Adina F. Camhy


Schilder werden bunt bemalt und Holzlatten gesägt, während die Sonne prall auf den Asphalt brennt. Vor dem Marktkiosk, wo zweimal pro Woche ein Bauernmarkt stattfindet, sind temporäre Holzstrukturen – ein Turm und Plateaus – sowie provisorische Arbeitstische aufgebaut. Auf einer großen Flagge steht in Großbuchstaben PLATZEN. Das Setting am Andritzer Hauptplatz erinnert zugleich an Platzbesetzung, politische Kundgebung und Werkstatt. PLATZEN – School for Civic Action wurde im Juli 2021 als fünftägige Intervention von public works (UK) und Studio Magic (AT) umgesetzt. Der Begriff Platz wird in ein prozesshaftes PLATZEN überführt, das einen Impuls zu aktiver Teilhabe am Stadtraum geben soll. Das Konzept der School for Civic Action weiterführend, die von public works in Roskilde (DK) als pädagogisches Experiment realisiert wurde, versucht PLATZEN – auf Basis von Gesprächen mit Nutzer*innen und mittels Mikrointerventionen – den Andritzer Hauptplatz um Wunschdenken und utopische Ideen zu erweitern, Aktionen anzu­regen und Handlungsmöglichkeiten auf­zuzeigen. Welche Rolle spielt der Bezirkshauptplatz im Leben der Menschen? In welchem Verhältnis steht er zum Hauptplatz der Stadt? Abseits des innerstädtischen Zentrums stellt PLATZEN Fragen nach öffentlichem Raum und seiner Nutzung, nach Gemeinschaft und Identität sowie nach Beteiligung und Mitsprache.
        Der Hauptplatz des im Norden gelegenen Grazer Außenbezirks Andritz gründet auf dem dörflichen Ortskern von Unterandritz. 2002 wurde der Platz nach Plänen des Grazer Architekten Herwig Illmaier umgebaut – dafür wurde groß­flächig asphaltiert und große Bäume wurden gefällt. Heute ist er geprägt von seiner Funktion als Verkehrsknotenpunkt. Die Straßenbahn zieht an ihrer Endstation eine Schleife, in deren Mitte sich neben einigen Stände und einem Brunnen auch Haltestellen von Stadt- und Regionalbussen befinden. Die am nördlichen Rand liegenden Kaffeehäuser und Lokale sind durch die Andritzer Reichsstraße vom restlichen Platz abgeschnitten. Peter Laukhardt und Erich Cagran (Bürgerinitiative Andritz) legten 2019 ein Konzept für eine Verkehrsberuhigung und Begrünung vor. Eine Umgestaltung als Begegnungszone bzw. Grüne Meile wurde diskutiert, jedoch ist trotz Versprechen seitens der Politik bis jetzt nichts weiter passiert.
        »Um das Mögliche zu erweitern ist es wichtig, das Unmögliche zu wünschen«, throhnt als Schriftzug über einer Aquarellzeichnung von Andreas Lang (public works), die als Flagge an dem hölzernen Turm weht. In der zeichnerischen Vision bleiben Autos »draußen«. Sie verdeutlicht den Rechercheprozess und zitiert die vielen Referenzen, auf die das Projekt aufbaut. So bezieht sich PLATZEN auf das pädagogische Konzept der Exploding School des britischen Schriftstellers und Anarchisten Colin Ward, der die Stadt als Klassenzimmer ohne Wände verstand. Die Methode der kollektiven Wunschproduktion wiederum greift das in den 90er Jahren in Hamburg realisierte partizipative Kunst- und Beteiligungsprojekt Park Fiction auf.
        Jedes der bunten Schilder, das an dem hölzernen Turm lehnt, repräsentiert einen Wunsch: Begegnungszone, Schatten, Mehr Grün, und Entbetonieren steht da ebenso geschrieben wie Trampolin, Lagerfeuer, Eislaufplatz oder LED-Springbrunnen. Während sich eine Person mehr Platz für Hunde wünscht und jemand hier gerne Fahrrad fahren lernen möchte, steht auf einem anderen Schild: kein Mobbing mehr. Wünsche für den Platz zu formulieren sei für die Passant*innen jedoch gar nicht so einfach, so das Projektteam. Während die einen weder große, noch utopische Wünsche äußern, würden andere Personen eher generelle Probleme mitteilen wollen. Was sagen die Wünsche aus? Sind sie wörtlich zu nehmen? Welche, vielleicht nicht artikulierten Bedürfnisse und Sehnsüchte stehen dahinter? Wie kann mit jenen spontanen Wünschen, die Menschen im Vorbeigehen kundtun, umgegangen werden? Ist die Äußerung eines Wunsches bereits Civic Action beziehungsweise Stadtmachen? Neben dem Sammeln von Wünschen nimmt PLATZEN vor Ort auch minimale Eingriffe vor. Im Austausch und in Gesprächen mit den Menschen vor Ort werden Konfliktzonen oder Leerstellen aufgespürt. Ein paar Jugendliche, die auf ihren Handys zockend in einer schattigeren Ecke des Platzes am Boden sitzen, bekommen Sitzmöglichkeiten und Sonnenschirme bereitgestellt. Ein spontan installiertes Blumenschutzbankerl wiederum soll verhindern, dass sich jemand in die Blumen setzt – einige Personen hätten sich dadurch gestört gefühlt. Auch eine kaputte Bank wird rasch und unbürokratisch repariert.
        Nachmittags wird zu einem Stammtisch geladen, bei dem vor allem Personen aus dem Feld der Bezirkspolitik und der Planung erscheinen. Im Gegensatz zu den eher bescheidenden Wünschen werden hier große und konkrete verkehrs- und städteplanerische Änderungen diskutiert und Pläne ausgerollt. Hier stellt sich – wie bei vielen Projekten, die auf Beteiligung und Teilhabe abzielen – die Frage, wer Macht, Zeit und Wissen hat, sich zu beteiligen und zu sprechen. Welche Stimmen werden gehört und welche nicht? Während am Rand des Platzes diskutiert wird, haben Kinder den Brunnen in der Mitte zu einem Wasserspielplatz umfunktioniert.
        PLATZEN setzt einen Impuls, sich mit dem Andritzer Hauptplatz auseinanderzusetzen, fungiert als Vermittler und schafft im öffentlichen Raum einen Ort des Austauschs und der Debatte.
        Was können wir über und von dem Platz und den Menschen, die sich hier aufhalten, lernen? Wie wird der Andritzer Hauptplatz in Zukunft gestaltet werden und wer wird dabei mitreden? Das von außen kommende Projekt PLATZEN kann hier einen wertvollen Anstoß geben.


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