World´s Biggest Crossing
Manchester ist eine der großen Migrationszielstädte Nordeuropas. Einrichtungen wie das Contact Theatre versuchen eine Cross-Cultural-Vermittlerrolle. Die gegenseitige Ignoranz und respektlose Toleranz lässt sich dadurch kaum erschüttern.
Manchester ist eine der großen Migrationszielstädte Nordeuropas. Einrichtungen wie das Contact Theatre versuchen eine Cross-Cultural-Vermittlerrolle. Die gegenseitige Ignoranz und respektlose Toleranz lässt sich dadurch kaum erschüttern.
Manchester, die Rainy City in Englands Norden, ist neben Birmingham nicht nur eine der ältesten englischen Arbeiterhochburgen mit ihren Mills; sondern auch Heim des wohl weltweit bekanntesten Fußballteams: Manchester United. Dieses wird nicht nur von englischen TouristInnen mit T-Shirts und Baseballcaps gefeiert und hat mit dem Trafford Centre ein Einkaufs- und Erlebniszentrum, das eine Collage aus Las-Vegas-Impressionen aus 1000-und-1-Nacht und venezianischem Rokoko-Kitsch wiederspiegelt. Hier wird jede Nacht das Image des nordeuropäischen Clubmekkas mit Crosscultural-Anspruch gefeiert und neben alternativen und mainstream Kultur- und Kunstspaces, gibt es hier eine der aktivsten Black, South Asian und East Asian Communities Nordeuropas.
Manchester hat, wie auch andere europäische Städte, die Migrationsziele sind, traditionelle Stadtteile, in denen bestimmte Ethnien verstärkt leben: China Town, ein chinesischer Stadtteil, der erst knapp 60 Jahre alt ist. Rochdale, hier leben verstärkt pakistanische Muslime, und Wilmslow Road, das Zentrum asiatischer Alltagskultur (Vom Kebapladen, der auch von weißen StudentInnen frequentiert wird, über pakistanische Restaurants, indische Süßigkeitenläden bis hin zu Brautschmuck, Haus- und Festtagsanzügen, Kinos mit den neuesten Bollywoodproduktionen und Musik findet man hier alles.), oder Moss Side, die Rough Side westindischer MigrantInnen. Trotz des zeitgemäßen kulturellen Criss-Crossings und der demonstrativ zur Schau gestellten Gleichberechtigung unterschiedlicher ethnischer, sozialer gesellschaftlicher Gruppen existiert gerade hier ein krasser Rassismus – wie im Stadtteil Oldham letztes Jahr zu sehen war; obwohl die »Race and Religious« Unruhen des letzten Sommers nun von kleineren Schlägereien abgelöst wurden, müssen sich die englische Zentralregierung, Stadtverwaltung und die einzelnen betroffenen Communities damit auseinander setzen, um eine Langzeitlösung zu finden – und das Empire, das immer noch in vielen Köpfen geistert, zelebriert hier seine Commonwealth Games 2002.
Manchester ist eine utilitaristische Stadt, die eine in sich beunruhigend geschlossene Architekturstruktur aufweist, zum Beispiel in Trafford – das Stadium und das Erlebniszentrum – oder in Dean’s Gate – das Aquäduktlabyrinth zwischen den Lagerhäusern aus dem späten 19. Jahrhundert. Die architektonischen Stile stehen hier jedoch nicht einfach nur nebeneinander, sondern überschneiden sich, ohne sich jedoch wirklich zu vermischen. Durch die Überschneidungen entsteht eine unheimliche Verwirrung, je mehr Schichten und Überbauten die Stadt auf die bestehenden Strukturen auftürmt, um so weniger Gemeinsamkeiten zwischen den einzelnen Komplexen können und werden zugelassen.
Spektakel urbaner Möglichkeiten
Ähnlich wie die Stadt mit dem fast nicht mehr erkennbaren architektonischen Gesamtbild umgeht, bedienen sich die einzelnen Bevölkerungsgruppen der für sie erfassbaren Strukturen. Sie nehmen Manchester als ein Spektakel urbaner Möglichkeiten und Entwicklung auf und entwickeln es für sich neu. So wird aus einer alten ungenutzten Kirche in Chorlton ein hinduistisches Gemeindezentrum mit Tempel, das Kirchendach wurde abgerissen und ein hinduistisch anmutender Bau aufgesetzt – das goldene Dach prangt nun zwischen englischen Backsteinmittelklassehäusern. Die Lagerhallen im Zentrum der Stadt entwickelten sich zu China Town und wurden mit etwas Rot-Gold-Pathos aufpoliert.
