» Texte / Die Kultur privatisieren, den Wünschen ein Image geben

Poyin Auyeung


Der Museumsraum

»... in einem typischen Museum des 19. Jahrhunderts dienten 90% des Raums den Ausstellungen und nur 10% anderen Funktionen. Im 20. Jahrhundert dagegen dient tendenziell nur noch ein Drittel den Ausstellungen, während zwei Drittel für andere Zwecke genutzt werden.«[1]

Robert Venturis Beobachtung fasst den vorherrschenden Trend heutiger Museen auf prägnante Weise zusammen: Atrien, Restaurants, Bücher- und Geschenkläden sowie privaten oder gesellschaftlichen Anlässen wird in der räumlichen Konzeption von Museen längst mehr Platz eingeräumt als den eigentlichen Ausstellungen. Diese Tendenz wie auch die Tatsache, dass in den westlichen Industrieländern noch nie so viele Museumsgebäude errichtet wurden wie während der letzten zwanzig Jahre, macht eine erneute Untersuchung der Institution Museum notwendig; dies gilt insbesondere für die behaupteten öffentlichen Funktionen wie auch für die zunehmenden Privatisierungsbestrebungen.

Integration von physischem, geistigem und gesellschaftlichem Raum

Im Zentrum meines Forschungsinteresses steht die Beziehung zwischen Museumsraum, Kommerzialisierung und der Image-Konstruktion im späten 20. Jahrhundert. Museen werden einerseits als physische Objekte und als Produkte des fortgeschrittenen Kapitalismus, andererseits als Images und Repräsentationen von Identitäten und Wünschen betrachtet. Der Museumsraum wird also nicht nur mit den politischen und wirtschaftlichen Produktionsbedingungen in Zusammenhang gebracht, sondern auch als Zeichensystem interpretiert, das auf gesellschaftlicher Ebene Bedeutungen und Identitäten produziert.[2] Eine reduktionistische und positivistische Auffassung von Raum dagegen betrachtet ein Bauwerk lediglich als Material, als physisches Objekt oder als wirtschaftliche Transaktion und ignoriert die Herstellung von Identität und die Konstruktion von Bedeutung sowie die Frage nach den persönlichen Erfahrungen der BesucherInnen im architektonischen Raum. Die Image-Konstruktion und die symbolische Repräsentation können aber von den sozialen Produktionsbedingungen nicht getrennt werden, da die Raumproduktion nicht nur als solche ein sozialer Vorgang ist, sondern auch selbst soziale Beziehungen schafft. Der französische Stadttheoretiker Henri Lefebvre führte sein Raumkonzept über den Positivismus und den wirtschaftlichen Determinismus hinaus, indem er den physischen, geistigen und sozialen Raum miteinbezieht: »(...) wir befassen uns mit logischem und erkenntnistheoretischem Raum, mit dem Raum der sozialen Praxis, mit dem Raum, der sinnlich wahrgenommen wird. Dieser beinhaltet Phantasieprodukte wie kulturelle Projekte und Projektionen, Symbole oder Utopien.«[3] Weiter weist Lefebvre auf die Bedeutung einer Raumnutzungsanalyse und einer Analyse der physischen Raumerfahrung als ausschlaggebende Komponenten der Raumproduktion hin: »Sozialer Raum kann durch die Natur (Klima, Ort) oder durch seine Geschichte nicht ausreichend erklärt werden, auch stehen die zunehmenden Produktionskräfte in keinem direkten Zusammenhang mit einem besonderen Ort oder einer besonderen Zeit. Mediationen und MediatorInnen - Gruppenaktionen, wissensorientierte, ideologische oder repräsentative Faktoren - müssen berücksichtigt werden. Der soziale Raum birgt eine große Auswahl an Objekten, natürlicher wie sozialer Art, inklusive Netzwerke und Wege, die den Austausch von materiellen Dingen und Information ermöglichen. Solche »Objekte« sind daher nicht nur als Dinge, sondern auch als Beziehungen zu begreifen.«[4]

