»Architektur ist ein Medium gesellschaftlicher Veränderung.«
Interview mit Christian KühnChristian Kühn, Kommissär der Architekturbiennale 2014 in Venedig, im Gespräch mit Christoph Laimer und Elke Rauth über den Österreichbeitrag Plenum. Orte der Macht. Die Ausstellung im österreichischen Pavillon präsentiert 200 nationale Parlamentsgebäude weltweit und thematisiert Fragen zu Demokratie, Legitimität, Symbolik, Identität und natürlich dem Stellenwert sowie der Rolle von Architektur.
dérive: In den Texten zum österreichischen Biennale-Beitrag finden sich zwei Zitate, die widersprüchlich erscheinen: »Architektur spiegelt Gesellschaft wider« und »Die Räume der Macht werden architektonisch nicht mehr erfasst«. Wie ist das zu verstehen?
Christian Kühn: Wir haben lange darüber diskutiert, ob wir die Ausstellung Räume der Macht oder Orte der Macht, also Spaces of Power oder Places of Power nennen sollen. Die traditionellen parlamentarischen Institutionen als Gebäude sind natürlich places. Heute würde man aber viel eher von Spaces of Power sprechen und damit auch ganz andere Räume inkludieren, wie den virtuellen Raum oder den Freiraum rund um ein parlamentarisches Gebäude. Trotzdem wäre es eine völlig unsinnige Aussage, dass Architektur und Städtebau Gesellschaft nicht mehr widerspiegeln. Auch die neuen sozialen Bewegungen suchen sich sehr gezielt ihre Orte im öffentlichen Raum und versuchen, diese Räume anders zu besetzen und damit andere Machtstrukturen zu erzeugen: Sehr oft als Gegenposition zu einem gebauten Parlament, zu einem Ort der Macht, der sich mit Mauern umgeben hat. Natürlich sehr oft auch mit dem Ziel, diese gebauten Orte der Macht für sich zu erobern.
Auch das Ausstellungskonzept scheint die in diesen Krisenjahren deutlich hervortretenden Macht-Verhältnisse wiederzugeben: Im Innenraum des österreichischen Pavillons werden 200 Modelle von Parlamentsgebäuden präsentiert, während im Außenraum ein landschaftsarchitektonisch dichter Wildwuchs entstehen soll, der mit einer Klang-Installation aus Protest-Tweets bespielt wird. Wie nahe können die neuen sozialen Bewegungen der Macht kommen?
Sehr weit kommen die Bewegungen in unserer Gestaltung tatsächlich nicht. Wir wollen natürlich darstellen, dass etwas von außen diese Mauer überwindet, diese existierende Mauer auch bricht und sich der Monumentalarchitektur nähert. Das ist eine dynamische Geste, die geplanten Bäume wachsen ja tatsächlich weiter. Aber natürlich bleibt das auf einer symbolischen Ebene. Wir weisen auf ein Phänomen hin und versuchen es mit dem Medium einer Architekturausstellung erfahrbar zu machen. Selbstverständlich ist geplant den Diskurs hineinzulassen, in Form von Veranstaltungen, mit denen dieses Parlament der Parlamente belebt wird. Aus diesem Blickwinkel ist das Diskursprogramm natürlich ein wichtiger Teil des Ganzen, vielleicht wichtiger als das Bühnenbild, das wir aufbauen.
Wie zeigt sich bei den 200 Beispielen von Parlamentsgebäuden das Verhältnis von Neubauten und bestehenden Gebäuden? Gibt es eine Art Kanon, einen Fundus, aus dem die jeweiligen Zeichen der Repräsentation stammen?
Der überwiegende Teil der Parlamente stammt aus dem 20. Jahrhundert, viele sind Neubauten. Die Recherche bringt natürlich interessante Dinge ans Licht: So haben die kolonialisierten Staaten bald nach ihrer Befreiung vielfach Parlamentsgebäude gebaut und in der Regel verständlicherweise auf Architekten aus Ländern zurückgegriffen, die mit dem Kolonialismus nichts zu tun hatten. Auch in Afrika hat man lieber schwedische oder finnische Architekten beauftragt, als englische oder französische Planer. Man könnte jahrelang Forschung betreiben auf der bauhistorischen, architektonischen, politik- und kulturwissenschaftlichen Seite – da gibt es noch vieles zu entdecken und aufzuarbeiten.
Was die Zeichensprache betrifft, dominiert ganz eindeutig der Klassizismus, bis in die Gegenwart. Es gibt wenige kleinere Staaten, die versuchen autochthone Formen einzuführen, das geht manchmal gut, manchmal wird es katastrophal. Dann natürlich die klassische Moderne, die in einer Phase die Chance hatte, zeitgemäße Architekturen zu realisieren. Gerade bei afrikanischen Parlamentsgebäuden aus der Phase nach der Unabhängigkeit wurde gerne auf die Formensprache der Moderne zurückgegriffen, mit der Idee autonom an den Fortschritt anzuschließen. Heute finanziert China, ein selbst mehr oder weniger demokratisches bis diktatorisches Regime, in Afrika Parlamentsgebäude, neben vielem anderen. Es ist beispielsweise hoch interessant, dass die Afrikanische Union strukturell zwar nach dem Vorbild der EU modelliert ist, mit Kommission, mit Parlament – also genau dieselbe Idee. Aber das 400 Mio. Dollar Gebäude in Addis Abeba, das vor zwei Jahren eröffnet wurde, ist von China geplant, finanziert und zum Teil sogar von chinesischen Arbeitern gebaut worden. Und dann gibt es in einigen überaus reichen Ländern katastrophal kitschige, geradezu unfassbare Gebäude, die eben nicht auf demokratische, sondern auf autokratische Systeme zurückführen.
