Wilhelm Reich revisited
»Sex! Pol! Energy!«, Ausstellung im Jüdischen Museum WienSollte es ein Knalleffekt werden? Wenn man verfügt, dass der schriftliche Nachlass erst 50 Jahre nach dem eigenen Tod geöffnet werden darf, sieht es ganz nach einem solchen Versuch aus. Wilhelm Reich, Psychoanalytiker und Experimentalwissenschaftler aus der Donaumonarchie der Jahrhundertwende, war gewiss begabt in der Selbstinszenierung. Aus den Fotos, Reden und Texten ersteht eine Persönlichkeit mit unbeugsamem Pioniergeist und revolutionären Ansprüchen. Tabubrüche auf wissenschaftlicher Seite, Auseinandersetzungen und Parteiausschlüsse auf gesellschaftspolitischer Seite: Immer wieder steht er im Rampenlicht und seine häufigen Umzüge und damit verbundenen Neuanfänge scheinen ihn nicht zu entkräften, im Gegenteil, möglicherweise laden gerade diese Element-e seine Kraftquellen immer neu.
Ein lieblos wirkender distanzierter Blick auf seine „Forschungsobjekte“, wie er dem Naturwissenschaftler oft nachgesagt wird, scheint ihm dabei immer zu eigen und erstreckt sich auch auf die Analyse eigener traumatischer Erlebnisse. In der Ausstellung Sex! Pol! Energy! im Jüdischen Museum präsentierte Veröffentlichungen, Briefe und Fotografien zeigen ihn, kaum jemals lächelnd, als einen, den man sich als stur und einzelgängerisch vorzustellen geneigt ist. Und in seinen Notizen finden sich mitunter, ganz im Widerspruch zu seinen erklärten Zielen, sehr herablassende Äußerungen über seine Mitmenschen und deren „Schafartigkeit“. Nicht Altruismus, sondern forscherische Neugier und Lust an der Provokation scheinen sein Treibstoff zu sein.
Seine Laufbahn als Erforscher von sexuellen und psychischen Befindlichkeiten betritt er in seiner frühen Jugend, als er seine untreue Mutter an den Vater verrät. Sie wird sich bald darauf umbringen – und auch der Vater, dem Wilhelm fortan sehr nahe stand, hat nicht mehr lange zu leben. Bereits 1920, noch als Medizinstudent , wird er als außerordentliches Mitglied in den elitären Kreis der Wiener Psychoanalytiker aufgenommen und Freud fördert ihn persönlich. Reich treibt seine eigene Forschung schon bald in Richtung Sexualwissenschaft und verbindet sie mit politischen Überlegungen. Ausgehend von Freuds Libidotheorie und in eklatantem Widerspruch zu dessen Annahme des Thanatos-Triebes entwickelt er seine Orgasmus-Theorie, die damals viel Aufruhr verursachte und sich – naturgemäß – in der Flower-Power-Zeit großer Beliebtheit erfreute. Reich nimmt eine Art Elementarteilchen an, das Lebensenergie erzeugt bzw. beinhaltet, und er nimmt weiterhin an, dass nur im Orgasmus eine vollständige Entladung der körpereigenen Spannungen, die er als Resultate psychischer Prozesse versteht, erfolgen könne. Er versucht außerdem Psychoanalyse und Marxismus zusammenzudenken. 1933 erscheint das skandalträchtige Werk Massenpsychologie des Faschismus, wohl sein bekanntestes Buch, in dem er Autoritätshörigkeit als Voraussetzung für das Funktionieren faschistischer Systeme entlarvt und charakterisiert.
Reich selbst ist in Wien in der sozialdemokratischen und später der kommunistischen Partei und auch in Berlin politisch tätig. Die KPD schließt ihn nach Veröffentlichung des heftig umstrittenen Buches aus der Partei aus, was einerseits auf himmelschreiende Ignoranz der GenossInnen, andererseits aber auch auf eine schwierige Persönlichkeit hinweisen könnte. Reichs Gesellschaftsanalyse liest sich wie ein Menetekel und es muss ein ungelöstes tragisches Rätsel der Geschichte bleiben, warum sie nicht genügend andere wache Geister dazu aktivieren konnte, der politischen und gesellschaftlichen Katastrophe des Nationalsozialismus stärker entgegenzuwirken.
