Bevor die Glut in dir erlischt, verlass die Stadt, die keine ist
Besprechung von »Verlass die Stadt« von Christina Maria LanderlChristina Maria Landerl entlehnt den Titel ihrer ersten Buchveröffentlichung Verlass die Stadt dem gleichnamigen Song des Wiener Musikprojekts Gustav. Und tatsächlich: müsste man die Stimmung dieses Songs in eine literarische Form transformieren, so gäbe es wohl kaum eine treffendere Umsetzung als jene der Autorin. Landerl folgt den drei ProtagonistInnen des Buches auf ihrer Suche nach der gemeinsamen Freundin Margot, die scheinbar spurlos aus Wien verschwunden ist. Wien, die Stadt, ist dabei jedoch nicht bloß Schauplatz der Erzählung, sondern viel mehr deren eigentliche Hauptfigur. Nicht nur dass ein Großteil der Kapitel nach Orten in Wien benannt ist. Eingestreut in die Handlung finden sich auch immer wieder Fakten und Geschichten über diese Orte, vom Allgemeinen Krankenhaus über die Florianigasse, von Ottakring bis zum Schutzhaus, von der Wiener U-Bahn bis zur Konditorei Aida.
In diesen Streifzug durch Wien sind sowohl die Ich-Erzählungen der Verschwundenen als auch die Geschichte der Suche nach ihr eingebettet. Die Autorin schafft dabei eine lethargische Atmosphäre, die von dunklen Vorahnungen durchzogen ist. Verdeutlicht wird dies nicht zuletzt durch die drückende Hitze des hochsommerlichen Wiens und den immer wieder auftretenden Spannungen zwischen den Charakteren. Sie alle verbindet nicht nur eine jahrelange, seit Studienzeiten bestehende Freundschaft, sondern auch eine gemeinsame Vergangenheit, zu der zerbrochene Beziehungen und Zweifel am eigenen Handeln genau so gehören wie der stetige Kampf mit Margots Alkoholproblem. In dieser Konstellation bleibt nur wenig Platz für die schönen Seiten des Stadtlebens. Die Gleichgültigkeit der Stadt gegenüber ihren BewohnerInnen ist nicht zuletzt auch der Grund, warum sich die Ich-Erzählerin schließlich dazu entscheidet die Stadt zu verlassen. Wien wird dabei einerseits als anonyme, schnell vergessende Stadt, aber auch als Sehnsuchtsort porträtiert, welcher die Erwartungen, die an ihn herangetragen werden, nicht erfüllen kann.
So ist der Roman Malina von Ingeborg Bachmann ursprünglich Anlass für Margot nach Wien zu kommen, um sich dort auf die Spuren der im Buch vorkommenden Orte zu begeben. Nach zehn Jahren jedoch gibt sie resigniert auf: »Mich hat diese Stadt nicht mehr interessiert. Ich spielte darin keine Rolle mehr. Ich kam darin nicht mehr vor (…) Und ich sehe Wien zu, wie es ohne mich zurechtkommt, und ich muss sagen, Wien kommt sehr gut zurecht (…) Hier wird getan, als ob ich nie hier gewesen wäre«. Auch die anderen ProtagonistInnen, die die Suche nach ihrer Freundin zunächst wieder näher zusammenbringt, kapitulieren schließlich vor der Stadt und den Grenzen, die sie ihnen setzt. Am Ende bleibt die Erinnerung: an Orte, Geschichten, Menschen und Erlebnisse – ein Mikrokosmos des urbanen Lebens. Aber auch
die Erkenntnis, dass selbst eine Stadt wie Wien irgendwann durch-gelebt sein kann.
Anne Erwand