Das Charisma des Lehrers
Besprechung von »Aldo Rossi und die Schweiz. Architektonische Wechselwirkungen« herausgegeben von Ákos Moravánszky und Judith HopfengärtnerAldo Rossi (1931 – 1997), einer der zentralen Architekten und Theoretiker der Postmoderne, war in den 1970er-Jahren Gastprofessor an der ETH Zürich. Das vorliegende Buch versammelt Essays von ArchitektInnnen, TheoretikerInnen und ForscherInnen zu dieser wichtigen Phase in der Biographie des einflussreichen Italieners. Viele der AutorInnen waren Schüler Rossis an der ETH, wurden bald »RossianerInnen« und nähern sich in den Texten auf höchst unterschiedlichste Weise der Erinnerung und der Nachwirkung des Praktikers und Theoretikers, der als schillernder Intellektueller eine ganze Generation prägte. Die Vielschichtigkeit Rossis und sein Einfluss, der sich in seinen Schülern und Schülerinnen auf ganz unterschiedliche Weise bemerkbar machte, wird durch die unterschiedlichen essayistischen Blickwinkel auf Rossi schön herausgearbeitet. Aldo Rossis Gedankengebäude, die er nicht zuletzt in seinem Hauptwerk Die Architektur der Stadt 1966 entwarf, sind äußerst komplex und bedürfen einer vertieften Lektüre, um nachvollzogen werden zu können. Die Texte scheinen in ihrer Gesamtheit oft schwer überblickbar, bieten aber eine Vielzahl an Entdeckungen und Denkanstößen. Rossis Texte sind Zeugnisse eines Denkens in Bewegung. Er selbst erweiterte seine Forderung nach einer »autonomen Architektur“, die aus einer strengen, rational-wissenschaftlichen Methode folgern sollte, durch eine archittetura analoga, die auf einem Entwurfsansatz basieren sollte, der auch subjektive und phänomenologische Aspekte mit einbezog. Der vorliegende Band bietet ein differenziertes Bild von Aldo Rossis Denken und leistet einen wichtigen Beitrag zu einem viel diskutierten, aber wohl oft auch fehlinterpretierten Werk. Die Stärke des Bandes liegt in seiner Vielfalt: Analysen von Weggefährten wie Martin Steinmann oder Kurt W. Foster stehen neben Recherchen zu einzelnen Projekten Rossis, die in der Zürcher Zeit entstanden – etwa das Solothurner Projekt, das von Judith Hopfengärtner durchleuchtet wird. Weiters z. B. die Vorstellung von Rossis Wettbewerbsbeitrag für das Berner Klösterli-Areal, für das auch Rossis Schüler Bosshard & Luchsinger einen Entwurf eingereicht haben, der in ihrem Essay abgebildet und beschrieben ist. Philip Ursprung zeigt den direkten und indirekten Einfluss des Lehrers Rossi auf die Arbeiten seiner ETH-Schüler Herzog & deMeuron auf und auch deren Weiterentwicklung und Distanzierung von der Vaterfigur.
Aber das Buch ist darüber hinaus auch als spannende Milieu- und Kulturgeschichte einer Zeit zu lesen, als führenden Architekten und Theoretiker nicht nur als eitle Stars verstanden werden wollten, sondern als kritische Intellektuelle, denen es um die (Bau-)Kultur im Allgemeinen ging.
Andre Krammer ist selbstständiger Architekt und Urbanist in Wien.