Wien am Gebirge
Besprechung von »Maskeraden. Eine Kulturgeschichte des Austrofaschismus« von Alfred Pfoser, Béla Rásky und Hermann SchlösserAlfred Pfoser; Béla Rásky und Hermann Schlösser:
Maskeraden. Eine Kulturgeschichte des Austrofaschismus
Salzburg: Residenz Verlag, 2024
432 Seiten, 38 Euro
Die Beurteilung des Regimes, das Österreich zwischen 1933 und 1938 autoritär regiert hat, ebenso wie die Bezeichnung dieser Epoche ist in Österreichs Parteienlandschaft immer noch umstritten. Auf der einen Seite steht die ÖVP, die in der Tradition der Christlichsozialen Partei steht, die wiederum in der Vaterländischen Front (VF) aufgegangen ist, die damals die Regierung stellte. Auf der anderen die SPÖ und all ihre Vorfeldorganisationen, die ab 1934 verboten waren. Trotzdem hat sich die Bezeichnung Austrofaschismus weitgehend durchgesetzt und wer den von Nazis ermordeten Engelbert Dollfuß heute ausschließlich als erstes Opfer des Nationalsozialismus sieht und geflissentlich zu erwähnen vergisst, dass er die Demokratie zerstört hat, ist politisch klar zuordenbar. Zu diesem Konflikt und dieser Thematik liegt eine große Zahl an Forschungsarbeiten und Publikationen vor, insofern ist es verständlich und zu begrüßen, dass in der vorliegenden Publikation Maskeraden – Eine Kulturgeschichte des Austrofaschismus darauf nicht groß eingegangen wird.
Die Autoren Alfred Pfoser, Béla Rásky und Hermann Schlösser konzentrieren sich darauf, vor allem das Kultur- und Geistesleben, seine Protagonist:innen, Groß- und Kleinereignisse in mehreren Dutzend kurzer Texte in den Blick zu nehmen. Sie zeigen, dass die junge Demokratie nach dem Ersten Weltkrieg im Vorfeld des Austrofaschismus keineswegs durchgehend begrüßt und unterstützt wurde, was in den unmittelbaren Nachkriegsjahren (noch) nichts mit einer Habsburg-Nostalgie zu tun hatte. Das Vertrauen in die Demokratie speziell bei liberalen Künstler- und Schriftsteller:innen war schwach ausgebildet. »Ekel und Verachtung« für die parlamentarische Demokratie zu empfinden und Parteien als »suspekt« zu bezeichnen, hatte Tradition. Das politische Alltagsleben mit seinen Wahlkämpfen, seinen taktischen Manövern, den populistischen Parolen, den Skandalen und den leeren Versprechungen wurde als »Zumutung« angesehen. Hans Kelsen, Architekt der österreichischen Bundesverfassung, war eine der wenigen Stimmen, die davor warnte, nur auf die unvollkommenen Seiten der Demokratie zu blicken. Trotz dieser Stimmung gab es aus der Kultur- und Kunstszene Unterstützung für das sozialdemokratische Rote Wien, wie sich 1927 in einer Kundgebung des geistigen Wiens betitelten Wahlempfehlung zeigte. Unterzeichnet wurde sie u. a. von Sigmund Freud, Alfred Adler, Robert Musil, Hans Kelsen, Franz Werfel und Felix Salten. Eine Unterschrift, die manche später vielleicht bereuten, weil sie ihnen während des Austrofaschismus zum Nachteil gereichte.
Der Austrofaschismus veränderte für viele die Frage der politischen Positionierung. Eine Reihe von Aspekten musste abgewogen werden, denn auch der Nationalsozialismus, von dem sich das Regime so sehr zu distanzieren versuchte, war ein wichtiger Faktor. Der nationalsozialistischen Kulturpolitik gelang es, großen Einfluss auf das Literatur- und Filmwesen zu gewinnen, indem sie die eigenen diskriminierenden Bestimmungen und Regeln auf Österreich ausdehnte und damit den Zugang zum deutschen Markt regeln konnte.
