» Texte / Apparate bauen, die Apparate sichtbar machen

KomIdee

Robert Schwarz

Werner Titelbach

Werner Titelbach hat Philosophie, Psychologie und Sozialwissenschaften studiert und ist im Kulturbereich tätig.


0 Die Straßen, die Plätze, die Orte werden in einer immer schneller werdenden Kultur fast ausschließlich als Verkehrsflächen gesehen, auf denen die Prämisse gilt: »Alles was geht, geht immer zu langsam.« Obwohl die Hektik der Stadt, übrigens schon in der Antike kritisiert, ebenso wie die Architektur der Gebäude eine augenscheinliche Oberfläche der Stadt ist, ist diese Oberfläche für viele Menschen nicht mehr sichtbar, ungeachtet wieviel sie eigentlich dieser Prämisse der Beschleunigung opfern müssen.
Hier soll es aber um die Strukturen und Mechanismen der Diskriminierung und des Ausschlusses von Ressourcen, Möglichkeiten und Rechten gehen, die meist noch viel schwieriger an der direkten Oberfläche der Stadt ablesbar sind. Die einen sind »drinnen« und die anderen sind »draußen«, auch wenn sie alle eigentlich in einer Stadt oder in einem Land sind.

1 Die Gruppe KomIdee hat es sich bei der Aktion »Hüttenzauber« zur Aufgabe gemacht einen kleinen Aspekt dieser Strukturen sichtbar zu machen. Es wurde den zufällig vorbeikommenden Passanten eine Hütte in den Weg gestellt, die von außen betrachtet, nichts von ihrem Innern verrät. Um die oft sehr eilenden PassantInnen zum Betreten der Hütte zu animieren wurden Gratis-Eintrittskarten in der Umgebung der Hütte verteilt. Im Inneren der Hütte befanden sich zwei Schilder mit je einer appellativen Botschaft und eine hölzerne Bank. Die Gestalt der Hütte erinnerte ein wenig an eine Wahlzelle.
Die Hütte hatte nur einen Eingang, und einen Ausgang an dem die BesucherInnen nach ihrem Aufenthalt in der Hütte befragt wurden. Aus diesen Befragungen hat sich umfangreiches und sehr aufschlußreiches Ton- und Bildmaterial ergeben. Nicht nur, daß die Hütte im öffentlichen Raum stand, sie erzeugte auch einen eigenen öffentlichen, und durch Kameras und Tonbandgeräte einen ebenso virtuellen Raum[1]. Die Hütte und ihre TeilnehmerInnen als Ort der Darstellung und Aufarbeitung einer gesellschaftlichen Situation.

2 Die Sprache funktioniert manchmal wie eine Falle, indem sie scheinbar sehr einfache und einleuchtende Entgegensetzungen zu formulieren erlaubt:

»Wenn Sie AusländerIn sind, verlassen Sie bitte diesen Raum.
Wenn Sie InländerIn sind, bleiben Sie und halten Sie mit den übrigen zusammen.«

Gilles Deleuze und Felix Guattari beschreiben eine solche Konstruktion als eine binäre Maschine[2]. Bist du A oder B? Bist du aber keines von beiden eindeutig, dann ist das auch nicht so schlimm, denn jeder der beiden Terme läßt sich in weitere binäre Teilungen fortsetzen: Ausländer, der im Ausland geboren wurde oder aber einer, der in Wien zur Welt kam. Gebürtiger Inländer oder solcher, der irgendwann durch einen formalen Akt erst dazu geworden ist.
Natürlich funktioniert eine solche Maschine nicht ohne ihre spezifischen Zweifel. In dem Maß, in dem sie sich weiter teilt, treten spezifische Unsicherheiten auf, die dafür sorgen, daß die erste Entscheidung: A oder B weiterhin beunruhigt. Kann ein Inländer, der einmal ein Ausländer war, denn ein reiner, ein echter Inländer sein? Etwas von B haftet ihm an, so daß man ihn allenfalls einer eigenen Untergruppe zuteilen muß.
Es scheint kaum möglich, solchen abstrakten Binaritäten etwas entgegenzusetzen, was ihren Mechanismus sprengt. Alles ist doch so einfach: gefragt ist nichts weiter als ein »Land« plus ein »In (bzw. »drin«) oder »Aus« (bzw. »draußen«). In einer Wirklichkeit gemischter Verhältnisse schaffen binäre Maschinen sowohl die »Eindeutigkeit« als auch den ihr entsprechenden »Zweifel«.