Die Kommerzialisierung des Museumsraums

Eine der wesentlichen Fragen besteht darin, zu untersuchen, inwieweit Museumsraum als Ware nach unternehmerischen Regeln und Gesetzen behandelt wird. Ein in dieser Hinsicht zentraler Gedanke ist die Industrialisierung des gesellschaftlichen Lebens, wie sie der Ökonom Ernest Mandel betont hat. Er schreibt die Verschmelzung von Kultur und Kommerz dem kontextuellen Rahmen der spätkapitalistischen Industrialisierung zu, der dafür verantwortlich ist, dass industrielle Produktionsformen und Konsumverhalten auf alle Bereiche der Gesellschaft übergreifen, so auch auf Kunst und Freizeit: »Der Spätkapitalismus repräsentiert nicht etwa eine 'postindustrielle' Gesellschaft, sondern eine umfassende und universelle Industrialisierung, wie sie in der Geschichte noch nie vorkam. Die Mechanisierung, Standardisierung, Überspezialisierung und Teilung der Arbeit, die früher nur den Bereich der Warenproduktion der eigentlichen Industrie betrafen, gelten heute für sämtliche Sektoren des sozialen Lebens (...) Die Profitabilität von Universitäten, Musikakademien und Museen wird immer häufiger an denselben Kriterien gemessen wie an der von Ziegelwerken oder Schraubenfabriken.«[5] Die Gleichsetzung von Kommerz und Kultur wird durch die Prinzipien der »indirekten Kommerzialisierung« und der »latenten Attraktivität« gerechtfertigt, die normalerweise beim Bau von Shopping Centern angewendet werden. Die Architekturhistorikerin Margaret Crawford erkennt das Prinzip »der indirekten Kommerzialisierung« darin, dass nicht erwerbbare Objekte, Aktivitäten und Images vorsätzlich in das kommerzielle Umfeld eines Shopping Centers integriert werden; dabei können nicht kommerzielle Werte zur Aufwertung der Waren dienen und umgekehrt.[6] Die Kombination von Waren und Nichtwaren basiert auf dem einfachen Marketing-Prinzip der »latenten Attraktivität«; auf diese Weise können die unterschiedlichsten Objekte voneinander profitieren. Der Historiker Richard Sennett misst solch unerwarteten Kombinationen einen stimulierenden Effekt zu, weil für kurze Zeit der Gebrauchswert der Ware in den Hintergrund gerückt wird; die Ware wird aus ihrem praktischen und alltäglichen Zusammenhang gerissen, mystifiziert und zu etwas Ungewöhnlichem gemacht.[7]
Mit der vermehrten Integration unterschiedlicher Objekte und Aktivitäten kommerzieller und nicht kommerzieller Art, sowie visueller und nicht visueller Kunstveranstaltungen dringen die Museen heute zunehmend in gesellschaftliche Bereiche des Lebens vor, die Aktivitäten wie Shopping, Bankette, Aufführungen, Empfänge und Parties umfassen. Die Museumslokalität, sowie spezielle Verpackungen und Logos verleihen den unternehmerischen Aktivitäten, Warenangeboten und kommerziellen Gebäudenutzungen die gewünschte Ästhetik und geben den Produkten und Veranstaltungen einen pseudokulturellen Anstrich.

Museumsraum als Image: »Zeichenwert gleich Tauschwert«

Der Museumsraum wird in zunehmender Weise zu einem Image konstruiert, zu einer durch Fantasien vermittelten Erscheinung. Raum ist somit weder neutral, noch kann er auf einfache, funktionale und phänomenologische Grundbedingungen reduziert werden; vielmehr ist er für die Bildung von Wünschen und Identitäten verantwortlich. Die BesucherInnen werden durch einen Raum beeinflusst, der in der Regel nicht universell, sondern klassen- und geschlechtsspezifisch angelegt ist. In Jean Baudrillards Studie »Zeichenwert gleich Tauschwert«[8] wird untersucht, inwiefern Zeichen für Bewegungsfluss, Spektakel und Hyperaktivität zu einem zentralen Faktor in der Gestaltung des Museums geworden sind. Diese Art der Zeichen - ein spektakulärer Lichthof, ein auffallender Lift, die Fragmentierung des Raumes, mehrstöckige Galerien und Aussichtspunkte - erinnert an Shopping Center und Warenhäuser, sie konstituiert, was Fredric Jameson als Konsumkultur, Simulation und Faszination beschreibt.[9] Die Fantasien, die dieser räumlichen Zeichensetzung zu Grunde liegen, erzeugen eine Basis für Handel, die die Vermarktungsmöglichkeiten und den Konsum von Museumsveranstaltungen und -produkten steigert. Die Images dieser Museumsräume werden durch Fotografien, Magazine und andere Printmedien veröffentlicht und verbreitet.
Anstatt die Faszination und die verführerischen Effekte zu feiern, wie dies durch Baudrillards »Simulacra and Simulations« (1981/1994) und seine nachfolgenden Werke angeregt wurde, müssen deren soziale und politische Auswirkungen kritisch betrachtet werden.[10] Dabei soll die Image-Konstruktion untersucht, sowie das Sehen und diejenigen physischen Erfahrungen lokalisiert werden, die sich bei der Bewegung durch den Raum als sozial definierte Aktivität innerhalb von Machtstrukturen ergeben. Obgleich die Architekturhistorikerin Mary McLeod einen Zusammenhang zwischen Politik und Architektur sieht und die Ambivalenz zwischen der persönlichen Raumerfahrung und der Meinung der ArchitektInnen anerkennt, bestätigt sie, dass sich die politische Wirkung von Architektur nur durch die allmähliche und wiederholte Konfrontation mit ihr manifestieren kann.[11] Damit werden unumgängliche Fragen aufgeworfen: Wer trifft die Entscheidungen? Wer sind die NutzerInnen? Wie wird der Raum genutzt? Und schließlich, wessen Interessen dient das Gebäude?

