Ernst Gruber

Ernst Gruber ist Architekt, Grafik- und Kommunikationsdesigner.


www.transmediale.de

In den vergangenen Monaten fanden mehrfach Diskussionen rund um das Modell des Wiener Wohnbaus statt. Dabei kam ein Thema– teils zentral, teils peripherer – immer wieder zur Sprache: die Möglichkeiten und Aufgaben gemeinschaftlichen und partizipativen Wohnens und Wohnbaus in Wien. In der dérive Nr. 46 findet sich dazu eine »Kritik an Baugruppen« in Andreas Rumpfhubers Beitrag »Superblock turned Überstadt«. Zu dieser möchte ich auch als Vorstandsmitglied der darin mehrfach erwähnten Initiative für gemeinschaftliches Bauen und Wohnen gerne einige Ergänzungen festhalten.
Zunächst freut es mich, daß das Thema in den architekturtheoretischen Diskurs Einzug gehalten hat. Die Möglichkeiten gemeinschaftlicher Wohnformen müssen vor allem aus der Perspektive einer sozialen Wohnbaupolitik noch viel mehr vertieft und bestärkt werden, dies muß auch über den theoretischen Diskurs forciert werden. Auch die angesprochenen räumlichen und sozialorganisatorischen Potentiale, in der dérive am Beispiel der Wohngruppen angedeutet, aber auch Möglichkeiten einer Neuinterpretation des Arbeitens in der Stadt, anknüpfend an co-working Konzepte, sind genau solche Ansätze, die nötig sind, um das Feld weiter zu öffnen. Um nun auch in der praktischen Umsetzung eine erweiterte Zugänglichkeit zu erreichen, dazu ist es notwendig, auf bestehende Strukturen zurück zu greifen. Hierin decken sich Rumpfhubers Forderungen auch mit jenen der Initiative, gerade im Kontext des geförderten Wohnbaus, in dem sich diese ebenfalls stark engagiert und aus dem heraus sie sich auch gebildet hat.
Diesen Erkenntnissen in der dérive geht das Argument voran, die Wiener Baugruppeninitiative sei quasi ein Vehikel für eine neoliberale Entwicklerlogik, weil hinter der Initiative vornehmlich Architekten und keine unzufriedenen Bürger stünden. Man könnte nun lange über die Befangenheit von Professionalisten innerhalb ihres zivilgesellschaftlichen Engagements diskutieren. Ich habe jedoch die Vermutung, diese vorweggenommene Kritik entspringt weniger Wiener sondern vielmehr Berliner Verhältnissen. Dort lassen sich auch die in der dérive im Weiteren erwähnten Argumente wie »billiger bauen«, »Erfüllung individueller Wohnvorstellungen« oder »Lösung des Wohnungsproblems« verorten. In Wien sind es hingegen eher Argumente wie »gemeinschaftlich«, »mitbestimmt«, aber auch »soziale Verantwortung«, die sich unter dem Allgemeinbegriff »Baugruppen« versammeln. All diese Themen lassen sich sehr gut in bestehende ökonomische Logiken und ihre Prozesse eingliedern, doch findet dies in Berlin hauptsächlich im frei finanzierten, in Wien hingegen hauptsächlich im geförderten Wohnbau statt. Hier setzt auch die Initiative an, nämlich wie sich die existierenden wohnbaupolitischen Instrumente speziell auf die Bedürfnisse von Gruppen anpassen lassen können. So fordert die Wiener Baugruppeninitiative neben der Berücksichtigung von Baugruppen bei der Parzellierung von Baugrund und der Reservierung geeigneter Grundstücke zur Vergabe an bauwillige Gruppen durch die öffentliche Hand (wie das in Aspern gerade geschieht) auch die Anpassung der Wohnbauförderbedingungen und neue Träger-, Finanzierungs- und Kreditmodelle, also Instrumente, die die Handlungsfähigkeit von Gruppen innerhalb bestehender Strukturen erweitern sollen.

»[...] heute ist das unabhängige Kino zur Unkenntlichkeit zersplittert. Es gibt ethnische, geschlechtliche, gemischtgeschlechtliche Abteilungen. Was soll das? Es geht hier um Kino, nicht um einen Supermarkt.«

Martin Scorsese
aus einem Interview, erschienen in der Süddeutschen Zeitung, 4./5. Februar 2012

