Wasserstadt Wien
Besprechung von »Wasser Stadt Wien« herausgegeben von ZUG – Zentrum für UmweltgeschichteZUG – Zentrum für Umweltgeschichte, Universität für Bodenkultur Wien in Kooperation mit dem Forschungsbereich Städtebau, Technische Universität Wien (Hg.)
Wasser Stadt Wien – eine Umweltgeschichte
2019
496 Seiten, 39 Euro
Kostenloser Download:
https://boku.ac.at/wau/ihg/downloads
Ist Wien wie etwa Amsterdam, Hamburg oder Venedig eine Wasserstadt? Das Buch Wasser Stadt Wien – Eine Umweltgeschichte gibt auf diese Frage eine ausführliche, eine differenzierte Antwort. Ein interdisziplinäres ForscherInnenteam zeigt auf rund 460 Seiten, wie sich die Wasserlandschaft zwischen Wienerwald, Donau und pannonischer Tiefebene und die Besiedlungsstrukturen Wiens im Lauf der Jahrhunderte überlagert und gegenseitig beeinflusst haben. Eine Umweltgeschichte, wie sie hier vorliegt, untersucht die Wechselwirkung zwischen natürlicher Dynamik und menschlichen Ein- griffen. Ökologische, historische, stadtmorphologische Analysen werden fusioniert, um der Komplexität des Themas gerecht zu werden. Die Wiener Terrassenlandschaft zwischen dem Wienerwald, der nordöstlichen Grenze der Alpen und dem der pannonischen Tiefebene vorgelagerten Wiener Becken bildet ein vielschichtiges Landschaftspuzzle. Einerseits ermöglichte die Lage den Anschluss der Stadt an Hochquellleitungen und seit 1873 die Versorgung der Stadt mit Trinkwasserleitungen aus den Alpen. Zugleich wird deutlich, dass das Verhältnis Wiens zu seinem Wasser ein komplexes, lange oft auch ein schwieriges war. Jahrhundertelang war die Donaulandschaft eine instabile Randzone im Nordosten der Stadt. Die Hochwassergefahr war allgegenwärtig. Es brauchte die groß angelegten Donauregulierungen der 1870er- und 1970er-Jahre, um die Hochwassergefahr weitgehend bannen zu können.
Die Römer legten Vindobona direkt an einem Donauarm, dem sogenannten Wiener Arm an. Dieser wurde aber um 1700 reguliert und so zum Donaukanal. Die Wehr- und Kammerschleuse bei Nussdorf, die 1898 von Otto Wagner errichtet wurde, erlaubte erst eine Trennung von Kanal und Donau – ein entscheidender Schritt im Hochwasserschutz. Sowohl die Wasserlandschaft als auch die Siedlungsstruktur wurde in einem lang andauernden Prozess reguliert und so gut als möglich miteinander in Einklang gebracht. Doch zugleich war der Donauraum von Beginn an auch ein schützender Limes, eine natürliche Verteidigungsanlage und bis ins 19. Jahrhundert zudem ein Hauptverkehrsweg und somit wesentlich für die Versorgung der Stadt.
Die AutorInnen zeigen, wie sehr auch die heutigen baulichen Strukturen von der aquatischen Vergangenheit geprägt wurden. Nicht nur sichtbare Wasserbauanlagen wie der Donaukanal oder der baulich gefasste Wienfluss zeugen davon, sondern auch eine Unzahl subtiler Spuren, die eine genaue Stadtlektüre erfordern. So folgen manche Straßenzüge längst trockengelegten Donauarmen und Mühlbächen. Zahlreiche Wienerwaldbäche, wie etwa der Ottakringer Bach, der Alsbach oder Währingerbach sind heute aus dem Stadtbild verschwunden. Sie wurden im 19. Jahrhundert innerhalb des Linienwalls eingewölbt bzw. überbaut und in das nun teilweise wassergespülte städtische Kanalisationsnetz integriert. Auch wenn die Bäche nicht mehr Teil des kollektiven Gedächtnisses sein mögen, so verweisen viele Straßen, Fugen und Korridore auf deren Verlauf.
Die AutorInnen arbeiten heraus, wie stark Siedlungsmuster sich an den Wasserläufen orientierten, während geologische Terrassen wie der Wienerberg, der Laaerberg oder die Schmelz auf Grund des Fehlens von natürlichen Wasserressourcen lange unbesiedelt blieben.