Die Problematik des öffentlichen Raums

Der zunehmende Trend der Museen, sich ein besonderes Zielpublikum auszusuchen und dafür spezielle Veranstaltungen durchzuführen, untergräbt das Konzept und die Nutzung des »öffentlichen Raums« in Museen. Der Begriff »öffentlicher Raum« wird oft mit der Annahme einer universellen »Massenöffentlichkeit« in Verbindung gebracht. Wer aber gehört zur Öffentlichkeit? Welche Arten von Aktivitäten können innerhalb dieses »öffentlichen Raumes« stattfinden? Lässt die aktuelle Tendenz, Museumsveranstaltungen und private Funktionen zu vermischen, eine definitive Grenzziehung zwischen öffentlichem und privatem Raum weiterhin zu? Ein charakteristisches Merkmal der Shopping Center ist die Internalisierung des »öffentlichen Raumes«,[12] ein Prozess, der auch von vielen Museen übernommen wird. Für diesen internalisierten »öffentlichen Raum« sind jedoch die rechtlichen Grundlagen des Museums oder des Shopping Centers maßgebend, die auch bestimmen, wer Zutritt erhält und welche Aktivitäten stattfinden. Während auf städtischen Straßen Demonstrationen oder Streiks unter Einhaltung gewisser Richtlinien gestattet sind, werden solche Aktionen im Rahmen der internalisierten »öffentlichen Räume« oft verboten. Zudem schränken Eintrittspreise und/oder Karten für spezielle Veranstaltungen die Breite des Publikums weiter ein. Die Gesamtheit dieser Bedingungen reduziert die willkürliche Mischung von Menschen und Aktivitäten, der man gewöhnlich auf der Straße begegnet. Dieser internalisierte »öffentliche Raum« ist daher weder neutral noch öffentlich, sondern muss als restriktiv und privatisiert angesehen werden.
Die Expansion der Architektur und des Programms der Museen hat auch zu einer Expansion des BesucherInnenzahlen und des Handels geführt. Viele Museen haben heute professionelle Marketingstrategien übernommen, um nicht nur das Massenpublikum, sondern auch spezielle Zielgruppen - gegliedert in Beruf, Geschlecht, Ethnie oder Alter - zu erreichen. Es ist eine beliebte Strategie, die sozialen, festlichen, unterhaltsamen und interdisziplinären Aspekte in der Programmgestaltung und Werbung von speziellen Veranstaltungen zu betonen. Dem Publikum soll mit dieser Öffentlichkeitspolitik gezeigt werden, dass ein Museum nicht nur der Kunstbetrachtung dient, sondern durch verschiedene gesellschaftliche und kunstbezogene Anlässe auch ein Ort der Fröhlichkeit, Geselligkeit und Unterhaltung sein kann. Der Ort Museum produziert zunehmend einen differenzierten, spezialisierten und privatisierten Raum.
Obwohl der Zusammenhang zwischen Museumsleitung, der Finanzierung und dem Einfluss von Unternehmen bereits von zahlreichen KünstlerInnen und TheoretikerInnen wie Carol Duncan, Hans Haacke und Rosalind Krauss untersucht wurde, konzentrieren sich deren Studien mehrheitlich auf die Ausstellungsräume und die Präsentation von Kunst. Die Verschiebung vom Ausstellungsraum zum Nichtausstellungsraum in Museen hat jedoch inzwischen Vorrang bekommen und macht notwendig, verstärkt die Nichtausstellungsräumlichkeiten, die räumlichen Beziehungen zwischen den Ausstellungs- und Nichtausstellungsbereichen, sowie die körperliche Erfahrung beim Gang durch das Museum zu untersuchen. Der aktuelle Trend der Museen in den USA, sich über die nationalen Grenzen hinweg auszudehnen, legt nahe, dass das nordamerikanische Museumsmodell mit großer Wahrscheinlichkeit auch jenseits der nationalen Grenzen Wurzeln schlagen wird. Drei Museen in den USA werden unter der Berücksichtigung ihrer spezifischen historischen Bedingungen im Folgenden untersucht: das Ostgebäude der National Gallery of Art in Washington D.C., ein Anbau des ursprünglichen Komplexes; das Metropolitan Museum of Art in New York, das ebenfalls die alten Räume erweitert und umgebaut hat; und schließlich das High Museum in Atlanta, Georgia, ein vollständig neuer Bau.

