Zeichen-Setzung
Eine Ausstellung im öffentlichen Raum und acht Lesarten von StadtDass die Stadt auf vielerlei Weisen bezeichnet oder angeschrieben wird und sich solcherart mit mannigfaltigen Signifikanten um das urbane Signifikat erweitert, ist keine große Erkenntnis. Eine interessante Option ist in dem Falle, zumal wenn es sich um Manifestationen von künstlerischer Arbeit handelt, diese Beschriftungen oder Sinngebungsversuche als Lesarten der Stadt aus dem Blickwinkel einer von Roland Barthes angeregten Urbansemiotik zu betrachten: „Nichts scheint mir von größerer Wichtigkeit, als eine verstärkte Anzahl von Lesarten der Stadt zu betreiben, eher noch als wissenschaftliche Untersuchungen oder Funktionsstudien […]. Wenn wir von diesen Lesarten ausgehen, von dieser Rekonstruktion einer Stadt-Sprache oder eines Stadt-Codes, so können wir daraus auch eine wissenschaftliche Betrachtungsweise ableiten, in der es um die Analyse von Bedeutungseinheiten, Syntax usw. geht.“[1]
Urban Signs – Local Strategies
Nun präsentierte sich eine bis Ende Dezember 2008 rund um das Szeneokal Fluc am Wiener Praterstern besichtigbare, vom KuratorInnen-Trio Ursula Maria Probst, Walter Seidl und Martin Wagner ausgerichtete Ausstellung von Kunstwerken im öffentlichen Raum expressis verbis als Urban Signs – Local Strategies und damit auch als durchaus sehens- oder eben lesenswerte Bereicherung für den unfertigen Passagenraum um den Bahnhof Praterstern. Schließlich bedeutet eine an die einzelnen KünstlerInnen ergehende Einladung zur Teilnahme an einer bewusst für den öffentlichen Raum kuratierten Ausstellung zugleich eine Anregung, sich mit ortsspezifischen Gegebenheiten auseinanderzusetzen bzw. die Dynamik und das Potenzial von Stadtraum im Allgemeinen zu thematisieren.
A propos urbane Lesart zunächst noch: In unmittelbarer Nachbarschaft des Praterstern-Areals befindet sich eines der doch eher misslungenen Beispiele für das Umbauen von Stadt. Der Riesenradplatz hat sich zu einer disneylandisierten Wirklichkeit ausgewachsen, welche der neugierige Prater-Flaneur, Verfasser dieser Zeilen, nach kurzer Besichtigung lieber nur mehr fliehen möchte. Eine Deutung von Stadt im Sinne der funktionslosen Kulissenhaftigkeit hat dort Gestalt angenommen, während man nur ein paar Schritte weiter an der Konstruktion einer völlig anders gelagerten Realität laboriert. Bei Riesenradplatz und Praterstern handelt es sich um Pforten zu sehr unterschiedlichen Splittern von Stadtleben: einem des Klamauk und simplifizierenden Divertissements zum einen (insofern entspricht die Ästhetik des Riesenradplatzes ihm einigermaßen), jenem der Mobilität und der Passage zum anderen.
Der Bahnhofsvorplatz als Ort der Entschleunigung
Im Übrigen dürfte sich, folgt man Manfred Russo, der Bahnhofsvorplatz als gar nicht so unpassender Raum für die Anbringung von temporären Kunstwerken erweisen: „Der Bahnhof ist ein merkwürdiger Ort, an dem sich eine geheime Schlacht der Zeichen der Zeit gegen jene des Raumes abspielt. Während die funktionale Bestimmung in einer geordneten Vermittlung der Verkehrsströme liegt, einer Sammlung und Ableitung der Flüssigkeit der Passagiere, um sie in geordneter Weise an den richtigen Ort zu spülen, […] entwickeln viele der anwesenden Flaneure eine konträre Langsamkeit, die von diffusen Momenten des Begehrens gelenkt wird.“[2]
Insofern könnte es sich auch beim Praterstern also um eine nahezu ideale Ortschaft für eine Ausstellung von Kunst im öffentlichen Raum handeln. Sind der Bahnhof und seine unmittelbare Umgebung doch, wie oben angedeutet, eine Zone diffusen Begehrens und entschleunigter Flanerie. Somit dürfte auch nicht unmittelbar als Störfaktor intendierte Kunst an dieser Stelle leichter „gelingen“ als anderswo. Schließlich kreist ein Dilemma, für das es in diesem Zusammenhang immer wieder eine Lösung zu finden gilt, um den Balanceakt zwischen Unsichtbarkeit oder Aufdringlichkeit von im Außenraum platzierter Kunst.
