Die Transformationen historischer Begebenheiten
»Zur Tektonik der Geschichte«, Ausstellung im Forum Stadtpark, GrazMit der Ausstellung „Zur Tektonik der Geschichte“ untersuchten die KuratorInnen Andrea Domesle und Martin Krenn die Verschiebungen innerhalb kollektiver und individueller Wahrnehmungsschemata von Geschichte und im Speziellen die Ereignisse der 1930er und 1940er Jahre. Das Forum Stadtpark bot sich hierbei als idealer Ausstellungsort der künstlerischen Verortungen an, da dessen Gründung im Kontext der Avantgarden der Nachkriegszeit und insbesondere jener der sechziger Jahre stets eine Auseinandersetzung mit lokalen und nationalen Phänomenen der jüngeren Geschichte einfordert.
Die direkteste Re-Kontextualisierung der lokalen Geschichte und Kunstgeschichte erfolgte in der aus der Generali Foundation entliehenen Dokumentationsarbeit des Projektes Und Ihr habt doch gesiegt, das Hans Haacke für den steirischen herbst 1988 entwickelt hatte. Hier waren es die „Bezugspunkte“ zum Jahr 1938, die das Thema der von Werner Fenz kuratierten Interventionen im öffentlichen Raum bildeten. Haackes Verwandlung der Mariensäule in die Bildhaftigkeit von 1938 versetzte die christliche Symbolik in jene der einstigen „Stadt der Volkserhebung“ mit dem Zusatz von Notizen, wie viele Zigeuner, politische Gefangene, Zivilisten, Vermisste und Soldaten in der Steiermark dem Nationalsozialismus zum Opfer gefallen waren. Der Brandanschlag auf Haackes Kunstwerk verdeutlichte die niedrige Akzeptanzschwelle für politisch brisante und künstlerisch verhandelte Themen bzw. die Unmöglichkeit einer öffentlichen Auseinandersetzung mit Problemzonen der eigenen Sozialisation.
Die räumliche Verortung letzterer im Privatbereich zeigte Arye Wachsmuth in dem Video Interior Memory in einer eigens dafür adaptieren Raumkonstellation. Wachsmuth schweift darin durch Innenräume jüdischer Wohnungen bzw. Fotografien der 1920er und 30er Jahre, lässt jedoch sämtliche architektonische Details und Erinnerungskonturen verschwimmen, wodurch die Zeitreise der von links nach rechts wandelnden Bildstrecken in Kombination mit Sound die Frage nach der generellen Rekonstruktion von Geschichtsmomenten stellt, deren Reartikulation lediglich als Signifikant, nicht aber als Signifikat vergangener Strukturen und ihrer Ereignisse gelesen werden kann.
Wie sich diese Strukturen im kollektiven Bewusstsein manifestieren bzw. ausgeblendet werden, zeigt Martin Krenn in seiner Fotoarbeit Misplaced Histories – eine Recherche zum Thema der Arisierung bekannter Einrichtungen wie dem Wiener Riesenrad oder dem Berliner Zoo. Krenns Recherchen werfen Fragen in Zusammenhang mit verdrängten bzw. nie ins allgemeine Bewusstsein gelangten Geschichtsmomenten auf, die teilweise in aktuellen Restitutionsverfahren aufgerollt werden und allgemeine Vorstellungen von symbolischen und bildlichen Machtdispositiven umzuwerfen im Stande sind.
Eine ähnliche Anlehnung an die Macht der Bilder erfolgt in Pia Lanzingers Auseinandersetzung mit der Panoramawelt des bayrischen Obersalzbergs. Was einst für Hitler als Wohnsitz und Demonstration bildlicher Macht durch den gezielten Einsatz der Blickregime (etwa durch das Panoramafenster des Berghofs) galt, wird nach wie vor für touristische Zwecke verwendet, jedoch mit dem aufklärerischen Nimbus einer präfigurierten Historie, die etwa das Programm eines neuen Luxushotels bestimmt, das neben der Bibel auch den Dokumentationsband Die tödliche Utopie am Nachtkästchen bereit hält.
Die Übertragung wörtlicher und bildlicher Elemente im Kontext semantischer Verschiebungen einer sinnbildlichen Tektonik thematisiert Lisl Ponger in ihrer Fotoarbeit verzogen, die mit der bildlichen Darstellung des „unter den Teppich Kehrens“ nicht nur die Vertreibung jüdischer Familien aus ihren Wohnungen, sondern auch die Verdrängung prekärer Geschichtsmomente reflektiert. Ähnliches evoziert Tim Sharp in seinem Foto Abbruch Aspangbahnhof 2003, der von 1939 bis 1942 für tausende Menschen als Deportationsbahnhof diente. Den konzisen Bogen einer künstlerischen Materialitäts- und Bilderfahrung spannt Gustav Metzger, der BesucherInnen ein Foto zum Anschluss 1938 unter einer Decke am Boden erfühlen lässt und so ein vermeintlich taktiles Moment von Geschichte mit ins Spiel bringt.
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Ausstellung
Zur Tektonik der Geschichte
Forum Stadtpark Graz
25.11.2005 bis 15.01.2006
Walter Seidl