Das Ostgebäude der National Gallery of Art in Washington D.C

Das Ostgebäude der National Gallery of Art in Washington D.C. wurde von I. M. Pei entworfen und 1978 fertiggestellt. Der Bau grenzt an das alte klassizistische Gebäude an, das 1941 eröffnet wurde. Das Ostgebäude wurde allgemein von der Presse positiv aufgenommen und stieß auf breite Unterstützung in der Öffentlichkeit. Hauptmerkmale der modernistischen Struktur sind die monumentalen Größenverhältnisse, die dominierende Geometrie des Dreiecks sowie weitläufige Marmorwände.[13]
Die vorliegende Analyse gilt hauptsächlich dem Atrium, dem zentralen Lichthof des Ostgebäudes. Das Atrium scheint wie zum Fotografiert-werden entworfen zu sein und ist entsprechend ein sehr beliebtes Motiv. Das Glasdach mit Alexander Calders Mobile erinnert an das Eaton Shopping Center in Toronto, Kanada, wo die zentrale Halle durch Michael Snows hängende Skulptur akzentuiert wird. Ein weiteres vergleichbares Beispiel ist das Atrium des Pioneer Place Shopping Centers in Portland, Oregon. Gemeinsame Charakteristiken sind die spektakuläre zentrale Halle und Zeichen bzw. Symbole für kontinuierliche Bewegung wie Fahrstühle, Rolltreppen, Treppenaufgänge, Brücken, Balkone. Mit Hilfe dieser Ensemble wird fortwährende Geschäftigkeit inszeniert, die durch mehrstöckige Galerien und speziell konstruierte Aussichtspunkte zusätzlich unterstrichen wird.[14] Der Gebrauchswert der Gestaltung tritt zeitweise in den Hintergrund, um dem Zeichenwert Platz zu machen. Dieser gibt einen kontinuierlichen BesucherInnenfluss und Hyperaktivität vor; er generiert Aufregung, Stimulation und fragmentarische Erfahrungen. Oder um es mit Baudbillards Worten auszudrücken: Dies ist das Zusammenspiel von Zeichensetzungen und Erscheinungen in »(. . .) einer endlosen Übergangssituation von Selektionen, Gelesenem, Referenzen, Zeichen, Decodierungen (. . .), so dass der Mensch, die Landschaft und die Zeit immer mehr in Szenerien verschwinden. Im öffentlichen Raum gilt dasselbe: sowohl das Theater des Sozialen als auch des Politischen geht zurück (...)«[15]
Allerdings ist Baudrillards Auffassung vom Verschwinden der Körper, der Dinge und der RezipientInnen zu generalisierend und greift zu kurz. Seiner Meinung nach ist Bedeutung nicht mehr länger möglich und erfahrbar. Mitten im unendlichen Spiel der Zeichen und Codes verschwinden der Signifikant und der Referent. Baudrillard misst der Tatsache, dass sich die Menschen durch den Raum bewegen und dass der Raum klassen-, geschlechts- und rassenspezifisch genutzt wird, kaum Bedeutung bei. Eine ungelöste Frage ist noch offen: Welche Voraussetzungen benötigt das Subjekt, um trotz Dezentralisierung und Orientierungslosigkeit Bedeutung zu konstruieren?