Etliche Figuren des öffentlichen Lebens,- die in den 1920er Jahren der Sozialdemokratie nahestanden, fanden sich mit dem Austrofaschismus als »kleinerem Übel« ab. Manche, wie Karl Kraus, das »Idol vieler Sozialdemokrat:innen«, unterstützten ihn sogar. Ein moderner Komponist wie Ernst Krenek, der von Protagonisten des austrofaschistischen Regimes zwar in die Nähe des Kulturbolschewismus gerückt wurde, lobte den Austrofaschismus trotzdem als eine »überparteiliche Staatsform«, »die einem geistigen Menschen die Heimat bieten könne, nach der er so lange gesucht hat«. Krenek trat im Mai 1933 der Vaterländischen Front bei, der er bis 1938 die Treue hielt. Gleichzeitig pflegte er Briefwechsel mit Adorno, Bloch und Benjamin. Ein glühender Monarchist und scharfer Kritiker des Austrofaschismus wie Joseph Roth, hob über die Jahre »in das Traumreich eines katholischen und habsburgischen Universalismus« ab, zollte nichtsdestotrotz gleichzeitig »dem sozialdemokratischen Parteiobmann Otto Bauer anlässlich seines Todes in Paris Hochachtung und Respekt«.
Das austrofaschistische Regime konnte auf keinen großen Rückhalt innerhalb der Bevölkerung zählen. Versuche, eine Massenbasis zu schaffen, schlugen fehl. Das Regime pries ein Neues Österreich und sah sich als »Hüter der deutschen Kultur«, war aber auch damit wenig erfolgreich, vertrat es doch einen radikal konservativen Kulturbegriff. Kein Wunder also, dass ein Auftritt des Futuristen Filippo Tommaso Marinetti in Wien, zu der Zeit als die Austrofaschisten Mussolini noch sehr nahe standen, mit einer Polemik gegen das »ewig Gestrige« das Publikum irritierte. Gleichwohl zeigte es sich von seinem »schwungvollen Optimismus« begeistert.
Einen aufschlussreichen Blick in die Verfasstheit der bürgerlichen Gesellschaft abseits der kulturellen Eliten gewährt die Lektüre der Texte des Journalisten Ludwig Hirschfeld, dem ein Kapitel im Buch gewidmet ist. Er verfasste über Jahrzehnte Artikel für die Neue Freie Presse. Hier lässt sich nachlesen, wie die »unpolitische Mittelklasse« und Anhängerschaft der VF dachte, was sie störte und was ihr Angst machte. Sie misstraute dem Parlamentarismus, weil er für sie einen Abstieg bedeutete. Die gewohnte gesellschaftliche Distanz zum Proletariat war im Roten Wien erodiert. Missgunst herrschte vor, man beklagte einen »Steuersadismus«. Der eigene Abstieg hatte sich durch die Präsenz der prächtigen Gemeindebauten ins Stadtbild eingeschrieben, der gewohnt komfortable Lebenswandel inklusive Dienstpersonal ließ sich kaum aufrecht erhalten.
Immer wieder gab es Versuche des Regimes, sich auf internationaler Bühne als Kulturnation zu positionieren. Gelegentlich gelang das auch, wie durch Arturo Toscaninis Auftritte bei den Salzburger Festspielen oder den Österreich-Pavillon von Oswald Haerdtl auf der Pariser Weltausstellung 1937. Doch bewiesen selbst diese Ausnahmen von der Selbstprovinzialisierung in Details immer wieder die antiurbanistische und antimoderne Grundierung der Kulturpolitik des Regimes. Anton Kuh, einer der schärfsten und treffendsten Kritiker:innen des Austrofaschismus, sprach deswegen spöttelnd von »Wien am Gebirge«, Joseph Roth von den »Alpentrotteln«.
Nicht zuletzt durch die vielen kurzen Texte gelingt es den Autoren von Maskeraden ein sehr vielfältiges Bild des kulturellen Lebens im Austrofaschismus zu zeigen. Dass man sich immer wieder dabei ertappt, zu überlegen, ob es ähnliche Anzeichen einer autoritären Herrschaft auch heute gibt oder eine solche droht, macht die Lektüre aktueller als man das wünscht.
Christoph Laimer ist Chefredakteur von dérive.