Das Verschwinden des Objekts und die neue Architektur+
»Eastern Promises. Zeitgenössische Architektur und Raumproduktion in Ostasien«, Ausstellung im MAK WienDie am 5. Juni im Wiener MAK eröffnete Ausstellung Eastern Promises. Zeitgenössische Architektur und Raumproduktion in Ostasien wirft den Scheinwerfer auf einen weiten geografischen Raum, der China, Südkorea, Taiwan und Japan umfasst. Die Kuratoren Andreas Fogarasi und Christian Teckert zeigen aber glücklicherweise Mut zur Lücke, der auch strategisch begründet ist. Vorgestellt wird kein großes Narrativ, sondern es sind Parallelerzählungen, die nebeneinander gestellt werden und der Rezeption Raum zum Atmen lassen. Und dennoch handelt es sich um eine umfangreiche Ausstellung, die auf eine angenehme Weise überfordert: Rund 70 Projekte aus den Bereichen Architektur und Urbanismus werden gezeigt. Die Gestaltung der einzelnen Projekten gewidmeten Paravents nimmt Bezüge zum Dargestellten auf, zitiert eine Materialität, ein räumliches Detail oder eine Idee. Der Umgang der Ausstellung mit Ästhetik und gesellschaftlichem Gehalt ist betont leichtfüßig in Analogie mit der Leichtigkeit der präsentierten Raumkonstruktionen. Der Flaneur zwischen den Paravents wird eingeladen sich von den eleganten Oberflächen der Ausstellung zerstreuen zu lassen, um dann unweigerlich hängen zu bleiben und sich thematisch zu vertiefen. An den Wänden werden begleitend Karten, Fotografien, Texte und Axonometrien von Stadtlandschaften versammelt, die so etwas wie ein ergänzendes Informationstableau anbieten. Modelle, Fotos, Pläne, Texte und Filme – eine Kurzfilmreihe, kuratiert von Andréa Picard, wird in einer Blackbox gezeigt – stehen gleichberechtigt nebeneinander. Die ästhetisch wirksame Präsentation so mancher farbenfroher Statistik erinnert an die fröhliche Wissenschaft des Office for Metropolitan Architecture. Die räumliche Organisation der Ausstellung nimmt Anleihe bei der japanischen Axonometrie, die im Gegensatz zur Zentralperspektive eine anti-hierarchische Raumorganisation betont.
Sie erlaubt Streifzüge, die an die Bewegung in einer (urbanen) Landschaft erinnert. Die gezeigten Projekte sind ästhetisch und räumlich avanciert und im intensiven Austausch mit der sie umgebenden Alltagskultur entstanden, die sie wie gezielte Akupunkturen zu beeinflussen suchen oder von der sie geprägt wurden. Im Zentrum stehen Projekte, die interessante Bezüge zum räumlichen und gesellschaftlichen Umfeld aufweisen. Die Schau verzichtet weitgehend auf die Präsentation von Architektur-Ikonen, ohne aber die Strahlkraft einzelner Projekte zu verleugnen. Betont werden die relationalen Qualitäten eines Gebäudes und dessen Potenziale neue Nutzungsmuster und Situationen zu erlauben. Es wird kein neuer Ismus vorgestellt, keine konzertierte Avantgardebewegung, die mit der Konsistenz der historischen Bewegung des Metabolismus vergleichbar wäre, sondern eine hybride Baukultur, die in der Synthese aus Rezeption internationaler Tendenzen und lokaler Spezifika generiert wird. Gezeigt wird eine regionale Architekturelite unter der sich auch der eine oder die andere PrizkerpreisträgerIn befindet, aber auch diese werden in den räumlich-sozialen Kontext der Raumproduktion eingebettet.
Die Zusammenhänge zwischen Projekten, Brüchen und Widersprüchen erschließen sich auf den zweiten Blick. Gemeinsam ist vielen Projekten die Überschreitung von Dualismen, wie die Auflösung einer Dichotomie von innen und außen, Licht und Schatten und der Ablöse festgeschriebener funktionaler Festschreibungen zugunsten eines programmatischen Minimalismus, der Raum für Unvorhergesehenes zu generieren verspricht. Viele Gebäude wirken durchlässig, nehmen eine offene und flexible Beziehung zu ihrer Umgebung ein. Zwischenräume und Leerräume spielen im asiatischen Raum traditionell eine große Rolle. In den besten Projekten vermittelt sich eine radikale Zurücknahme des entwerferischen Egos zu Gunsten einer offeneren Struktur, die erst im Gebrauch komplettiert wird, wie ein Kunstwerk, das erst in der Rezeption seinen (immer vorläufigen) Abschluss findet. Aber auch großmaßstäblichere Entwicklungen werden gezeigt, wie die Ausformungen des japanischen »train based urbanism« (siehe dazu auch den Beitrag »Total Living Industry« von Christian Teckert in dérive 28) oder Cluster- und Inselbildungen. In der Paju Book City in Seoul bilden Verlagshäuser eine kleine Stadt in der Stadt, die noch an ihrer Monofunktionalität zu leiden scheint. Im Heyriu Art Valley in Korea haben sich KünstlerInnen, LiteratInnen und MusikerInnen zusammengefunden, um ihre eigene Stadt zu entwickeln. Auch die nach wie vor existierenden staatlichen Planungsbüros in China werden vorgestellt, wie auch die Protestbewegungen, die sich gegen soziale Verdrängungsmechanismen in Südkorea formiert haben oder der Massenwohnbau, der den Alltag der Raumproduktion nach wie vor oft bestimmt. Im Querlesen werden kritische Aspekte sichtbar, die den affirmativen Zugang auf angenehme Weise konterkarieren. Die Parklandschaft des Miyashita Parks in Tokyo, entworfen vom japanischen Büro Bow Wow wurde – worauf der Ausstellungstext hinweist – von der Firma Nike mitfinanziert. Der Zugang ist kostenpflichtig. Die Komplexität der Entwicklungen wird insbesondere da deutlich, wo allzu voreilige kritische Reflexe im Rückbezug auf den spezifischen Kontext relativiert werden.
Die Zonen der Creative industries, die insbesondere in China wie Pilze aus dem Boden wachsen, verweisen auf den Versuch Chinas seine von fordistischer Produktions-weise dominierte Vergangenheit hinter sich zu lassen und das »Made in China« um ein »Created in China« zu erweitern, um im internationalen Wettbewerb auch als Produzent intellektuellen Kapitals ernst genommen zu werden. Trotz aller Brüche, die zwischen avancierten Projekten und dem politischen Kontext auch sichtbar werden, ist in der Ausstellung eine kollektive Aufbruchstimmung spürbar. Es wird deutlich, dass die Architektur im Grunde einer performativen Kultur angehört, Situationen und Praktiken erlaubt oder erschwert. Die schillernden Objekte der StararchitektInnen, die sich in einer visuell geprägten globalen Kultur zu behaupten suchen, können ja auch als Versuch gelesen werden, diesem scheinbaren Mangel entgegenzutreten. Der konzentrierte Blick auf das Objekt lässt dieses aber nur kurz aufleuchten, auf lange Sicht aber verschwinden. Die Schau im MAK verspricht eine andere Zukunft: Die Gegenwart des Abwesenden.
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Ausstellung
Eastern Promises
Zeitgenössische Architektur und Raumproduktion in Ostasien
kuratiert von Andreas Fogarasi und Christian Teckert
5. Juni bis 6. Oktober 2013
MAK Ausstellungshalle,
Museum für Angewandte Kunst in Wien
Andre Krammer ist selbstständiger Architekt und Urbanist in Wien.