Das Atrium weist eine dreieckige Form auf, mit drei Galerietürmen in jeder Ecke. Dieser überwältigende, zentrale Raum bietet visuelle Erlebnisse von drei verschiedenen Aussichtspunkten. Er wird durch weitläufige Treppen, Balkone, Fahrstühle und durch die Verwendung luxuriöser und reflektierender Materialien wie Marmor zusätzlich dramatisiert. Der Gang durch diesen grandiosen abwechslungsreichen Raum erzeugt einen überwältigenden und faszinierenden Raumeindruck. Dieses Atrium ist der Dreh- und Angelpunkt in der Bewegung von einem Galerieturm zum anderen. Will man alle drei Galerietürme aufsuchen, muss das Atrium gezwungenermaßen mehrfach durchschritten oder als Aufenthaltsort benutzt werden, ganz im Gegensatz zu den Ausstellungsräumen, die sich an der Peripherie des zeremoniell wirkenden Atriumraums befinden und die relativ klein und unregelmäßig geformt sind. Man geht darin orientierungslos und verwirrt umher, denn eine logischen räumliche Abfolge ist kaum zu erkennen.[16]
Zahlreiche KritikerInnen haben die Rezeption der Kunst im Ostgebäude mit einem Konsumakt verglichen. Einige führten an, dass die verwirrenden und ablenkenden Momente die Konzentration und die Kontemplation, die für die Kunstbetrachtung nötig sind, aufs Spiel setzen.[17]
Weiter wurde der Gegensatz zwischen dem hyperaktiven, natürlichen erhellten Raum und den relativ düsteren und künstlich beleuchteten Ausstellungsräumen, die an den Rand des Ostgebäudes gedrängt sind, kritisiert. Nicht nur die eigentliche Aufteilung der Bodenfläche, sondern auch der Umgang mit dem Raum an sich ist für das Konzept und die Nutzung des Gebäudes ausschlaggebend.
»Für unser Verständnis von Architektur ist die Imagefrage zentral: Die Tatsache, dass die Ausstellungsräumlichkeiten des Ostgebäudes als dem Atrium untergeodrdnet gelesen werden können, ist signifikant. Da diese Ausstellungsräume aus dem Zentrum gerückt sind, wirken sie insgesamt kleiner als das Atrium. Obgleich die Ausstellungsräume und der öffentliche Raum im Verhältnis von 60% zu 40% stehen, bleibt der ursprüngliche Eindruck dennoch bestehen.«[18]
Das Ostgebäude selbst wurde zur Attraktion und nicht die darin ausgestellte Kunst. Sogar Pei bemerkte, dass sein »Plan für das Ostgebäude von Anfang an ein Entwurf für den Massengeschmack war. Wir wollten den Museumsbesuch zu einem vergnüglichen Erlebnis machen, also bauten wir einen Zirkus.«[19] Einen Raum zu kreieren, der ein Shopping Center simuliert, kann zur Überbrückung des Grabens zwischen dem Museum der Hochkultur und der kommerziellen Massenkultur beitragen. Diese Einbeziehung der Massenkultur deckt sich mit der aktuellen populistischen Strategie und Rhetorik vieler Museen.
Carter Brown, der frühere Direktor der National Gallery of Art, wies darauf hin, dass sich durchschnittliche MuseumsbesucherInnen maximal 45 Minuten auf eine Ausstellung konzentrieren können. Dabei ist der Vergleich mit der durchschnittlichen Zeit, die in einem Shopping Center verbracht wird, interessant. Durch Design und Technologie haben die Malls in den letzten dreißig Jahren stark an Attraktivität gewonnen, und der durchschnittliche Besuch verlängerte sich von zwanzig Minuten in den 60er Jahren auf fast drei Stunden in den 90ern.[20] Diese Veränderung resultiert hauptsächlich aus der Integration verschiedenster sozialer Events in die Malls. Museumsentwürfe, die sich in ihrer Formensprache kommerziellen Malls angleichen, werden aller Wahrscheinlichkeit nach längere Besuchszeiten, sowie andere räumliche und soziale Erfahrungen im Museum bewirken.

