Wandern auf der Autobahn
Besprechung von »Walter Zschokke. Texte« herausgegeben von Franziska Leeb, Gabriele Lenz und Claudia MazanekWalter Zschokke, der 2009 verstarb, war ein Schweizer Architekt und Architekturkritiker. Er lebte und arbeitete seit 1985 in Wien. Insbesondere durch seine Texte und Kritiken – die er auch in Tageszeitungen wie der Presse veröffentlichte – prägte er den Architekturdiskurs in Österreich entscheidend mit. Der vorliegende Band versammelt ausgewählte Texte von 1980 bis 2008, die das weitgefächerte Spektrum des Autors repräsentieren. Das Verhältnis von Straße und Landschaft – sei es am Beispiel der Schweizer Gotthard-Autobahn oder der Wiener Höhenstraße – wird in ihnen ebenso verhandelt wie die schöne neue Welt der Star-Architekten, Fragen der Materialität, die Alltagstauglichkeit von Design oder kulturelle Verwerfungen, die einst dazu geführt hatten, dass sich Architekten gerne schwarz kleiden. Zschokke wies der Architektur ihren Platz in einem weiten Feld kultureller Praktiken zu, integrierte literarische Verweise und historische Abschweifungen in seine Texte, ließ in fiktiven Dialogen den Nicht-Trinker mit dem Nicht-Raucher über anstehende Fragen der Architektur diskutieren. Die Sprache der Texte ist um Sachlichkeit bemüht, ohne dabei auf spielerische Momente zu verzichten, die eine darunter liegende Sprach-skepsis vermuten lassen. Die Distanz zum schillernden, spät-modernen Diskurs ist deutlich spürbar. Auf die Absicherung durch ein wetterfestes, elitäres Theoriegebäude, in dem sich der Autor vor Angreifern sicher wähnt, wird verzichtet, das instabile Verhältnis von Sprache und Inhalt wird hingenommen und hier und da zum geheimen Thema. Ein Pendant zu den Texten bilden die Fotostrecken von Margherita Spiluttini, die das Textarchiv Walter Zschokkes als räumliche Konstruktion thematisieren und daraus ausgewählte Fundstücke ausbreiten, die einen Einblick in die Arbeitswelt des Autors geben.
Ein Schlüsseltext ist »Expressiv, sensibel und modern« von 1998, der dem finnischen Architekten Alvar Aalto gewidmet ist. Aalto brach mit seiner undogmatischen Architektur mit den Dogmen der modernen Bewegung, führte ins orthogonale System geschwungene Linien ein, integrierte Holz und Backstein in das von Stahlbeton und Glas dominierte Vokabular seiner Zeit, um die Bewohnbarkeit seiner Gebäude zu erhöhen. Ähnliches könnte Zschokke als Zielsetzung seiner Texte vorgeschwebt sein, die geordnet genug sind, um sich in ihnen zurecht zu finden, und gebrochen genug, um nachzuwirken.
Andre Krammer ist selbstständiger Architekt und Urbanist in Wien.