Für das Engagement spielt es vorerst keine Rolle, von wem derartige Projekte initiiert, finanziert und moderiert werden und selbst aus welchem übergeordneten Leitmotiv sich die Gruppen zusammenfinden ist schlußendlich nicht entscheidend. Es geht – und ich spreche hier von Wien – um gemeinschaftliches Wohnen.
Zwischen institutionalisierten...Viele aktuelle Baugruppenmodelle in Wien sind mietbasiert, realisiert werden fast alle mir bekannten innerhalb bestehender administrativer oder fördertechnischer und zum Teil auch innerhalb bestehender baulicher Strukturen. Ein Beispiel für die Intentionen der Wohnbaupolitik ist das Siegerprojekt aus einem Bauträgerwettbewerb »so.vie.so mitbestimmt« im Sonnwendviertel (€ 515/m² Finanzierungsbeitrag, € 6,20 – 7,55/m² Miete1). Es zeigt, wie der Bergriff „Baugruppen“ derzeit wohnbaupolitisch interpretiert wird: Den zukünftige BewohnerInnen wird in sozialorganisatorischer Begleitung ermöglicht, auf Nutzung der Gemeinschaftsräume, die eigenen Grundrisse, der Lage ihrer Balkone und die zukünftige Organisationsform der Gruppe Einfluss zu nehmen. Auch professionelle Projektentwickler beschäftigen sich mit dem Segment gemeinschaftlichen und mitbestimmten Bauens und Wohnens. So existiert seit einiger Zeit ein Bauträger-initiiertes Wohnangebot, die »Wohngruppe für Fortgeschrittene« (€ 240/m² Eigenmittelanteil, € 7,30/m² Miete2), die großen Anklang findet. Dass hier zuerst die Projekte entwickelt und dann erst die Gruppe gesucht wird, zeigt, dass die Bereitschaft grundsätzlich vorhanden ist. Was fehlt, ist das Vertrauen in die Möglichkeiten und Vorteile, die eine im Vorfeld und intentional gegründete Gruppe bietet. Diese sind sowohl in synergetischen als auch in typologischen und räumlichen Innovationen zu suchen und hier lohnt sich der Blick nach Berlin jedenfalls. Daß in der Umsetzung hier vor allem die ArchitektInnenschaft gefragt ist, mit räumlichen Lösungsansätzen aufzuwarten, darauf versuchten beispielsweise die ExperimentDays in Wien vergangenen November aufmerksam zu machen.
...und intentionalen GemeinschaftenBesonders wohnbau- und gesellschaftspolitisch relevant erscheinen mir Projekte, die mit und durch Individuen entstehen, die ein Bedürfnis nach Mitbestimmung und nach Gemeinschaft verspüren. Eben dadurch können sie sich von individuellen Wohnvorstellungen unterscheiden, denn erst durch das gemeinschaftliche Handeln kann sich die Gruppe den „Luxus“ leisten, einen gesellschaftlich relevanten Beitrag zu erbringen. So wird das eben entstehende Wohnprojekt Wien über sogenannte »Solidarwohnungen« auch ökonomisch schlechter gestellten Menschen den Zugang zu Wohnraum zu ermöglichen, Ähnliches hat auch schon die Sargfabrik vorgelebt, die sich auch durch kulturelle Initiativen an die Umgebung wendet und die in Wien oft strapazierte »soziale Durchmischung« auf der Ebene des Stadtteils anstelle des Wohnbaus praktiziert. Diese Möglichkeiten sind im herkömmlichen Wohnbau nur schwer, wenn überhaupt zu realisieren.
Wien wäre nicht dasselbe ohne Walzer, Wienerschnitzel und Wohnbaupolitik. Achtenswert sind die Ergebnisse, die zeigen, wie man im engen ökonomischen Korsett des geförderten Wohnbaus Ergebnisse hoher Qualitäten erzielen kann, die sich an der Fassade, am Freiraum, in der Erschließung, dem niedrigen Heizbedarf, flexiblen Grundrissen oder den Holzfenstern ablesen lassen. Umso achtenswerter ist es, wenn sich Nutzer aus einer derart kommoden Situation heraus selbst mobilisieren und ihre Vorstellung des Lebens in der Stadt einfordern und umsetzen. Es ist eine Minderheit, ein kleines Segment der Gesellschaft, und es ist eine fragile Gruppe. Denn wieviel Zeit, wieviel Geld – so die berechtigte Frage in der dérive – ist man bereit und kann der Einzelne überhaupt für so eine Idee opfern? Es bedarf nicht nur einer gehörigen Portion an Zeit und Geld, es bedarf zudem einer konstanten Gruppe Gleichgesinnter, die den Mut nicht verlieren. Es sind nicht lediglich diejenigen, die es sich sowieso leisten können, es sind diejenigen, die ihre Bedürfnisse vielmehr innerhalb der kultivierten und etablierten Umsetzungspraktiken, innerhalb der Wohnbaupolitik zu decken suchen. Und sie sind auf Kooperationen angewiesen: Kooperationen mit Architekten, aber auch manchmal Bauträgern, die bereit sein müssen, das Risiko einzugehen, mit einer Gruppe zu planen und zu bauen. Gefragt sind Moderatoren mit sozialen Kompetenzen in Gruppenbildung, Gruppenführung und (Bau)prozesssteuerung, genauso wie Rechtsberater, die mit Gesellschaftsmodellen vertraut sind, mit Vereinsbildung, Haftungsfragen und Risikominimierung. Und nicht zuletzt sind die Geldgeber dazu nötig, seien es kommerzielle Kreditinstitute oder die eigenen Familienangehörigen. Und je mehr gute Beispiele es gibt, desto besser läßt sich die Idee vermitteln, wie die Bestandssanierungen in der Grundsteingasse (€ 1.334,76 Eigenmittelanteil, € 8/m² Miete3) oder in der Künstlergasse zeigen, die mit Wohngruppen realisiert werden und erst durch das Engagement einer Privatstiftung realisiert werden können.


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