Das Metropolitan Museum of Art, New York

Aus der Luft gesehen weist das Metropolitan Museum of Art in New York eine architektonische Struktur auf, die sich auf einer Länge von vier Blocks über einen weitläufigen Komplex mit scheinbar endlosen Anbauten ausbreitet. Während der letzten zwanzig Jahre wurden sechs neue Flügel hinzugefügt, wodurch sich die Grundrissfläche verdoppelte. Das Metropolitan Museum entwickelt sich mehr und mehr zu einem Ort unternehmerischer Aktivitäten und zu einem kulturellen Warenhaus: Für geschäftliche Anlässe wird zusätzlicher Platz zur Verfügung gestellt, und Museumsshop und Buchladen expandieren mittlerweile international als Ladenkette.
Einer der neuen Anbauten ist der von Kevin Roche entworfene Sackler-Flügel, der eine Decke aus Drahtglas und Aluminium, Kalksteinmauern und eine 22 Meter hohe schräge Glaswand besitzt. Dieser Flügel birgt die luxuriösesten, exklusivsten und großzügigsten Räumlichkeiten innerhalb des Museums, die für geschäftliche Anlässe und Veranstaltungen benutzt werden können. Eine der Hauptattraktionen im Sackler-Flügel ist der Dendurtempel, eine 2000-jährige ägyptische Skulptur, die auf einem hohlen Steinpodest über einem Wasserbecken, das den Nil nachempfinden soll, installiert ist. Für gesellschaftliche Anlässe stehen Großleinwände für Videoprojektionen zur Verfügung und Personal, das sich um die Musik, das Kulinarische und um Getränke und Blumen kümmert. In weiteren Räumen sind verschiedene architektonische Stile und Innenausstattungen ausgestellt, die den thematisch passenden Hintergrund für unterschiedliche Galadiners und Businessempfänge darstellen. Der Englehard-Hof im amerikanischen Flügel erinnert an einen Garteninnenhof aus dem 19. Jahrhundert: Auf der einen Seite steht die wiederaufgebaute Fassade des Büros von U.S. Assay aus dem Jahre 1820; dieser gegenüber befindet sich die wiederaufgebaute Loggia des Privathauses von Louis Comfort Tiffany, die früher auf Long Island stand. Dieser Hof wurde mit modernen Designelementen wie einem Dach aus stahlrahmengefasstem Glas und symmetrischen Balkonen versehen. Der erhöhte Teil erlaubt eine spektakuläre Sicht in den Himmel sowie in den Hof. Der Blumenthal-Hof wiederum wurde mit Arkaden und Balustraden verschönert. Er weckt Assoziationen an das alte Rom. Dieses verführerische Environment spielt mit Wünschen und Fantasien und weckt Gemeinschaftserlebnisse, die an die Hochblüte alter Kulturen erinnern sollen. Allerdings ist die Möglichkeit, an dieser Fantasy-Welt teilzuhaben, klassenspezifisch limitiert, da sich nur elitäre und sehr reiche GastgeberInnen die Miete von 30.000 $ pro Abend leisten können.[21]
Eine Hochglanzbroschüre gibt darüber Auskunft, inwieweit diese prächtigen Museumsräume inklusive der namhaften Kunstsammlungen die eigene Unternehmenskultur aufwerten und bereichern können:
»(...) Die Kunst, Gäste zu unterhalten, wurde in der Geschäftswelt noch nie so geschätzt wie heute. Das Museum bietet Unternehmen und geschäftlichen Organisationen die einmalige Gelegenheit, in einem prachtvollen Rahmen zu feiern: Wichtige Anlässe wie unternehmerische Meilensteine oder Jubiläen können in Mitten der Sammlung des Museums stattfinden und dadurch allerhöchsten Stilansprüchen genügen. (. . .) Das Museum schlägt den GastgeberInnen von geschäftlichen Anlässen vor, in ihre Veranstaltungen einen exklusiven Rundgang durch Sonderausstellungen oder durch die ständige Sammlung des Museums einzubauen (...)«[22]
Da private Anlässe an vier Abenden pro Woche zugelassen sind, sind Konflikte zwischen den einigen hundert geladenen Gästen, die zum Beispiel an einem privaten Empfang im Dendurtempel teilnehmen und den MuseumsbesucherInnen, die diese Installation ebenfalls betrachten wollen, unvermeidbar. Weitere Probleme entstanden durch die Frage, wie eine Raumaufteilung zu gestalten sei, die sowohl die Erhaltung der Kunstwerke als auch den angemessenen Ablauf kommerzieller Privatveranstaltungen gewährleisten kann. Ursprünglich wurden die Räume mit Tageslicht im obersten Stock des Kravis-Flügel hauptsächlich den KonservatorInnen zugeteilt, die für ihre Arbeit viel Tageslicht benötigen; heute jedoch nehmen die Büros der Museumsleitung dort weit mehr Raum ein, als ursprünglich in der Planung vorgesehen war.[23] Die sich intensivierende Beziehung zwischen Museum und unternehmerischen Interessen spiegelt sich auch in der Zunahme von Firmenrepräsentantinnen im Verwaltungsrat und unter den MitarbeiterInnen wider.
Der mehrfache Ausbau des Museumsshops und des Buchladens gibt einen weiteren Hinweis auf die Rolle, die dem kommerziell genutzten Raum zugestanden wird.
Der erweiterte Museumsshop wurde 1979 eröffnet und umfasst heute zweieinhalb Stockwerke und 3.810 m2 Verkaufsfläche. Er wurde nicht nur intern vergrößert, sondern auch extern auf insgesamt 38 Filialen in New York City, den USA sowie in Europa und Asien ausgedehnt.[24] In der Ladenerweiterung des Metropolitan Museum und der globalen Expansion multinationaler Firmen sind durchaus gemeinsame Motive erkennbar: Das Streben nach unbeschränktem Wirtschaftswachstum, nach globaler Ausbreitung des Wirtschaftsraums und nach grenzüberschreitender Verbreitung von kommerzieller Kultur.

