Blow-Up
Die Körnung der StadtWas ist ein BeserlPark? Wollen wir dort die Büchse der Pandora öffnen oder unser BodyPainting zur Schau stellen? Ist Freiraum immer BlütenPracht oder BiotoP oder doch eher BusinessPark, BüroProjekt, BegegnungsPlattform? Und geht das BeteiligungsPrinzip bis zur BelastungsProbe?
Auf dem Grünzwickel am Wiener Gürtel, dort wo sich eine Tankstelle von BritishPetrol befindet, konnten ParkBesucherInnen in verschiedene Rollen, dargestellt durch weiße Overalls, schlüpfen, bevor sie sich an der Bar-im-Park einen Drink genehmigten. Mit dieser Aktion – im Rahmen der »Kurzen Nacht der Stadterneuerung«[1] – wurde von Studierenden des Instituts für Landschaftsarchitektur, BOKU Wien, versucht, die vielseitigen Interpretationen von Freiraum, die gleichzeitig auf ein und derselben Fläche durch die jeweils handelnden Personen passieren, darzustellen. Gesellschaftliche Veränderungen und damit sich ändernde Ansprüche an Freiräume sind integraler Bestandteil einer Diskussion über neue Strategien der Stadterneuerung.
Das Ziel der sanften Stadterneuerung, einer umfassenden Verbesserung der Wohnbedingungen und des Wohnraums beinhaltet auch eine Verbesserung der Versorgung der BewohnerInnen mit öffentlichen und privaten Freiräumen. Der Schaffung von kleinen Parks und begrünten Wohnstraßen sowie den qualitativen Verbesserungen von Innenhöfen liegt ein Verständnis von Freiraum zugrunde, das diesen als »Ort der Reproduktion«[2] versteht. Allerdings greift dieses Verständnis für städtische Entwicklungsphasen, in denen es nicht ausschließlich um die Sanierung dicht bebauter und freiraumunterversorgter Stadtteile geht, zu kurz.
Stadterneuerung im 21. Jahrhundert wird auch für Stadtteile notwendig werden, die zumindest quantitativ besser mit Freiräumen ausgestattet sind, wie die Stadterweiterungsgebiete der 1960er-und 1970er-Jahre. In anderen, die massiven strukturellen Änderungen unterworfen sind – beispielsweise durch die Entstehung von innerstädtischen Brachflächen durch die Stilllegung von Bahnhöfen oder Fabriken – ist ein erweitertes Verständnis von Freiraum angebracht.
Rem Koolhaas und das Büro OMA haben für einen Stadtneubau Überlegungen angestellt, Freiraum als strukturierendes Element im Städtebau zu verstehen. Konkretisiert wurde diese »Leere als strukturierendes Element«[3] für den Entwurf für Melun-Sénart (Wettbewerb 1987), eine von fünf Ville Nouvelle rund um Paris [4]. Es wurde ein System von Bändern (The Bands – linear voids) entwickelt, das ein festes Rahmenwerk bildet, die Qualität der bestehenden Landschaft sichert, aber auch städtische Einrichtungen einbindet. »Instead of a city organized through its built form, Melun-Sénart will be formless, defined by its system of emptiness that guarantees beauty, serenity, accessibility, identity regardless – or even in spite of – its future architecture«. [5] Ergänzend zu den Bändern wurden »Inseln« (The Islands) vorgesehen, die jede für sich entwickelt werden kann, je nach den spezifischen Anforderungen der Grundstücke und deren Programm – eine städtebauliche Form im Sinne von gebauter Struktur wird jedoch nicht vorgegeben.
Doch nicht nur für den Stadtneubau wird das Prinzip »Freiraum als strukturierendes und prägendes Element städtischer Entwicklung« als Chance verstanden. Thomas Sieverts verfolgt einen ähnlichen Ansatz für urbane Randbereiche – die »Zwischenstadt«, indem er die Beziehung Freiraum – Bebauung folgendermaßen beschreibt: »Die Zwischenstadt kann eine beliebige Vielfalt von Siedlungs- und Bebauungsformen entwickeln, solange sie insgesamt in ihrem Erschließungsnetz lesbar und vor allem wie ein »Archipel« in das »Meer« einer zusammenhängend erlebbaren Landschaft eingebettet bleibt: Die Landschaft muss zu dem eigentlichen Bindeelement der Zwischenstadt werden«. [6] Dem öffentlichen Raum misst Sievert trotz sozialen Bedeutungsverlustes und Nutzungsverdünnung eine immense Bedeutung »als Erlebnisgerüst und Zeichen der Identität«[7] zu. Für die Begreifbarkeit und Lesbarkeit der Zwischenstadt sei der öffentliche Raum wichtiger denn je. Für die studentischen Entwurfsarbeiten wurde der Titel Blow up – Die Körnung der Stadt gewählt [8]. Der Titel spiegelt die unterschiedlichen Maßstabsebenen landschaftsarchitektonischer Fragestellungen und Aufgaben in einem städtebaulichen Kontext wider. Aufbauend auf die vorab skizzierten Überlegungen zur Rolle von Freiräumen in städtischen Entwicklungen, wurden diese Modelle für Stadterneuerungsgebiete überprüft. Arbeiten im Kontext der Stadterneuerung werden auch weiterhin kleinteilige Maßnahmen der Umnutzung, der Reparaturen, der Aufwertung umfassen und demnach Arbeiten im »feinen Korn der Stadt« sein. Die eigentliche Chance besteht aber in einem erweiterten Verständnis der Rolle von Freiräumen, das diese als Teil der Stadtkultur versteht und die Potenziale der Landschaft als Strukturträger nutzt.
Fußnoten
Die »Kurze Nacht der Stadterneuerung – Neue Strategien der Stadterneuerung« wurde anlässlich des 30jährigen Jubiläums der Wiener Stadterneuerung und des 20jährigen Bestehens des WBSF am 19. Juni 2004 im Bezirk Ottakring unter Beteiligung zahlreicher Universitätsinstitute durchgeführt. Info unter: www.kurzenacht.at ↩︎
Frank Lohrberg, Landschaftsarchitektur als Städtebau. In: Garten und Landschaft 10, 2002, S. 11. ↩︎
Mark Graafland, Die Stadtlandschaft des Büro OMA. In: Topos 9, 1994, S. 118. ↩︎
Rem Koolhaas, S, M, L, XL. New York: The Monacelli Press, 1995, S. 973 ff. ↩︎
ebd., S. 981. ↩︎
Thomas Sieverts, Zwischenstadt: zwischen Ort und Welt, Raum und Zeit, Stadt und Land. Braunschweig/Wiesbaden: Vieweg, 1999, S. 20. ↩︎
ebd., S. 36. ↩︎
»Blow up« ist ein Film, in dem die fotografische Vergrößerung einer Szene im Park immer neue Erkenntnisse bringt. Regie: Michelangelo Antonioni, 1966. ↩︎
Dagmar Grimm-Pretner
Lilli Lička