
Zweimal Punk, einmal Soul. Eine Streitschrift
Besprechung von » Nonsolution: Zur Politik der aktiven Nichtlösung im Planen und Bauen « von Gabu Heindl & Drehli RobnikIn der Krise gilt die schnelle Lösung als Gebot der Stunde. Dass sich die gegenwärtige Lage als multiple Krise darstellt, verleiht dem nur Nachdruck. Aber das, was als Lösung beworben wird, ist vielfach keine, zumal die ursächlichen Probleme oft nicht einmal benannt werden. Mehr noch: Der Imperativ zur Lösung verkürzt die diskursive Auseinandersetzung mit Problemen und den Umgang mit ihnen auf die Anwendung von immer schon etablierten Maßnahmen, die an bestehenden Verhältnissen kaum etwas ändert. Ein ›Solutionismus‹ macht sich breit, der mehr als oft Krise zum Ausgangspunkt für Umstrukturierungsmaßnahmen für den individuellen Profit macht. Anschauliches Beispiel: Die vorgebliche Lösung, mit Bauen der Wohnungsnot entgegenzuwirken. Bauen mag zwar mehr Wohnungen zur Folge haben, es lässt aber nicht notwendigerweise das Wohnen günstiger werden, sondern erhöht oft genug einzig die Aussicht auf Rendite für Einzelne.
Gabu Heindl und Drehli Robnik setzen mit dem vorliegenden Büchlein ein Argument fort, das sich ansatzweise bereits in Gabu Heindls Stadtkonflikte findet: Die Kritik an als alternativlos dargestellten Maßnahmen (TINA, steht für: There Is No Alternative), wie sie etwa in neoliberalen Verwaltungs- und Regierungsweisen auftreten. Hier, in Nonsolution: Zur Politik der aktiven Nichtlösung im Planen und Bauen wird diese Kritik neu geframed und theoretisch anders gewendet. Das Buch zieht dafür vor allem Positionen Siegfried Kracauers heran und erschließt damit Aspekte eines Denkers, der zwar aus Architektur und Planung kommt, dort aber nie die Rezeption erfahren hat, die seine Arbeit verdienen würde.
»They all claim that they have ›the Answer‹ – when they don’t even know the questions«, wird Jello Biafra von den Dead Kennedys neben Sleater Kinney in einem Epigraph dem Text vorangestellt. Skepsis also allem, was mit Lösungen aufwartet? Nicht ganz – weiß man doch um das Dilemma, dass Verweigerung auch keine Lösung darstellt, ja der politischen Reaktion bisweilen sogar in die Hände spielt und dass die Suche nach Antworten nicht an sich falsch ist: »If we know all we say about the problems – Why can’t we do some-thing to try and solve them?« fragt eingangs Gil Scott-Heron. Wie kann ›Planung‹ als eine Disziplin, die sich mit Lösungen gewissermaßen herumschlagen muss, also vorgehen? Zunächst damit, sich die Freiheit herauszunehmen, die »Probleme selbst zu stellen« (Gilles Deleuze: Bergson zur Einführung, 1989, S. 26) und dann leidenschaftlich am Problem dranzubleiben, anstatt sich voreilig der falschen Lösung hinzugeben. Als ›Nonsolution‹ bezeichnen Gabu Heindl und Drehli Robnik diese Praxis und meinen damit explizit nicht, dass es keine Lösungsvorschläge geben solle. Nonsolution versteht sich zwar als Einspruch gegen die verordnete Lösung – allerdings als nichtreduktionistische Annäherung an Probleme, als eine Praxis, die Verhandlungsraum einfordert, die für ein mutiges Vorschlagen und Antwort geben und zugleich für ein Beharren auf Weiterentwicklung im Planen plädiert – kurz: eine Praxis, die sich als konfliktuell und strittig versteht.
Kracauer erweist sich als ein guter Partner, wenn es darum geht, mit der Moderne gegen die Moderne und ihre neoliberalen Wendungen nach der Moderne zu denken: Er teilt einen solidarischen und egalisierenden Begriff von Masse, ohne der passivierenden Rhetorik der Avantgarde (der Architektur und Partei) von der Masse als einer stummen Einheit, die geführt werden müsse, das Wort zu reden – und schon gar nicht einem Individualismus selbstidentischer Einzelner. Bei Kracauer sind es Einzelne, die Gesellschaft in sich tragen und zu Vielen, zu einer unabgeschlossenen Masse, zusammensetzen. Politik könne, um dieser Masse von Vielen zu entsprechen, sich nicht am Allgemeinen ausrichten – aber auch nicht am Einzelnen, sondern müsse sich »je nach den Umständen umständlich« entscheiden ( Kracauer: Über Arbeitsnachweise. Konstruktion eines Raumes [1930] zit. n. Heindl & Robnik: Nonsolution 2024, S. 26). Eine ›Gerechtigkeit der Masse‹ kann demnach stets nur eine vorläufige, stets unvollständige Einrichtung sein. Eine solche Vorläufigkeit verweist auf ein transformatives Potenzial des Künftigen, das in Entscheidungen und strittiger Selbstkritik auch in die Gegenwart wirkt, vergleichbar jener, auf die man auch in der »kommenden Demokratie« (democratie à venir) bei Derrida stößt.
80 Seiten ist der Text, ein längerer Essay, der, um einen Bildteil ergänzt, dieses auch grafisch gelungenen Buch ausmacht. Das ist kurz, inhaltlich punktuell dicht, aber stets nahe am Argument und voll von wendigen Formulierungen, die Nonsolution gerne durchlesen lassen. Sicher: Man würde sich streckenweise wünschen, tiefer in die Problemlagen, Aushandlungsprozesse, Verwerfungen und Verschiebungen der Beispiele einzutauchen – die bisweilen eher illustrieren, als dass sie die Widersprüchlichkeiten, die inneren Korrekturen, den notwendig langen Atem oder auch die Brüche im Material offenlegen – wie es Nonsolution als Praxis wohl auch verlangen würde. Es ist aber zugleich gerade das Schnelle, Aufschlaghafte und Pointierte, das Kurze, das dem Text seine besondere Qualität verleiht, und vor allem hoffen lässt, dass möglichst viele das Buch nicht nur kaufen, sondern auch tatsächlich lesen und sich daran abarbeiten wollen. Denn das Anliegen des Büchleins ist zu wichtig und richtig, um das Risiko einzugehen, die Leser:in auf der Strecke zu verlieren. Nimmt man Nonsolution ernst, kann dieser Text ohnehin nur im Vorläufigen verweilen, verspricht aber auch, dass hier nicht das Ende ist. Und auch vom Verlag möchte man sich mehr solch kleiner Streitschriften wünschen, die das konzeptuelle Werkzeug für den Umbau mitliefern. Lesen! – und: Dranbleiben!
Gabu Heindl, Drehli Robnik
Nonsolution: Zur Politik der aktiven Nichtlösung im Planen und Bauen
Hamburg: Adocs, 2024
18,50 Euro, 110 Seiten
Michael Klein ist dérive-Redakteur, lebt und arbeitet in Wien. Er hat in Wien und Paris Architektur studiert und arbeitet am Forschungsbereich Wohnbau und Entwerfen der TU Wien.