Brigitte Kovacs


Etwa die Hälfte der Weltbevölkerung lebt derzeit in Städten, Tendenz steigend. Gleichzeitig werden einander Stadtbilder weltweit immer ähnlicher, sodass es bisweilen schwer ist, sie zu verorten, und sie austauschbar erscheinen.
Mit der Eröffnungsausstellung Eyes on the City. Urbane Räume in der Gegenwartsfotografie des neu gestalteten GrazMuseums (ehemals stadtmuseumgraz) werden verschiedene Sichtweisen auf den Topos Stadt im weltweiten Wandel präsentiert. Neun divergierende internationale fotografische Positionen, angesiedelt zwischen Dokumentar- und Architektur­fotografie sowie Street Photography, zeigen, was Urbanität im 21. Jahrhundert bedeuten kann.
Im Gegensatz zu der im ersten Stockwerk platzierten Dauerausstellung 360GRAZ, die sich mit der lokalen Stadtgeschichte beschäftigt, zeigt die von Otto Hochreiter und Christina Töpfer kuratierte Sonderausstellung im zweiten Stock auf einfühlsame Weise einen möglichst breiten Blick auf urbane Räume, ohne den Fokus auf eine konkrete Stadt zu legen, nur eine der ausgestellten Fotografien zeigt Graz. Vielmehr wird versucht, die antiurbane Gesellschaft Graz in einem zeitgenössischen städtischen Kontext zu verorten. Betritt man die Ausstellung, sieht man sich zuerst mit einer wandfüllenden Rauminstallation von Aglaia Konrad konfrontiert, die sich die scheinbar endlose Reproduzierbarkeit der modularen modernen Architektur zum Thema nimmt. Die Wandtapete aus 112 Schwarzweiß-Kopien, die eine 1:1-Reproduktion ihres Buchs Iconocity von 2005 darstellt, spannt einen Raster über den Eingangsbereich, der eine Referenz zu Strukturelementen modernistischer Stadtplanung sein soll (vgl. Matzer, Ulrike: Mise en page mise en espace. Ausstellungskatalog S. 101.) Geht man hindurch und bewegt sich durch die kreisförmig angelegten fünf Ausstellungsräume, bekommt man weitere acht in ihrer Machart und Präsentation unterschiedliche künstlerische Positionen zu sehen, die sich jedoch stimmig in ein homogenes Ganzes fügen.
Beim Betrachten der einzelnen Werke fällt es oft schwer, sie zeitlich und örtlich festzulegen. Trotz nostalgischer Note einiger Arbeiten (im Speziellen Paul Albert Leitner sowie die Schwarzweiß-Bilder von Hin Chua und Lee Friedlander) sind alle Fotografien in den letzten zehn Jahren entstanden. Leicht wiedererkennbare Motive wurden ausgespart. Peter Bialobrzeski verschweigt bewusst die Namen der Orte, in denen er die in stetiger Veränderung begriffenen urbanen Räume aufgenommen hat. Bitter/Weber kreieren mithilfe von Montagen neue imaginäre Plätze, an denen sich Gebäude verschiedener Städte nahtlos aneinanderreihen. Simona Rota zeichnet in ihrem Werk Instant Village ein Bild der Ferieninsel Teneriffa, das mit seinen verlassenen Dörfern und illegal errichteten Gebäuden nichts mit den Bildern der Tourismusindustrie gemein hat.
Der von Marc Augé geprägte Begriff der Nicht-Orte bekommt beim Betrachten dieser Arbeiten eine bildliche Dimension, und man kommt nicht umhin, sich zu fragen, inwieweit die Globalisierung von Stadtbildern bereits vorangeschritten ist. Das Näherrücken der Städte dieser Welt spiegelt sich jedoch nicht nur in den ausgestellten Fotografien wider, sondern auch im Verhalten der agierenden KünstlerInnen. Alle neun FotografInnen haben ihre Heimatstädte verlassen, um fremde Länder zu bereisen und abzulichten. Die ungehemmte Reisesehnsucht wird zum Wesenszug der Suchenden und zum verbindenden Element der in der Ausstellung vertretenen KünstlerInnen. Das Unterwegssein ist immanenter Bestandteil aller gezeigten Bilder.
Paul Albert Leitner macht sich das Gehen als ursprünglichste Art, sich eine unbekannte Stadt zu erschließen, zu eigen, um auf seinen Stadtspaziergängen abseits ausgetrampelter Touristenpfade fotografische Einblicke in das alltägliche Geschehen siebzehn verschiedener Städte der Welt zu geben.
In einer Zeit, in der nur mehr selten zu Fuß gegangen und vieles nur mehr im Schnelldurchlauf aus Autofenstern heraus wahrgenommen wird, zeichnet Lee Friedlander unseren Blick durch die Windschutzscheibe fotografisch nach. Seine Bilder, die aus dem Wageninneren heraus aufgenommen wurden, geben uns das Gefühl, neben dem Künstler im Mietwagen zu sitzen und Teil seines Roadtrips durch Amerika zu sein.
Im Gegensatz dazu nähert sich Olivo Barbieri der Stadt von oben. Er fotografiert aus einem Helikopter heraus. Durch den selektiven Fokus und die große Distanz zwischen Sujet und Helikopter entstehen Unschärfen und eine Miniaturisierung, die den Modellcharakter der verschiedenen Städte auf eindrucksvolle Weise unterstreicht (siehe Bild).
Obwohl alle Fotografien Spuren menschlichen Handelns zeigen, sind sie meist menschenleer. Selbst in den künstlerischen Positionen, in denen Menschen vereinzelt vorkommen, wie bei Anne Lass und Hin Chua, scheinen diese losgelöst von ihrer Umgebung. Der urbane Raum wirkt wie eine Kulisse für tägliche Handlungen. Das verstörende Nebeneinander – nicht Miteinander – zeichnet eine beun­ruhi­gende Momentaufnahme unserer Gesellschaft.
Die Ausstellung Eyes on the City wirft einen vielschichtigen und komplexen Blick auf urbane Räume im 21. Jahrhundert. Sie ist somit eine gelungene Fortsetzung der zahlreichen urbanistischen Ausstellungen im GrazMuseum der letzten Jahre. Ab Januar wird zusätzlich zu den Fotoexponaten an jedem 3. Sonntag im Monat ein Filmfrühstück angeboten, bei dem Filme der an der Ausstellung teilnehmenden KünstlerInnen gezeigt werden.


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