High Museum of Art, Atlanta, Georgia

Das High Museum of Art in Atlanta, Georgia, wurde von Richard Meier entworfen und im Jahre 1983 fertiggestellt. Die Architektur des Gebäudes ist allerdings, wie auch Museumsdirektor Gudmund Vigtel feststellt, berühmter als die Sammlung und die Ausstellungen:
»Ich betrachte das Gebäude als ein äußerst wichtiges künstlerisches Statement, (. . .) Wir verfügen über ein Gebäude, das ebenso wichtig ist wie alles, was wir darin zeigen. (...) Ich bin mir der Unwahrscheinlichkeit, dass sich unsere Sammlung mit den wichtigsten der Welt messen kann, sehr wohl bewusst, denke aber, dass sich dies bis zu einem gewissen Grad durch unser tatsächlich einmaliges Gebäude aufwiegen lässt.«[25]
Philippe de Montebello, Direktor des Metropolitan Museums, der weiß, wie aus renommierter Architektur Kapital zu schlagen ist, betrachtet Aufsehen erregende, von berühmten ArchitektInnen entworfene Gebäude als hervorragende Mittel, die einem Museum für Fundraising zur Verfügung stehen.[26] Das High Museum gilt als eine HaupttouristInnenattraktion, die sich sowohl auf den Tourismus als auch auf die lokale Wirtschaft positiv auswirken. Das Museumsgebäude als Konsumobjekt ist damit zu einer wichtigen Ware geworden.
Die Struktur des High Museum ist genauso imposant wie einladend. Man betritt es über einen langen, im Freien angebrachten Steg, der in die Haupteingangs- und Empfangshalle führt. Von dort gelangen die BesucherInnen in das vierstöckige Atrium, das feierliche Zentrum des Museums. Dieser durch Tageslicht erhellte, fächerförmige Lichthof wird durch Zickzackstege und perforierte Ausstellungsräume, die sich darum herum befinden, dramatisiert. Dieses Atrium dient als Museumsmittelpunkt, der die Bewegungen durch und rund um die Ausstellungen kontrolliert. Die Stege auf der einen Seite des Atriums führen zu den gegenüberliegenden Ausstellungsräumen, und die Fenster in den Atriumswänden lassen das Tageslicht ein und gewähren einen Ausblick auf die Stadt.[27]
Der Lichthof vermittelt Abwechslungsreichtum durch räumliche Abfolgen, vielfältige Perspektiven und einem Labyrinth aus Zickzackstegen. Alle diese Elemente erzeugen den Eindruck von Fließen, von Bewegung und eine Mischung aus optischer und kinetischer Dynamik. Der Raum bietet einen festlichen und dramatischen Rahmen für gesellschaftliche Anlässe und wurde zum beliebtesten mietbaren Raum für Galafeiern, Bankette, Empfänge und Modeschauen in Atlanta. Der visuelle Eindruck, der Zeichenwert des Museums, ist zum primären Tauschwert geworden. Im Atrium selbst gibt es, abgesehen von den knappen Einblicken durch die perforierten Mauern der darüberliegenden Ausstellungsräume, keine Kunst zu sehen. Die Ausstellungsräume sind klein, deren Wände von Fenstern durchbrochen, und ermöglichen Blicke quer durchs Atrium von einem Raum in den andern. Die BesucherInnen werden animiert, mehr auf die Architektur als auf die Kunst zu achten.[28] Während der Nichtausstellungsraum zwei Drittel der gesamten Fläche in Anspruch nimmt, beschränken sich die Ausstellungsbereiche auf ein Drittel der Fläche.[29] Die zentrale Position des Atriums mit seiner atemberaubenden Höhe erlaubt den BesucherInnen eine dynamische Raumerfahrung. Diese Effekte wurden zur hauptsächlichen Attraktion des Museums, während die eigentlichen Ausstellungen in den Hintergrund traten.
Die ständigen Verschiebungen der Perspektive, die wiederholten Ausblicke und die Fragmentierung der Ausstellungsräume, die den BesucherInnen geboten werden, stellen den Stellenwert der Kunstbetrachtung überhaupt in Frage. Robert Venturi beschreibt die verstörenden Elemente eines solch ambitionierten Raumes sehr treffend:
»Wenn man dann endlich zur Kunst vordringt, ist man entweder müde vom Durchlaufen eines banalen Labyrinths oder übersättigt durch dramatische räumliche, symbolische oder farbliche Fantasien (...) Die Kunst, wenn man dann endlich davor steht, wird durch die bis dahin verengten Pupillen, die abgestumpfte Sensibilität und die Orientierungslosigkeit zu einer Art Antiklimax - oder ganz einfach dumpf.«[30]
Die Institution Museum expandiert, transformiert und ist direkt an der Entwicklung der kapitalistischen Wirtschaft und Kultur beteiligt. Begriffe wie Kommerzialisierung, Image-Konstruktion und die Mediatisierung von Bedürfnissen gewinnen beim Versuch, die Raumproduktion in Museen und die Bedingungen der politischen Ökonomie des Museums des späten 20. Jahrhunderts zu verstehen, zunehmend an Bedeutung.