3 In der Pragmatik des Sprechens sind wir dazu angehalten, solche Maschinen in der Anwendung auf uns selber und auf andere zu reproduzieren. Diese Sprachmaschinerie ist das kühle Herz jenes »Hüttenzaubers«, einer Apparatur zur Ingangsetzung eines Erkenntnisprozesses. Dort standen im Inneren jene schon genannten Sätze zu lesen: »Wenn Sie AusländerIn sind, verlassen Sie bitte ...«
Der für einen kurzen Moment festgehaltene Passant ist »persönlich« (oder hat die Sache doch nichts mit ihm/ihr zu tun?) zu einer Entscheidung aufgerufen, die er (oder jemand anderer für ihn/sie) wahrscheinlich ohnehin schon getroffen hat.

4 Was ist der Vorteil drinnen, also ein Inländer, zu sein? Der Vorteil besteht vorerst einfach darin dazuzugehören. Doch in unserer kleinen Hütte radikalisierte sich die Problematik des »Dazugehörens«, denn in der face-to-face kleinen Hütte mußten die BesucherInnen feststellen, daß die anderen Inländer eigentlich auch Fremde ihnen gegenüber waren.
Der Vorteil des Dazugehörens besteht aber in der Praxis vor allem darin, daß er mit einer Vielzahl von Rechten verbunden ist, die den nicht Dazugehörenden - also den Ausländern - verweigert werden. Das heißt also, daß der praktische Vorteil des Dazugehörens erst durch den Ausschluß von Anderen überhaupt erst wahrnehmbar wird, ja dadurch überhaupt erst erzeugt wird. Wie schon oben angedeutet, können selbst in der kleinsten Nation die meisten Mitglieder - also die Dazugehörenden, oder Inländer - einander nicht kennen, müssen immer einander Fremde bleiben. Um also diesen Ausschluß realisieren zu können, bedarf es der abstrakten Konstruktion der Nation. Die Notwendigkeit, daß »es« In- und Ausländer »gibt«, geht mit dem Modell des nationalen und territorialen Staates einher - wie ließe sich sonst so etwas wie exklusive Staatsbürgerlichkeit definieren?
Nationen werden erfunden und vorgestellt wo es sie vorher nicht gab. Nationen werden als (von jenseits der Grenzen existierenden anderen Nationen) begrenzt wahrgenommen, weil sich keine Nation mit der Menschheit gleichsetzt. Sie werden als kameradschaftliche Gemeinschaft von Gleichen und als souverän imaginiert[3]. Ohne jetzt hier weiter auf die komplexen Problematiken der Nation eingehen zu können, dürfte zumindest der prinzipielle Zusammenhang zwischen den Inländern der Nation und dem Ausschluß der Ausländer klargemacht worden sein, der sich am deutlichsten bei der Art zeigt, wie rechtsnationalistische Parteien die Ausländer zum Thema machen.
Die kleine rotweißrote Hütte war ebenso der Versuch aufzuzeigen, daß es nicht genügt die Schuld für das problematische Verhältnis zwischen Inländern und Ausländern auf die FPÖ und Kronen Zeitung zu schieben, sondern daß wir es hier einerseits mit Vorurteilen und Vorstellungen zu tun haben die nahezu in uns allen mehr oder weniger vorhanden sind, und daß es sich um prinzipielle Problematiken der Nation-Konzeption handelt. Die kritiklose Übernahme dieser Dichotomie von Inländern/Ausländern in fast allen Bereichen der Gesellschaft ist ein Beispiel dafür.

5 Der Gegensatz von In- und Ausländern verknüpft sich weiter mit einer in der Wortprägung zum Ausdruck kommenden räumlichen Metaphorik, mit Aktionsvorstellungen (kommen, gehen, bleiben) und mit heterogenen Vorstellungen des Fremden oder des Anderen. Wohin man auch blickt, »der Ausländer« scheint die Ursache einer alle Nationalstaaten durchziehenden Unruhe zu sein, sei es auf der Seite derer, die ihn beschuldigen, sei es bei denen, die in Reaktion darauf sich oder sie/ihn verteidigen: wer braucht ihn/sie überhaupt, diese(n) AusländerIn? Der eine Staat hat ihn ausgespuckt - und wenn sie ihre Heimat eigenwillig verlassen hat, dann wird sie dadurch nur verdächtiger - und nun glaubt er sich hier wieder normalisieren zu können; oder will hier für Unruhe sorgen. Der/die AusländerIn zeigt in seiner/ihrer Person die prinzipielle Brüchigkeit der Norm.