Die Ausstellung Sex! Pol! Energy! verlangt aufgrund der vielen Textdokumente viel Konzentration zum Lesen, dafür vermittelt sie, gerade für Reichs Leben in Wien und Berlin, viel Zeitkolorit. Textauszüge und Fotografien, Briefe von Freud etwa, Fragebögen für Jugendliche aus der Sexualberatungsstelle, die er mit Marie Frischauf, einer überzeugten Kommunistin, in Wien eröffnet hatte. Sehr aufschlussreich für eine Vorstellung der aufgeheizten politischen Stimmung im Wien der Zwanzigerjahre und der Person Reich, die diese brillant seziert, ist die Transkription einer stenografierten Rede, die Reich anlässlich einer Versammlung der sozialdemokratischen Partei 1927 in Wien hielt. An dieser Stelle ein erstauntes und sehr verspätetes Lob an die Schriftführerin des Aktionskomitees der Frauenschaft, Hermine Hromada, die in diesem Textdokument Zwischenrufe, Lärmpegel und wachsenden Aufruhr akkurat wiedergibt, bis sie zum Schluss den Saal verlässt, mit dem Hinweis: „Da unter dieser Rede sehr viel Polizei aufgetaucht war, forderte mich mein Begleiter auf, lieber den Saal zu verlassen, damit mir nicht etwas geschehen könne und so weiss ich eben nicht, was weiter noch war.“ In dieser Versammlung erscheint Reich als mitreißender Redner, der sich vor demagogischen Kniffen nicht scheut. Seine Kenntnis psychologischer Kriegsführung zeigt sich ganz deutlich, und das Klischee vom weltverbesserungswilligen Pazifisten wird Lügen gestraft, liest man Ausrufe wie „der Bürgerkrieg ist unvermeidlich!“. Gleichzeitig tritt der junge Reich als analytischer Kopf vor uns, der die politische Situation, die schleichende Machtübernahme wichtiger Ämter durch Faschisten und die von der Regierung geduldeten Attacken auf die Streikbewegung der ArbeiterInnen ungeschönt anprangert.
Man wähnt fast, die agitierenden Stimmen zu hören, die wachsende Unruhe im Saal mitzuerleben. Und tragischerweise hatte er völlig recht in seiner radikalen Einschätzung der politischen Situation. Als streitbarer Geist scheute er sich nicht vor Auseinandersetzungen und Ortswechseln. Stationen seines Lebens: von der Bukowina nach Wien, Berlin, Kopenhagen, Malmö, Oslo, Maine/USA.
In den Räumen des Jüdischen Museums wird ein Mann porträtiert, dessen forscherische Unerschrockenheit auch heute viel Diskussionsstoff und Anregungen bereitstellt. Nicht zuletzt seine Theorie vom „Körperpanzer“, den er als physischen Ausdruck psychischer Problematiken vorstellt: dieses Konzept leistete einen nicht unwesentlichen Beitrag zur Entwicklung verschiedener körperorientierter Psychotherapien. Seine Dehnung des Wissenschaftsbegriffes lässt aber wohl jene, deren wissenschaftliche Haltung Nachvollziehbarkeit und Klarheit verlangt, nach und nach auf der Strecke und nötigt ihnen ein Kopfschütteln ab: Irgendwie drängt sich die Frage auf, wie sich ein so intelligenter Mensch derartig selbstverliebt in seine übersteigerten Theorien verrennen kann. Freud bezeichnete diese Tendenz als „Aufzucht von Steckenpferden“. Die Suche nach dem Lebenselixier ist wahrscheinlich so alt wie die Menschheitsgeschichte selbst und die Annahme, es müsse etwas wie „Lebensenergie“ geben, hat an sich nichts Unvernünftiges. Doch der nächste Schritt hin zur frankensteinischen Allüre, diese selbst generieren zu wollen, ist für Reich nicht weit. Der Traum des Alchimisten tritt im Amerika der 1950er-Jahre natur- und zeitgemäß in wissenschaftlicher Gewandung auf: Auch die auf den ersten Blick obskurantisch anmutenden Versuche mit Hilfe von akkumulierter Orgon-Energie nicht nur zu heilen – was sich im Versuch nicht bewerkstelligen ließ – sondern selbst das Wetter zu beeinflussen – was angeblich funktioniert hat – werden dokumentiert. Der medizinische bzw. physikalische Stein des Anstoßes, der Orgon-Akkumulator und seine praktische Anwendung, wird leider weder in der Ausstellung noch im Katalog wirklich erklärt – ist das Geheimwissen, nur für Eingeweihte? Videos von Sitzungen und Kommentaren zur Reich’schen Körpertherapie, Kunstfilme und geometrische Orgasmusaufzeichnungen lockern die Textblöcke auf.
Die ansprechend gestaltete Veröffentlichung zur Ausstellung bietet Hintergrundwissen und schafft ein Zeitambiente, wie man es sich wünscht: Originaltexte und Fotografien, Essays mit unterschiedlichen Aspekten auf Leben, Werk und heutige Rezeption Reichs und eine ausführliche Literaturliste machen den Katalog zu einem eigenständigen, vielseitigen Nachschlagewerk, das weit über eine Personale hinausgeht.
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Ausstellung
Wilhelm Reich
Sex! Pol! Energy!
Jüdisches Museum Wien
16. November 2007 bis 9. März 2008
Susanne Karr