Während die MigrantInnen und deren Kulturen das Erscheinungsbild der Stadt, insbesondere im Zentrum, veränderten, indem sie die vorhandenen Bauten etc. nutzten, so scheint die »weiße« Kultur sich beweisen zu müssen, dass es immer noch möglich ist, in einem Gewirr aus Unübersichtlichkeiten neue Prunkgebäude aufstellen zu können. Damit diese zugänglich sind, werden faschistoide Straßenläufe entworfen und ein massives Netz aus Teer und Beton errichtet, um dadurch die einzelnen Highlights post-moderner Ignoranz miteinander verbinden zu können. Angefangen mit »The World’s Biggest Crossing«, einer unübersehbaren Kreuzung am Rand des Stadtzentrums – Beton so weit das Auge blickt – bis hin zu glasigen Hängebrücken im Shoppingparadies in der Stadtmitte, welche die einzelnen Megastores miteinander verbinden. Zum letzten Mal wurde so eine Konstruktion 1996 von der IRA in die Luft gesprengt, aber wie eine Hydra wachsen auch hier immer wieder neue Köpfe nach, und ähnlich wie bei den Commonwealth Games muss sich England auch hier beweisen – die weiße Kultur, das Erbe des Empires, lebt.
Cross-Cultural-Vermittlerrolle
In Dean’s Gate werden alte Lagerräume, die in den 1980er bis Mitte der 90er Jahre noch von der Alternativ- und Underground-Musikszene genutzt wurden, in Snoberias mit noblem Eiscaféflair verwandelt, hier legen weiße DJs Asian Dub Foundation und FundDaMental für ein Publikum von asiatischen Mittelklassekids in Bankeranzügen auf, die gerne weiß wären oder unpolitischen weißen StudentInnen, die es einfach hip finden, South Asian Music zu hören – natürlich ohne kritische Ansprüche. Diese »Erfolgs«-Gebäude werden manchmal sogar unter dem Vorwand ökologische Architektur zu fördern gebaut. So entstand unter anderem das Contact Theatre, eine Burg mit Abwehrcharakter, hier wird Popkultur in Hochkultur verwandelt und der Versuch unternommen interessante Strömungen, insbesondere aus den verschiedenen Migrationskulturen, einem englischen Publikum zugänglich zu machen. Leider werden dabei die einzelnen Strömungen in die goldenen Präsentationskästen der Exotica gesteckt.
Manchester beherbergt eine ganze Reihe solcher Institutionen wie das Contact Theatre, den Green Room oder die Cornerhouse Gallery, Einrichtungen, die versuchen eine Cross-Cultural-Vermittlerrolle zu spielen – in unterschiedlichsten Gebieten (Sound, Performance, Visuals). So versucht das Educational Department des Contact Theatres eine Brücke in Stadtteile mit hoher Migrationsrate zu schlagen und dort Jugendlichen und Kindern die Möglichkeit zu geben Interesse für die Kultur ihrer Eltern zu entwickeln. Das Contact Theatre sieht es als seine Aufgabe Jugendliche und Kinder aus MigrantInnenhaushalten (meistens Jugendliche und Kinder mit muslimischem/pakistanischem Hintergrund oder aus der Black Community) aus der Rolle der Opfer, in die sie oft gesteckt werden, da sie nicht genug Ausbildung und Unterstützung durch ihre Umwelt erhalten, herauszuholen. Indem es ihnen aber nur die Möglichkeit bietet die Kultur ihrer Eltern/Vorfahren kennenzulernen und nicht Kultur allgemein und sie dadurch wieder als Ethnie/Minderheit ausgrenzt, schafft das Programm einen neuen Rassismus, der weitere Opferrollen unterstützt und schafft.
Es gibt natürlich auch noch andere Ansätze, wie den von Futuresonic, hier werden oder sollen Teile der Gesellschaft erreicht werden, die diese Jugendlichen und Kinder in ihre Opferrolle gesteckt haben. LehrerInnen an den staatlichen Schulen und MitarbeiterInnen im Öffentlichen Dienst etc. werden angesprochen, ihnen soll der Hintergrund dieser MigrantInnen vermittelt werden, damit sie besser auf die einzelnen Gruppen eingehen können und nicht aus Ignoranz verurteilen, was in anderen Kulturformen gelebt wird. Erst der zweite Schritt besteht darin – ähnlich wie ADFed in London – den Jugendlichen und Kindern der MigrantInnen die Kultur, aus der die Eltern kamen, näherzubringen und zu erschließen (Futuresonic wie auch ADFed sind beides Projekte, die aus Underground Music Initiativen geboren wurden, inzwischen aber – zumindest Futuresonic – unterschiedlichste kulturelle Felder mit einschließen und durch Konzerte/Festivals etc. getragen werden).