Oft waren es katastrophale Ereignisse, die der Wasserstadt entscheidende Impulse gaben. Die verheerende Choleraepidemie 1831 etwa gab den Anstoß zur Errichtung von Sammelkanälen, die parallel zum chronisch verschmutzten und wohl oft auch verseuchten Wienfluss errichtet wurden. Auch der Donaukanal war lange Sammelkanal und somit eine übel riechende Kloake. Erst die Einrichtung einer städtischen Hauptkläranlage in den frühen 70er-Jahren des 20. Jahrhunderts gewährleistete die hygienischen Standards, die für uns heute selbst- verständlich scheinen. Wasserbaumaßnahmen haben in Wien ebenso hohe Kosten verursacht wie die Prunkbauten der Stadt. Aber auch urbanistische Großprojekte standen mitunter in enger Verbindung mit Transformationsprozessen des urbanen Wassers. Mit der großmaßstäblichen Regulierung des Wienflusses um 1900 wurde der Ausbau des Stadtbahnnetzes gekoppelt. Die großflächige Einwölbung der Wien sollte nach Plänen Otto Wagners an der Stadtoberfläche des Wientals Raum für eine einzigartige Prachtstraße schaffen – ein Projekt, das bekanntlich Fragment geblieben ist. Die architektonisch inszenierte Schaufront an der Wienzeile im Bereich des Naschmarkts zeugt heute noch davon. Anfang der 1960er-Jahre, als die autogerechte Stadt zur Doktrin wurde, gab es Pläne, das Wiental zur Stadtautobahn auszubauen. Auch der damalige Planungsstadtrat Roland Rainer schlug eine Wiental-Expressstraße vor, die bis zum Gürtel, in einer Variante sogar bis zum Ring führen sollte. Auch wenn derartige Verkehrsschneisen nicht realisiert wurden, kann die Selbstverständlichkeit, mit der heute die Verkehrsströme in diesem Bereich hingenommen werden, als Erbe dieser Zeit verstanden werden.
Die hier vorliegende Geschichte der Wasserstadt zeigt auch, wie die Donau im Laufe der Zeit von einer Randzone zur potentiellen Mitte wurde. Ein effektiver Hochwasserschutz, der mit der Schaffung der Neuen Donau und der Donauinsel in den 1970er-Jahren gewährleistet wurde und Brückenschläge quer zur Donau wie die Anknüpfung des transdanubischen Bereichs an das U-Bahnnetz, haben die Stadtgebiete jenseits der Donau an die cisdanubische Stadt herangeführt. Die monozentrische Struktur Wiens wird heute zunehmend von einem neuen cis- und transdanubischen Dualismus unterlaufen. Die Gebiete nordöstlich der Donau weisen heute Raumreserven auf, die für die wieder wachsende Großstadt von entscheidender Bedeutung für die Stadtentwicklung sind. Der 1996 gegründete Nationalpark Donau-Auen könnte im Sinn dieser Gewichtsverlagerung zum Central Park eines grenzüberschreitenden Ballungsraums Wien–Bratislava mutieren, wie Erich Raith im Schlusskapitel anführt.
Die Aspekte der Wasserstadt sind – auch das wird im Buch deutlich – immer auch
von gesellschaftspolitischer Bedeutung. Spätestens seit dem zivilen Widerstand, der den Bau des Donaukraftwerks bei Hainburg 1984 verhinderte, ist die Wasserlandschaft auch im breiten gesellschaftlichen Diskurs präsent.
Das Buch zeigt auf eindrückliche Weise, dass Wien tatsächlich auch als Wasserstadt verstanden werden kann, ja verstanden werden sollte. Als solche ist sie nicht statisch, sondern weiterhin im Fluss. Der Regulierung und der Bändigung der Wasserläufe werden heute längst Werkzeuge und Praktiken der Wiederaneignung beigestellt. Formen der Renaturierung spielen heute ebenso eine Rolle wie jene einer Re-Programmierung, wenn man etwa an die Freizeitnutzungen an der Neuen Donau, der Donau oder am Donaukanal denkt. In Zeiten des Klimawandels wird das urbane Wasser ohnehin eine wichtige Rolle spielen.
Kostenloser Download des Buches:
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Andre Krammer ist selbstständiger Architekt und Urbanist in Wien.