhaltung mit Fußball schauen war offenbar von Anfang an gegeben und ist nicht unbedingt eine Erfindung unseres Eventzeitalters. Die Pfarrwiese (siehe Abbildung), jahrzehntelang Heimstätte des SK Rapid, ging nicht nur in die Weltliteratur ein (Elias Canetti: Die Fackel im Ohr; siehe dazu Manfred Russos Artikel in diesem Heft) sondern lag vis-a-vis des Hütteldorfer Brauhauses. Auch der FAC-Platz und der Wacker-Platz befanden sich in unmittelbarer Nähe von Brauereien bzw. großen Gastgärten.

Besonders beeindruckend sind in der Ausstellung die Fotos und Filmaufnahmen aus der großen Zeit der Hohen Warte. Die Hohe Warte ist der Platz des ältesten Wiener Fußballklubs, der Vienna (gegründet 1894). Wer die Hohe Warte von heute kennt, kann sich kaum vorstellen, dass in diesem Stadion in den 1920er Jahren 80.000 BesucherInnen die Länderspiele der österreichischen Nationalmannschaft verfolgten. Die besondere Atmosphäre der Hohen Warte war legendär und lässt sich beim Betrachten der Filmaufnahmen eines Spieles zwischen Österreich und Ungarn erahnen. Ab Mitte der 1920er Jahre mussten etliche Fußballplätze Wohnbauten weichen, seit dem Sportstättengesetz von 1978 ist das nicht mehr möglich. Für Diskussionen sorgten in den letzten Jahren höchstens Neubaupläne. Da war einerseits die Aufregung um den Hakoah-Sportplatz im Augarten (siehe dérive Heft 7) und in letzter Zeit fand Rothneusiedl, ein Teil Wiens, den zuvor kaum wer kannte, Eingang in den Stadtplanungsdiskurs, weil der österreichisch-kanadische Industrielle Frank Stronach plant(e?) dort eine neues Stadion inkl. Einkaufszentrum etc. zu errichten, das die Heimstätte von Austria Wien werden soll. Bernd Hachleitner und Paul Pfaffenbichler schreiben in einem Beitrag zum Ausstellungskatalog, dass Vereine, die einen Standortwechsel über das nähere Umfeld ihres bisherigen Platzes durchgeführt haben, davon meist nicht profitierten. Profit ziehen höchstens Vereinspräsidenten, die im Immobiliengeschäft tätig sind, wie das in Spanien öfter der Fall sein soll.

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Ausstellung
Wo die Wuchtel fliegt
Legendäre Orte des Wiener Fußballs
24. April bis 4. August 2008
Wien Museum, Karlsplatz


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