6 Wir haben die Besucher der Hütte nachher unter anderem gefragt, was für sie ein Inländer ist, was ein Ausländer, ob man Inländer werden kann und was, falls es einen gibt, überhaupt der Unterschied von In- und Ausländern ist. Unter diesen Fragen waren zu unserem eigenen unsicheren Unbehagen auch solche, die nicht bloß selber das Spiel der unentrinnbaren Alternative imitierten, sondern auch mit provokativer Intention die Entscheidung noch einmal autoritär abfragten, die der/die PassantIn im Schutzraum der rotweißroten Wahlzelle getroffen haben mochte: Sind Sie InländerIn oder AusländerIn? In dieser Frage steckt ein Anspruch auf Endgültigkeit hier und jetzt, dem man sich kaum entziehen kann. In Reaktion auf eine solche Festlegung haben wir nachgefragt, warum sie sich den Botschaften in der Hütte je nach Fall nicht widersetzt haben.
Eine der spannendsten Fragen im nachhinein ist die: Wer braucht denn überhaupt die Figur des Ausländers? Am allerwenigsten die Ausländer selber. Es handelt sich beim Ausländer eindeutig um eine negative Größe. Ein Ausländer könne ohne weiteres in Österreich sich aufhalten, so die Auskunft frappant vieler »Inländer« und auch »Ausländer«, wenn er sich nichts zuschulden kommen lasse, einer Arbeit nachgehe und im übrigen ehrlich und anständig sei. Diese verbreitete Meinung allein zeigt, daß an der Figur des Ausländers, am »Ausländer an sich« ein prinzipieller Verdacht haftet. Die empirischen Ausländer haben kein Interesse am »Ausländer«: es sind vor allem Ausländer (oder Kinder der zweiten Generation), die die Frage zurückweisen und sagen, es gibt keinen Unterschied zwischen In- und Ausländern. Und was soll das sein, ein Ausländer? Das ist nicht ein Türke, nicht eine Jugoslawin, der/die in Österreich lebt. In Wirklichkeit ist »Ausländer« ein Schlagwort (das im Extremfall wörtlich ausgelegt wird), das dazu dient, einerseits eine Unruhe um die eigene Identität zu erzeugen beziehungsweise eine in realen Transformationsprozessen begründete gesellschaftliche Unruhe aufzugreifen und zu »erklären«. Und andererseits erlaubt die Konstruktion des »Ausländers«, die tatsächlich brisante Frage nach der Identität nicht weiter zu verfolgen müssen, und statt dessen deren vermeintliche »Ursache« zu verfolgen.

7 Wie können wir auf diese Unruhe reagieren? Bloß auf der verbalen Ebene »für Ausländer« einzutreten ist jedenfalls zu wenig, solange wir nicht selber im Kern zu solchen werden. Solange die binären Maschinen arbeiten, ist es wenig aussichtsreich, bloß die eine Seite ostentativ gegen die andere »aufzuwerten«. Das »Ausländerproblem« ist weniger ein praktisch-reales Problem - wenn es nur ein solches wäre, könnte man konsensuelle Lösungen ausverhandeln - sondern ein prinzipiell politisches und funktionelles. Funktion, die Brüchigkeit der Norm wie etwas von außen Kommendes darzustellen, Funktion, modo negativo die Kohäsion und Einheit der Nationalgesellschaft darzustellen. Für den Kampf gegen das Illusorische dieser fiktiven Einheit - die, was nicht verkannt werden darf, auch nicht einfach negierbar ist - ist es nötig, auf ein anderes zu zeigen, daß sich nicht an die Entgegensetzung Ausländer-Inländer hält. Man muß das sichtbar machen, was sie beide produziert, so daß sie in bezug auf das, ihre aufreizende Entgegengesetztheit verlieren. Eine andere Strategie könnte darin bestehen, jene Unruhe, die sich vorschnell an der Figur des Ausländers festmacht, noch einmal aufzugreifen und positiv zu bewerten. Es gibt viele Gründe dafür, beunruhigt zu sein, aber jedenfalls muß die Unruhe intelligent, aktiv und konstruktiv gemacht werden.

Fußnoten


  1. Eine Kamera oder ein Tonbandgerätwirkt auf einige Stadtbewohner sehr anziehend, ohne auch nur einmal zu fragen, was dann eigentlich mit dem aufgenommenen Material geschehen soll. ↩︎

  2. Vgl. Gilles Deleuze/ Felix Guattari, »Tausend Plateaus«, Berlin 1992, S. 245ff. ↩︎

  3. Ruth Wodak u.a.: »Zur diskursiven Konstruktion nationaler Identität«, Frankfurt a. M. 1998, S. 32. ↩︎


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