Migrationsziel Manchester
Manchester, die »zweite« Stadt Englands, ist eines der großen Migrationszentren/-ziele in Nordeuropa, die größte MigrantInnengruppe ist die der AsiatInnen (South Asians), das sind hauptsächlich Muslime aus Pakistan, Sikhs aus Pakistan und Indien, Hindus aus Nordindien und Bangladesch; gefolgt von der Black Community (West Indies, Karibik) und anderen asiatischen und südeuropäischen Minderheiten. Ähnlich wie das architektonische Erscheinungsbild der Stadt – die einzelnen Gebäudekomplexe und Baustile versuchen sich mit Ellbogentaktik zu behaupten – bauen auch die einzelnen Minderheitengruppen ihre eigenen Kulturterritorien auf. Anders als in den meisten Städten kommt es hier aber nicht zu einer wirklichen Gettoisierung (außer vielleicht in Rochdale, Wilmslow Road, Moss Side und China Town). Das eigene kulturelle Erbe, von dem man annimmt, dass es die eigene Kultur ausmacht, wird aggressiv in den Vordergrund gestellt. Natürlich lässt jede Minderheit, inklusive die der Engländer, die jeweilig andere Kultur zu, sie wird mit scheinheiliger Gleichgültigkeit geduldet. Der Zustand funktioniert aber nur, solange die respektlose Toleranz in desinteressierter, unpolitischer, nicht fanatisierter Lethargie verharrt; sobald eine Gruppe beschließt den Zustand zu ändern – ob nun durch äußere Umstände oder aus den eigenen Reihen heraus ermutigt – bricht das fragile Miteinander zusammen.
Gegenseitige Ignoranz
In der Zeit der Lethargie beschließt leider auch jede Gruppe für sich, dass es nicht notwendig ist, sich mit dem Anderen zu beschäftigen, auseinander zusetzen. Die Ignoranz gegenüber den anderen Kulturen, die man bis dahin nur als Konsument, in feinen Sushihäppchen und mittelscharfem Tikka Chicken Masala bei TESCO oder Marks and Spencer sowie Asian Underground und Ragga CDs im Virgin Mega Store, wahrgenommen hat, lässt sich nicht länger verheimlichen. Die Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit beginnt und lässt sich auch nicht dadurch verheimlichen, dass Frau Blair mit einem bestickten Kaschmirschal von Harrod’s nach Moss Side fährt, um mit einer west-indischen Familie PG Tips (eine Mischung aus Kenia, Assam, Nilgiri und Ceylon) Tee zu trinken. Das Ergebnis des Aufbrechens der Lethargie wurde von sämtlichen Medien im letzten Sommer dokumentiert. Die »Race and Religious« Unruhen in Oldham, Bradford, Rochdale wurden in der gesamten westlichen Welt wahrgenommen und wochenlang besprochen. Was jedoch nicht mehr beobachtet wird, ist der schmerzhafte Versuch einer kranken urban Struktur die Wunden zu pflegen und vorzubauen, gegen einen nächsten Ausbruch. Nur durch Brot und Spiele – die Medizin des Manchester Metropolitan City Councils – ist leider nicht viel getan, die pädagogischen Versuche von Institutionen wie dem Contact Theatre, scheinen auch nur bedingt wirksam, manchmal überhaupt nicht umsetzbar. Die einzelnen politischen, religiös motivierten oder sonstig aktiven Gruppen scheinen sich jetzt aber in ihre Schmollschneckenhäuser zurückgezogen zu haben. Was also nun?
Manchester und seine ungelösten städtebaulichen und sozialen, kulturellen und politischen Ungerechtigkeiten und Probleme sind für Großbritannien – und vielleicht Europa – eine Aufforderung zur notwendigen Lösung. In Großbritannien werden zur Zeit Lösungsansätze zur Flüchtlings- und Migrationsproblematik diskutiert, ohne die Hintergründe verstehen zu wollen oder zu können – respektlose, lethargische Toleranz und Ignoranz machen sich breit –; die Schließung des Tunnels nach Frankreich wird diskutiert, einem Projekt, welches alles andere als wirklich brückenschlagend war, und immer wieder Ziel von Anschlägen; zum Millennium wurden in ganz England pompöse Gebäude aus dem Boden gestampft, unter anderem die Millennium Bridge (London) – eine weitere nicht nutzbare Konstruktion, gegen die »ausschließenden« gesellschaftlichen Strukturen wurde nichts unternommen. Die Problematik der blinden Koexistenz, die geregelte Kreuzung im Alltagsleben – The Big Crossing – muss immer noch überwunden werden.
www.bbc.co.uk/manchester/talkback/092001/07/oldham.shtml
www.futuresonic.com
asiandubfoundation.com/adfed.htm
www.contact-theatre.org
www.selfhelpservices.org.uk/Asian%20Women
http://les1.man.ac.uk/sociology/staff/PUREVAL.HTM
www.manchester.gov.uk/bestvalue/equality/race/2010/section2.htm
www.manchesterunited.com
www.traffordcentre.co.uk
Ruby Sicar beschäftigt sich in ihrer künstlerischen Arbeit mit der Identität und Selbstdefinierung asiatischer Frauen der zweiten Generation in Europa.