Kontinuierliche Transformation der Lokalität als künstlerische Herausforderung
Eine besondere Herausforderung für die acht KünstlerInnen, deren Positionen im Rahmen von Urban Signs – Local Strategies zu sehen waren, war bestimmt die Unfertigkeit des Platzes. Indem sie sich, wie der kuratorische Leittext andeutet, mit der „Situation und den Brüchen dieses Platzes, der seit zwei Jahren permanent in Transformation ist“, auseinandersetzten, drohte einigen Arbeiten der Untergang inmitten des Transformierend-Unfertigen, da sie sich vielleicht allzu nahtlos in eine Situation einfügten, welche die StadtnutzerInnen im Unklaren darüber lässt, welche Strukturen intendiert und permanent, welche improvisiert und temporär angelegt sind.
Während die unmittelbar an der Fassade des Fluc angebrachten Wandmalereien aus der Hand von Christian Egger (nature as a genuine audience, mit Anklängen an den unweit beginnenden Praterwald) und Stefan Sandner (o. T., ein kalligrafisch angelegter Schriftzug über dem Abgang zum Club) sich in einen Kontext einfügten, wo die kuratierte und „legale“ Public Art durchaus als wildwüchsige Fassaden-Street-Art perzipiert werden mochte (auch aufgrund der räumlichen Nähe zu einer alternativen Club-Location), ging Michael Gumholds nicht betitelte Struktur als eine hölzerne Transversale fünf Meter in die Höhe und stellte unter anderem eine mögliche Referenz an die Baustellensituation am Praterstern dar, welche sich in der Entfaltung dieser auf den konkreten Ort zugeschnittenen „lokalen Strategie“ des Künstlers reflektiert sieht.
Klanginstallationen
Darüber hinaus konnte die Traverse natürlich als ein verfremdetes Zitat von Konzertaufbauten wahrgenommen werden und so auf das Fluc als musikalischen Veranstaltungsraum anspielen. Noch deutlicher und konkreter kommunizierte David Moises‚ Installation Volume Unit Meter (ein Drehspulinstrument in Übergröße, nämlich 1 x 1,5 Meter) an der Fluc-Fassade mit den Club-Klängen des Veranstaltungsraumes, da die Zeiger auf ein für PassantInnen im Außenraum nicht wahrnehmbares Geschehen verwiesen. Das war naturgemäß eher abends der Fall – untertags blieb die Frage offen, ob die Installation bloß Ornament war oder ob sie auch „etwas konnte“.
Ebenfalls mit dem Moment des Klanglichen, allerdings dasselbe ohne mediale Übersetzung im Außenraum anbringend, wirkte die Sound-Installation Ding Dong Band – Stand Under von Boris Ondreicˇka. Ein 47 Sekunden währender Loop beschallte Gehsteig und Fußgängerübergang und wurde von der entsprechenden Partitur als visuelle Komponente ergänzt. Die in Silben zerrissene Sprachcollage war nahezu unhörbar, solange die Ampel für Autos auf Grün geschaltet war, und drängte sich erst in die Wahrnehmung von PassantInnen, wenn der Verkehrslärm verstummt war und sie selbst die Straße hin zum Prater, oder von dort kommend, überquerten. Die Permanenz der künstlerischen Arbeit korrespondierte mit den Fluktuationen des sich im öffentlichen Raum zutragenden Geschehens auf zyklische Weise und trat phasenweise in den Hintergrund. Ondreicˇka hatte sich also für die Implementierung einer Strategie entschieden, die Wahrnehmbarkeit von Kunst im öffentlichen Raum unter dem Zeichen der Instabilität bzw. der Dynamik des Stadtlebens interpretierte.
Der (plakatierbare) Stadtraum
Einer besonders bedenkenswerten Thematik, wenn es um die Nutzung des öffentlichen Raums als Kommunikationsplattform geht – nämlich dem Ausverkauf von potenziellen Werbeflächen –, schenkt die großformatige „Plakat-Installation“ Structure Alloy von Lucie Stahl Aufmerksamkeit. So wird die Rückseite des Fluc-Gebäudes (eigentlich gilt für sie ein neben der künstlerischen Arbeit affichiertes Plakatierverbot) als eine durchaus ökonomisch verwertbare Fläche gewissermaßen enttarnt und von der Künstlerin selbstbewusst bespielt bzw. keck für die eigenen Zwecke genützt. Man hat im Hinterkopf einen Paradefall von optischer Stadtraumberuhigung wie in São Paulo; man weiß um die Verlockung für Stadtväter und –mütter, durch Ausverkauf des plakatierbaren Stadtraums ihre leeren Säckel aufzufüllen; man liest mit Staunen, dass Wien die Stadt mit der größten Plakatdichte auf der Welt sei. Insofern überrascht es nicht, dass zumindest eine von acht künstlerischen Positionen sich kritisch diesem dem Stadtraum allerorts eingeschriebenen Thema widmet.