»Man könnte zu überlegen beginnen, wie viel Ornament in dieser Institution Parlament steckt und wie viel reale Macht.«
Im Bewusstsein der Diskussion um die Auflösung der Zeichen, der Rede vom »ornamentalen Setzkasten Architektur«: Kann an der Gebäudesprache die politische Verfasstheit des jeweiligen Staates überhaupt abgelesen werden?
Wenn man genau hinsieht und recherchiert – ja. Wenn nur die Oberfläche betrachtet wird, sieht man gar nichts. Die Knesset in Israel stellt beispielsweise ein Monumentalgebäude dar, dessen erster Entwurf ausgesehen hat wie NS-Architektur – geschuldet der Idee, dauerhafte Strukturen zu schaffen. Und der Klassizismus ist usurpiert worden von totalitären Regimen, ist aber natürlich per se keine totalitäre Geste. Wenn man Architektur als Prozess auffasst und sagt, Architektur ist alles was passiert plus das bauliche Resultat, dann erkennt man sehr viel. Schließlich müssen in diesem Prozess Aufgabenstellungen definiert und Selbstbilder hinterfragt werden. Da kommt einiges zum Vorschein. Im Falle des österreichischen Parlaments kommt ja gerade zum Vorschein, dass man sich einer Debatte nicht stellen möchte. Hier wird hinter einer Sanierung die Frage versteckt, wie eine zeitgemäße parlamentarische Maschinerie aussehen müsste. Ich glaube, dass Architektur tatsächlich ein Medium gesellschaftlicher Veränderungen darstellt, wenn auch ein relativ zähes und langsames. Architektur ist in meinem Verständnis nicht nur Kulisse und nicht nur Spiegel der Gesellschaft, sondern es ist ein Medium, in dem die Gesellschaft sich ausdrückt. Das aktuelle Ziel der österreichischen Politik ist: möglichst keine Veränderung; und das drückt sich auch in der Art und Weise aus, wie mit diesem Sanierungsprozess umgegangen wird, der de facto ein massiver Umbauprozess ist: Nach außen wird die Illusion verkauft, dass alles bleibt wie es ist – man pflegt das Parlament als Bau-juwel von Theophil Hansen und alles andere läuft unter der Bezeichnung kleinere Maßnahmen. Dabei werfen gerade letztere die entscheidenden Fragen auf: Wie geht man in Zukunft hinein in dieses Gebäude als Bürger und Bürgerin? Wie bringe ich eine Arbeitsatmosphäre zustande, die nicht im 19. Jahrhundert oder den 1950er Jahren steckt, sondern modernen Anforderungen entspricht? Das sind wichtige Fragen, die in der Öffentlichkeit gar nicht gestellt werden.
Inwiefern will diese Ausstellung selbst eine Aussage über den Zustand der Institution Parlament treffen?
Wir arbeiten hier mit dem Medium der Ausstellung, es ist keine Konferenz oder Publikation. Was wir versucht haben, ist den Übergang vom Monument zum Ornament darzustellen. Wir bauen diese Modelle im Maßstab 1:500, aber wir stellen sie nicht wie üblich aus, sondern hängen sie wie Schmetterlinge an die Wand. Damit verändern sie sich, es entsteht ein Effekt, als ob die Wand sich aufblähen würde. Die Modelle werden ornamental und darin steckt natürlich auch eine Botschaft von uns als Kuratoren: Man könnte zu überlegen beginnen, wie viel Ornament in dieser Institution Parlament steckt und wie viel reale Macht. Damit will ich nicht sagen, dass alles Ornament ist, aber es ist sehr viel mehr Ornament als noch vor 20 Jahren. Das hat gute Gründe. Das Nachdenken über supranationale Strukturen, die getragen werden von den nationalen Strukturen, wäre das eigentliche Thema, das uns in den nächsten 20 Jahren beschäftigen sollte.
Ein wenig klingt das auch in der Gegenüberstellung der zwei Projekte von Coop Himmelb(l)au an, die ebenfalls präsentiert werden: Zum einen der Entwurf für das albanische Parlament in Tirana, dessen Realisierung auf Eis liegt, zum anderen das Konferenzzentrum in Dalian/China, eine asiatische Ausgabe des Weltwirtschaftsforums Davos.
Das Weltwirtschaftsforum in Davos ist keine politisch legitimierte Struktur, besitzt aber enorme Macht, die von Politikern auch genutzt wird. Die tauchen dort auch reihenweise auf, treffen auf andere Menschen, und natürlich werden dort Netzwerke geknüpft, Entscheidungen vorbereitet und getroffen, die über das Nationalstaatliche deutlich hinausgehen. Ich finde in diesem Zusammenhang den Begriff des »Davos Man«, geprägt durch den Politikwissenschaftler Samuel Huntington, sehr interessant: Die Beschreibung einer eigenen Spezies, die keine nationale Grenzen kennt und sich den Nationen auch nicht verantwortlich fühlt, deren Interesse darin liegt, das Kapital in alle Richtungen hin und her zu verschieben. Es ist uns wichtig gewesen, das in dieser Ausstellung zu zeigen und auch die Dimension sichtbar zu machen, in der dieses Gebäude verwirklicht worden ist. Das ist natürlich ein Versuch, etwas auszudrücken.
Christian Kühn hat eine Professur am Institut für Architektur und Entwerfen der TU Wien. Er ist Vorstand der Österreichischen Architekturstiftung und Redaktionsmitglied der Zeitschrift UmBau.
Christoph Laimer ist Chefredakteur von dérive.
Elke Rauth ist Obfrau von dérive - Verein für Stadtforschung und Leiterin von urbanize! Int. Festival für urbane Erkundungen.