(Dieser Text ist in deutscher Fassung erstmals im Buch Das Phantom sucht seinen Mörder erschienen. Siehe dazu das Interview mit den HerausgeberInnen auf S. 7)

Übersetzung: Gabriela Meier

Fußnoten


  1. Robert Venturi zitiert von Ellen Posner in »The Museum as Bazaar«, Atlantic (August 1988), S. 68. ↩︎

  2. Vgl. Rosalyn Deutsche, »Men in Space«, Artforum (Feb. 1990), S. 21-23. ↩︎

  3. Henri Lefebvre, »The Production of Space«, übersetzt ins Englische von Donals Nicholson-Smith (Cambridge: Blackwell Books, 1991), S. 12. ↩︎

  4. a. a. O. S. 77. ↩︎

  5. Ernest Mandel, »Spätkapitalismus«, Late Capitalism (London: Verso Edition, 1978, Suhrkamp Verlag, 1972), S. 387. ↩︎

  6. Margaret Crawford, »The World in a Shopping Mall«, in Variations on a Theme Park, ed. Michael Sorkin (New York: Hill and Wang, 1992) S. 14-15. ↩︎

  7. Richard Sennett, »The Fall of Public Man« (New York: W.W. Norton and Co., 1974), S. 144-45, dt. Übersetzung »Verfall und Ende des öffentlichen Lebens. Die Tyrannei der Intimität« (Frankfurt a. M: Fischer 1983, 1998). ↩︎

  8. Jean Baudrillard, »For a Critique of the Political Economy of the Sign« übersetzt ins Englische von Charles Levin (USA: Telos Press 1981). S 29-31. ↩︎

  9. Fredric Jameson, »Postmodernism, or the Cultural Logic of late Capitalism« (Durham: Duke University Press, 1991), S. 48. ↩︎

  10. Vgl. Sharon Willis, »Spectacular Topagraphies Ameriques Post Modern. Spaces Restructuring Architectural Theory«; ed. Marco Diani und Catherine Ingraham (New York: Rizzoli, 1988), S. 68. ↩︎

  11. Mary McLeod, »Architecture and Politics in the Reagan Era: From Postmodernism to Deconstructivism«, Assemblage 8 (Feb. 1989), S. 25. ↩︎

  12. Vgl. Michael J. Bednar, »Interior Pedestrian Places« (New York: Whitney Lihrary of Design, 1989). ↩︎

  13. Vgl. Carter Wiseman, »I. M. Pei« (New York: Abrams, 1990), S. 157. ↩︎

  14. Richard Hennessy, »Prototype and Progeny«, Artforum (Nov 1978), S. 71-72. ↩︎

  15. Jean Baudrillard Simulacra, and Simulation, übersetzt ins Englische von Sheila Faria Glaser, von der original französischen Ausgabe 1981 (Ann Arbor: University of Michigan Press, 1994), S. 67 »The Ecstasy of Communication«, in The Anti-Aesthetic, ed. Hal Foster (Port Townsend, Washington: Bay Press, 1983), S. 129. ↩︎

  16. P/A on Pei: »Roundtabel on a Trapezoid«, Progressive Architecture (Okt. 1978), S. 53. ↩︎

  17. a. a. O., Bemerkungen von Martin Filler und Diane Stephens. ↩︎

  18. a. a. O.,Bemerkung von Martin Filler. ↩︎

  19. Carter Wiseman, »I. M. Pei«, S. 163. ↩︎

  20. Vgl. Margaret Crawford, »The World in a Shopping Mall«, S. 14. ↩︎

  21. Metropolitan Museum of Art, The Metropolitan Museum of Art Special Events Brochure, New York: MET (unveröffentlicht). ↩︎

  22. a. a. O ↩︎

  23. John Taylor, »The High Life at the Gilded Metropolitan Museum« New York (9. Jan. 1989), S. 29-30. ↩︎

  24. Regina Maria Kellerman, »The Publication and Reproduclion Program of the Metropolitan Museum of Art: A Brief History« (New York: MET 1996), S. 50-51, 71-80. ↩︎

  25. Catherine Fox »The New High Museum of Art«, Artnews (Nov. 1983), S. 106. ↩︎

  26. Ellen Posner »The Museum as Bazaar«, S. 70. ↩︎

  27. Richard Meier, »Richard Meier. Architect 1964/1984« (New York: Rizzoli, 1984), S. 297-327. ↩︎

  28. Douglas Davis, »The Museum Transformed Design and Culture in the Post Pompidou Age« (Abbeville, 1990), S. 64-66. ↩︎

  29. Richard Meier, »Richard Meier: Architect 1964/1984«, S. 311. ↩︎

  30. zitiert nach: Ellen Posner »The Museum as Bazaar«, S. 69. ↩︎


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