Anna ArtakerNoch eine weitere, freilich auf ein kleineres Format setzende Plakat-Installation war Teil des von Urban Signs – Local Strategies angeregten Praterstern-Parcours, nämlich die von Anna Artaker angebrachte Arbeit mit dem Titel Personenalphabet. Hierbei handelte es sich um eine Reihe von Portraitfotografien, die an einer Holzwand angebracht wurden: Wer die Namen der dargestellten Persönlichkeiten kannte, war imstande, durch das Aneinanderreihen des jeweils ersten Buchstabens der Vornamen den Satz A Portrait of the Artist as an Alphabet zu entziffern. Weil alles andere als monumental daher kommend und nicht auf den ersten Blick als „Kunstwerk“ dechiffrierbar, bot sich das Personenalphabet mit oberflächlichem Joyce-Anklang für Interaktion und Beschlagnahmung durch passierende StadtnutzerInnen an. Hie und da wurden bald Papierfetzen abgerissen, so dass einzelne „Buchstaben“ erneuert werden mussten, und schließlich war es gar so weit gekommen, dass die BetrachterInnen keine eigene Lese-Leistung mehr erbringen mussten, da von unbekannter Hand die Initialen vorgeschrieben worden waren. Womöglich hatte ein übermäßig beflissener Stadtnutzer und Kunstdechiffreur damit eine der Absichten in Artakers Arbeit untergraben. Vielleicht war aber auch gerade das Gegenteil der Fall, und die Permeabilität zwischen künstlerischer Arbeit und Stadtleben machte eines der Charakteristika von exponierter, sich freiwillig exponierender Kunst im öffentlichen Raum evident.
Beton, Stahl, Glas
Das sich am markantesten breit machende und auch tatsächlich ganz ausdrücklich als ein solches, im Sinne der Bezeichnung nämlich, wahrnehmbare urban sign war die von Sonia Leimer nicht so sehr vor dem Fluc als vor dem gegenüber liegenden Bahnhofsgebäude angebrachte Installation von Mietbuchstaben: „Beton, Stahl, Glas, 2008“ las sich das kokett Untitled genannte Werk. Vom Wunschmaterial der für den öffentlichen Raum vorgefertigten Buchstaben ausgehend, die von einer Firma in Deutschland angemietet und antransportiert wurden, implantierte die Südtirolerin eine recht imposante Explizierung der architektonischen Verhältnisse am Praterstern. Indem sie dabei sachlich blieb und objektiv erfassbare Gegebenheiten bezeichnete, holte die Arbeit doch die Bemühungen um eine Neugestaltung neuralgischer Punkte des Stadtraumes unter Berufung auf funktionale und ästhetische Kriterien gleichsam heim in den Bereich der Kunst bzw. führte zu subtilen Grenzverschiebungen: Die Kunst wirft vermittels eines sehr spezifischen, verknappten, ihr eigenen Jargons die Frage auf, ob der Bahnhof über seine Materialität hinaus etwas (Lesbares) bedeutet. Beton, Stahl, Glas zum einen – Kunst zum anderen?
Für Sonia Leimer war es nach eigenen Angaben auch besonders spannend, mit einem eigens für den öffentlichen Raum konzipierten Material zu arbeiten und dieses im Rahmen ihrer Installation zweckentfremdet einzusetzen. Was auf den ersten Blick – schon allein wegen der beachtlichen Dimensionen – wie eine klassische Drop Sculpture anmuten könnte, ist aufgrund seiner Vorläufigkeit und einer absehbaren Zukunft des rückstandlosen Verschwindens ein besonders gelungenes Beispiel für das mitunter von Kunst im öffentlichen Raum ausgehende Spannungsmoment. Als ihr ureigener Wesenszug bewahrt das Temporäre diese Installation zugleich vor der Erstarrung durch Dauerhaftigkeit. Am Ende des Tages ein schlüssiges Fazit für die Urban Signs – Local Strategies-Ausstellung zu finden, erweist sich schon deshalb als schwierig, weil es keineswegs auf der Hand liegt, überhaupt eine Ausstellung im öffentlichen Raum auszurichten und alle drohenden Inkohärenzen und Interpretationsklüfte zu überwinden. Wenn aber Ortsspezifizität und Reflexion der Situiertheit bzw. das Ausbalancieren von Visibilität und Subtilität als kennzeichnende Qualitätsmerkmale herangezogen werden sollen, so steht außer Frage, dass zuletzt am Praterstern durchaus maßgebliche Impulse für jene Kunst im öffentlichen Raum gesetzt wurden, die jenseits von Dekorum und Verhübschung ein in steter Entwicklung begriffener Stadtraum dringend nötig und durchaus verdient hat.
Fußnoten
Daniel Kalt lebt als Kulturwissenschaftler, freiberuflicher Journalist und Übersetzer in Paris.