» Texte / Zukunft der Vergangenheit, Vergangenheit der Zukunft

Iris Meder


Unter der kuratorischen Regie von Adolph Stiller hat sich der Ringturm als Ausstellungsort der Wiener Städtischen Versicherung ganz nebenbei große Meriten um die Dokumentation und Geschichtsschreibung der Architektur der Moderne in Ostmittel- und Südosteuropa erworben. Der neueste Band der Reihe Architektur im Ringturm, und gleichzeitig die neueste Ausstellung in dieser Reihe, widmet sich dem Bauen im Polen des 20. und 21. Jahrhunderts. Nicht zuletzt die Zweisprachigkeit des Buches macht den Bedarf deutlich, der hier offenbar auch in der polnischen Literatur noch herrscht.

Verschiedene Beiträge zu Schwerpunktthemen wie den konstruktivistischen Zeitschriften Blok und Praesens und dem nicht unwesentlichen polnischen Anteil an den ersten CIAM-Kongressen beleuchten eine selbst Fachleuten wenig bekannte Szene, die entdeckt sein will. Besondere Bedeutung kommt dabei dem städtebaulichen und architektonischen Ensemble der Ostsee-Hafenstadt Gdynia zu, die, ausgehend von einem Fischerdorf, als Gegenkraft zum Danziger Hafen von polnischen Architekten, und vereinzelt auch Architektinnen, ab 1926 mit großem Zukunftsglauben massiv ausgebaut wurde. Streng funktionalistische Bauten wie etwa in Brünn und Zlín sind hier weniger entstanden, eher lassen sich Einflüsse von Erich Mendelsohn und Paul Bonatz ausmachen. Vor allem aber bietet die Stadt ein begehbares Bilderbuch architektonischer Entwicklungen der zwanziger und dreißiger Jahre, die mit dem Beginn des Zweiten Weltkrieges zum Erliegen kamen.

Ein weiterer Schwerpunkt ist dem Wiederaufbau Danzigs nach dem Krieg gewidmet, wobei der Fokus auf der an Le Corbusier orientierten Nachkriegsmoderne liegt und das polnische Konzept der mehr oder weniger freien Rekonstruktion der massiv zerstörten Altstädte kaum thematisiert wird. Eher kursorisch wird auch die Architektur der Gegenwart behandelt, die zwar in guten und aussagekräftigen (zum Teil eher misslungenen) Beispielen präsentiert ist, wobei jedoch wichtige Erklärungen und Hintergrundinformationen nicht gegeben werden. Jedenfalls bieten sich jede Menge Ansatzpunkte zum Reflektieren über das spezielle Verhältnis, das Polen zur Architektur zu haben scheint und in dem Symbolisches und Semantisch diffus Vertrautes Suggerierendes eine große Rolle spielen. Das führt zum eigenartigen Phänomen der letztlich künstlichen Form einer an der Nationalromantik der Künstlerkolonie von Zakopane orientierten, abstrakt als „polnisch“ empfundenen Landhaustypologie, gegen die sich zeitgenössische Architektur permanent behaupten muss. Den chronologischen Abschluss bildet die zu Recht vielfach gelobte Präsentation Polens auf der diesjährigen Architektur-Biennale, die mit erfrischender Selbstironie in Fotomontagen das „Afterlife of Buildings“ prophezeit, nämlich die mögliche künftigen Umnutzung von sechs mehr oder weniger guten architektonischen Beispielen aus dem Polen der letzten zehn Jahre. Die Zukunft bleibt jedenfalls spannend.

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Ausstellung
Polen Architektur
Architektur im Ringturm XVIII:
Ausstellung noch bis 9. 1. 2009
Ringturm, 1010 Wien, Schottenring 30


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