Wohnungen für die Bedürfnisse der BewohnerInnen
»Häuser für Menschen. Humaner Wohnbau in Österreich«, ein Film von Reinhard SeißHäuser für Menschen
Humaner Wohnbau in Österreich
Regie: Reinhard Seiß
Wien 2013, 125 min
Der Raumplaner Reinhard Seiß ist als fundierter Kritiker der Wiener Stadtplanung bekannt. Seine kritische Auseinandersetzung mit Bauprojekten in der Publikation Wer baut Wien ist heuer bereits in 4. Auflage erschienen, was als mittlere Sensation zu werten ist. In einer Stadt wie Wien, wo viele ForscherInnen aus den Planungsdisziplinen von Aufträgen der Stadtverwaltung abhängig oder in diese integriert sind, und sich deswegen mit öffentlicher Kritik oft zurückhalten, sind Stimmen wie die von Seiß für die Debatte besonders wichtig.
In seinem neuen Film Häuser für Menschen lässt Seiß nun fast sämtliche Kritik beiseite und zeigt vier Wohnbauten bzw. -siedlungen, die er als beispielhaft sieht. Fast deswegen, weil der Grund dafür, dass diese vier überhaupt gezeigt werden müssen, natürlich die unerfreuliche Ausgangsposition ist, die es notwendig macht, Best Practices als Anregung und Vorbildwirkung ins Rampenlicht zu stellen. Die Ausgangsposition ist, dass 80 Prozent der ÖsterreicherInnen angeblich immer noch vom freistehenden Einfamilienhaus mit Garten träumen, in vielen Städten qualitätsloser Massenwohnbau noch zu oft die Norm ist und, dass das Wohnumfeld die Lebens- und Freizeitbedürfnisse nicht befriedigen kann, was wiederum zu starkem Verkehr und vielen Verkehrsflächen führt. Auch wenn sich aus den aktuellsten Entwicklungen schließen lässt, dass die Zahl der Menschen die gerne in der Stadt wohnen und im Häuschen im Speckgürtel keine attraktive Alternative sehen, im Steigen begriffen ist, ist es keine Frage, dass Best Practices weiter dringend notwendig sind um augenscheinlich zu zeigen, welche Qualitäten möglich sind.
Die vier portraitierten Beispiele sind die Gartenstadt Puchenau von Roland Rainer, der Wohnpark Alt Erlaa von Harry Glück, das Nachbarschaftliche Wohnen Guglmugl von Fritz Matzinger sowie Sargfabrik und Miss Sargfabrik von BKK-2 / BKK-3. Ihnen allen gemeinsam ist, dass dem Bezug zum Grün- bzw. Freiraum besondere Bedeutung beigemessen wird und immer wieder betont wird, dass die BewohnerInnen weniger als andere den Bedarf sehen, in der Freizeit ins Auto zu steigen und ihre Wohnumgebung zu verlassen um z.B. aufs Land zu fahren. Ein weiteres verbindendes Element ist – und darauf weist die Architektin Johanna Rainer, die Tochter von Roland Rainer im Film nachdrücklich hin –, dass die Bedürfnisse der BewohnerInnen im Mittelpunkt stehen (müssen). Die aktive Beteiligung der BewohnerInnen ist bei den vier Bauten durchaus unterschiedlich und reicht von einem Top-down-Projekt wie Alt-Erlaa, dass sein Architekt Harry Glück mit seinen vielfältigen Angeboten in der Tradition des Roten Wien sieht, bis zur Sargfabrik, die BewohnerInnen und ArchitektInnen gemeinsam entwickelt haben. Dass Alt-Erlaa mit seinen rund 3.200 Wohnungen eines der Beispiele im Film ist, ist im Hinblick auf die Notwendigkeit aufgrund der wachsenden Bevölkerungszahl die Zahl der gebauten Wohnungen in den nächsten Jahren stark zu steigern besonders wichtig. Nicht jeder hat Zeit, Energie und (finanzielle) Möglichkeit sich an Projekten wie der Sargfabrik zu beteiligen. Aber das würde eigentlich auch fürs Einfamilienhaus gelten.
Seiß widmet in seinem rund zweistündigem Film jedem der Beispiele ausführlich Zeit und lässt immer auch BewohnerInnen zu Wort kommen. Auffällig ist, wie wenig Stellenwert – abgesehen vielleicht von der Sargfabrik – die ArchitektInnen auf die Ästhetik legen. Mehrmals wird darauf verwiesen, dass es von nachrangiger Bedeutung ist, wie die Fassade aussieht. Interessant wäre anhand der Projekte das Thema soziale Ästhetik zu diskutieren, über das Christian Teckert am Beispiel der japanischen Architektur an anderer Stelle in diesem Heft schreibt. Aber grundsätzlich ist Peter Marcuse zuzustimmen, wenn er ebenfalls in diesem Heft schreibt: »What the city needs is not redesign, but reorganization.« Dem Film ist zu wünschen, dass er ein breites Publikum findet, das erkennt, was möglich ist, und dass er ArchitektInnen und Bauträger ermutigt die gewohnten Pfade zu verlassen.
Christoph Laimer ist Chefredakteur von dérive.