» Texte / Back to the Future – Die Wohnmaschinen kehren zurück!?

Christina Schraml

Christina Schraml lebt und arbeitet als Stadtforscherin in Wien.


Als städtebauliche Schandflecke und soziale Brennpunkte verachtet und verpönt, scheinen Londons monströse Wohnmaschinen nun eine Renaissance zu erleben, die sogar ins Terrain der popkulturellen Vermarktungsindustrie vorstößt. Dem Schrei nach öffentlich geförderten Wohnungen folgend, wurden die Wohnbunker während der Nachkriegszeit nach den Prinzipien des modernen Städtebaus errichtet, avancierten jedoch schnell zu einem hartnäckig stigmatisiertem Bautyp, der nun doch noch zu neuer Beliebtheit finden soll. Die Stadtplanerin und Architektin Maren Harnack geht in ihrer Dissertation Rückkehr der Wohnmaschinen. Sozialer Wohnungsbau und Gentrifizierung in London den möglichen Ursachen dieser Entwicklung nach.
Die umfangreiche Analyse der Autorin konzentriert sich auf vier ausgewählte Fallstudien und findet vor dem vielschichtigen Hintergrund der aktuellen Gentrifizierungsdebatte, der historischen Entwicklung des britischen sozialen Wohnbaus und der Wechselwirkung von nationaler Wohnpolitik, mit all ihren neoliberalen Auswüchsen seit Thatcher, und dem Londoner Immobilienmarkt statt. Wie sich Individuen für einen bestimmten Standort entscheiden, ist von einem komplexen Zusammenspiel verschiedenster Faktoren abhängig, dem Harnack auf zwei Ebenen begegnet: Neben einer detaillierten Betrachtung des Wohnobjekts im historischen, öffentlich wahrgenommenen und medial dargestellten Sinn besteht eine große Stärke des Buches in den Interviews mit den BewohnerInnen selbst, die bemerkenswerte Aufschlüsse über die Beweggründe des Erwerbs der ehemaligen Sozialwohnungen geben.
Im Kapitel Lernen von London zieht Harnack schließlich die Schlüsse ihrer Untersuchung: Die gegenwärtige Entwicklung der Londoner Wohnmaschinen stellt keine Gentrifizierung im klassischen Sinne dar, lässt sich jedoch durchaus als Aufwertungsprozess — hervorgerufen durch neue, der statushöheren Bevölkerung angehörige EigentümerInnen — verstehen. Obwohl sich die Investition in eine ehemalige Sozialwohnung sehr individuell begründet und eigentlich keine Generalisierung zulässt, stechen zwei Aspekte hervor: Zum einen steht die hohe Nachfrage dem geringen Angebot an leistbaren Wohnungen am prekären Londoner Immobilienmarkt unverhältnismäßig gegenüber, und zum anderen spielen soziokulturelle Faktoren eine erhebliche Rolle. Ursprünglich für Personen mit niedrigem sozioökonomischen Status geplant, stehen die Kolosse heute teilweise unter Denkmalschutz und sind für die neue Mittelschicht vor allem attraktiv, weil sie echtes urbanes Leben verkörpern. »Die Wohnmaschinen erhalten also als avantgardistisches exklusives oder originelles, aber auf jeden Fall distinguisierendes modisches Accessoire eine neue positive Bedeutung.« Der geglückte Imagewandel spiegelt sich in der Kommodifizierung der Bauten als coole Icons (zum Beispiel abgebildet auf T-Shirts) mit hohem Wiedererkennungswert wider.
Das Buch endet gewissermaßen mit einem Plädoyer für die Zukunft der Wohnmaschinen. Harnack leitet Handlungsansätze ab, wie den Wohnmaschinen als Nachlass der Moderne eine Zukunft eingeräumt werden kann. Die Frage, ob diese Gebäude im gehobenen Segment des freien Marktes dauerhaft konkurrenzfähig bleiben oder ihre Aufwertung nur Ausdruck einer kurzfristigen Modeerscheinung ist, wird sich wohl erst in Zukunft klären. Ein Blick über die Grenzen Londons hinweg unter Einbringung anderer europäischer Fallbeispiele wäre wünschenswert gewesen (mehr zum Thema sozialer Wohnungsbau in Wien siehe dérive 46). Zusammenfassend lässt sich aber festhalten, dass Harnack einen relevanten Beitrag zum Verständnis gegenwärtiger Gentrifizierungsprozesse und urbaner Entwicklungstrends leistet.


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