Wie man der Stadt begegnen kann...
Besprechung von »City_System_S. Betrachtungen, Strukturen, Interventionen« herausgegeben von Angela Heide und Pamela BartarVernetzt, aktiviert, reflektiert: Gegenwärtige Stadtteilarbeit bewegt sich auf vielen differierenden, durchaus partikularen Ebenen, häufig in parallelen Universen. Die Kunst des Urban Curating besteht darin, diese diagnostizierten Paralleluniversen derart in Bewegung zu versetzen, dass Begegnungen entstehen. Ästhetik und Ökonomie, Diskursproduktion und Gemeinwesenarbeit, künstlerische Strategien und planerische Ansätze, lokale und nicht-lokale AkteurInnen gehen derart umgebildet oft überraschende Allianzen ein, auf deren produktive Ansteckung im jeweiligen Handlungsgebiet ebenso gehofft wie spekuliert wird.
2002 hatte der siebte Wiener Gemeindebezirk auf lokaler Ebene die Initiative ergriffen und eine offene Einladung für gewolltes Engagement ausgesprochen. Aus diesem Call heraus entstand die Initiative Wolke 7, die als Label für die gemeinsamen Aktivitäten verschiedener Wiener Büros, wie artminutes, dsp architekten und inprogress consulting, fungiert. Das intensiv bearbeitete Zielgebiet der über mehrere Jahre verharrenden Wolke, die in Folge auch Teil eines EU-Projekts, der Partnership on Socio-Economic and Integrated Development of Deprived Neighbourhoods, kurz Poseidon, wurde, war die Kaiserstraße. Wolke 7 suchte Organisationen, Institutionen, öffentliche Verwaltung, private Initiativen, AnrainerInnen, Gewerbetreibende und Kunstschaffende anzusprechen und zu vernetzen. (http://www.wolke7.at)
Die Kaiserstraße wurde nicht nur als physischer Ort mit seinen Potenzialen und Leerständen, seinen Geschichten und Räumen entdeckt, sondern auch diskursiv erweitert und angereichert. Die von Angela Heide konzipierte Diskursreihe City_System_S versammelte von Mai bis Oktober Jahres 2007 insgesamt 30 Positionen des Nachdenkens über die Stadt, um ins Karussell aktuell zirkulierender Begrifflichkeiten einzusteigen und die Prüfung ihrer Interpretationsmöglichkeiten im System der Stadt zu wagen. Wahrnehmung, Beobachtung, Erfahrung, Intervention, Demokratie, Teilnahme, Konflikt, Gemeinschaft: Je nach disziplinärer Herkunft, aber noch viel mehr nach aktueller Interessenslage, von forschend bis politisch, von planend bis künstlerisch, adaptieren die Begriffe ebenso gewandt wie listenreich ihr Bedeutungsspektrum. Ihr Transformationspotenzial verbindet sie mit dem Urbanen. Andere Begriffe wären ähnlich interessant in ihrer ausdauernden Wendigkeit als bereits zu Floskeln erstarrte Dauerbeschwörungsmantras zu befragen: Potenzial, Konflikt, Vorstellung, Zielgebiet, Kreativität, Aneignung, Event, Aufwertung, Gentrifizierung …
Was den Band kennzeichnet, ist der unmittelbare, aus dem Duktus des Sprechens und dem Momenthaften gewonnene Charakter. Angela Heide begreift Stadt als „lebendes Archiv“, als „Museum des Alltags“. Um repräsentative Wartung hegemonialen Gedenkbestands geht es ihr dabei nicht, sondern um den „Erfahrungs- und Aktionsraum unterschiedlichster Interessen und Verortungen“. Die Diskursreihe City_System_S von Wolke 7 fand als Kooperation von artminutes, publicWIENspace und tobecontinued statt und praktizierte im eigenen Projektdesign genau das als Strategie, was aktivierende Stadtteilarbeit in größeren Zügen mit allen Beteiligten anstrebt: die Verbindungen kleiner und kleinster Einheiten auf Zeit, die Allianzen von Motivationen und Interessen, die Bündelung von Begegnungen zur netzwerkenden Produktionssteigerung. Das poststrukturalistische Modell des Rhizomatischen, das Gilles Deleuze und Félix Guattari in Absetzung von den traditionellen hierarchischen Bäumen des Wissens entwickelten, findet in der Anreicherung der Produktivitätssteigerung einen Nebeneffekt sozialen Netzwerkens, in dem das Flexible und das Temporäre, das Kreative und das Effiziente ihre Kompatibilität mit den ihnen innewohnenden kritischen wie ökonomisierbaren Zügen ausspielen können. Womit wir bei der Widersprüchlichkeit der Bedeutungsvielfalt des Sprechens über die selbe Stadt, die die Herausgeberinnen einleitend markieren, wieder angekommen wären. „Auf welch unterschiedliche Weise man über >dieselbe Stadt<, >denselben< Stadtraum“ sprechen kann, das bringen die einzelnen AutorInnentexte und KünstlerInneninterviews zum Ausdruck. Unter den orientierenden Titeln Betrachtungen, Strukturen und Interventionen wird ein gegenwärtiges Archiv des Sprechmöglichen über das System der Stadt eröffnet. Von traumwandlerischen Sehnsuchtskartografien von Stadt, die Siegfried Mattl vorstellt, und der Vermessung der Stadtwahrnehmungen von Rüdiger Zill und Franz Denk führt das Nachdenken in die historische Dimension des Produktionsorts Schottenfeldgasse durch Gerhard Meißl, um von dort die Lektüre zur amalgamen Stadt, die Oliver Frey skizziert, aufzuspannen und zu den Streits und Konflikten, mit denen sich Anna Schober auseinandersetzt, vorzudringen. Öffentlichkeit und ihre Bedingtheiten reflektieren Monika Mokre und Övül Durmusoglu, zeitgenössische künstlerische Praxen Barbara Musil, Klaus Taschler und Thomas Frank, die Strategie des Temporären wird von Anne Katrin Feßler beleuchtet. Im zweiten Teil des Bandes sind Interviews versammelt, die Pamela Bartar ausgehend von der Fragestellung der Kunst im öffentlichen Raum und des Stellenwerts der Stadt Wien in der eigenen Arbeit mit AkteurInnen aus dem Feld geführt hat. Gesprochen hat Bartar mit Beatrix Zobl, Wolfgang Schneider, Gertrude Moser-Wagner, Veronika Barnas, Andrea Maria Krenn, Peter Fattinger, Michael Rieper, Ursula Probst, Martin Wagner, Oliver Hangl, Fritzpunkt (Stadt Theater Wien), Christoph Steinbrener und Martin Strauss, Helga Köcher sowie Vitus Weh. Aus der Kombination von dem Gespräch verpflichteten Diskursdurchquerungen mit den Interviews sind frische rhizomatische Lektüren der Stadt entstanden. Die Vielstimmigkeit und Widersprüchlichkeit, die Dissonanzen und Harmonien, die die täglichen Veränderungen des Urbanen begleiten, wurden von den beiden Herausgeberinnen, Angela Heide und Pamela Barta, in einer seismografischen Ortung aus dem Stadtraum im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts geborgen und zwischen Diskurs und Handlung in ein Buch transformiert.
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Elke Krasny ist Kuratorin, Stadtforscherin und Professorin für Kunst und Bildung an der Akademie der bildenden Künste Wien.